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“Wir verstehen uns als Brückenbauer”

06.04.2025 • 09:00 Uhr
"Wir verstehen uns als Brückenbauer"
Seit November 2024 ist Magdalena Maderthaner Obfrau des Vereins HPE Vorarlberg.kluas hartinger

Der Verein HPE Vorarlberg bietet Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter an. Seit November 2024 ist Magdalena Maderthaner Obfrau. Ein Einblick in ihre ehrenamtliche und fordernde Arbeit.

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich für Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu engagieren?
Magdalena Maderthaner: In erster Linie war es meine eigene Betroffenheit. Ich habe in meinem engsten Umfeld selbst erlebt, wie plötzlich eine psychische Erkrankung das gesamte Leben auf den Kopf stellen kann und wie hilflos man sich als Angehörige oder Freund fühlt. Mir wurde schnell klar, dass es vielen anderen genauso geht. Diese Erfahrung hat mich zum Verein HPE geführt und motiviert, mich aktiv zu engagieren – auch als Interessenvertreterin in Vorarlberg. Denn ich habe oft den Eindruck, dass Angehörige nicht genug wahrgenommen werden.

Sie sind selbst betroffen. Ist das aktuell noch der Fall?
Maderthaner: Ja, die Situation besteht weiterhin. Im Moment befinden wir uns sogar wieder in einer besonders herausfordernden Phase – man könnte sagen, in einer Krise.

Seit November 2024 sind Sie die neue Obfrau des Vereins HPE.
Maderthaner: Ich war zwei Jahre lang als Schriftführerin im Verein aktiv und habe in dieser Zeit sehr gut mit meinem Vorgänger Stefan Riedmann und den anderen Mitgliedern zusammengearbeitet. Stefan hat sich entschieden, den Vorsitz abzugeben – er bleibt dem Verein erhalten, wollte aber die Verantwortung weitergeben. Ich habe die Aufgabe mit Herz übernommen. Ich bin eine „Macherin“ – wenn etwas liegen bleibt, greife ich zu (lacht).

"Wir verstehen uns als Brückenbauer"
Magdalena Maderthaner im Interview mit der NEUE am Sonntag.
hartinger

Welche Sorgen oder Herausforderungen begegnen Ihnen am häufigsten?
Maderthaner: Zuerst ist da die Sorge um den erkrankten Menschen und die Angst, etwas falsch zu machen. Besonders in akuten Krisen sind viele Angehörige verunsichert. Mit der Zeit kommen weitere Themen hinzu: etwa das Gefühl, bei Ämtern und Institutionen nicht ernst genommen zu werden, oder die mühsame Suche nach verlässlichen Informationen. Ganz am Anfang fehlt oft grundlegendes Wissen über die Erkrankung selbst, auch über bestehende Unterstützungsangebote im Land.

Welche Angebote bietet HPE an?
Maderthaner: Wir organisieren regelmäßig Selbsthilfegruppen und bieten ein Angehörigentelefon an – dort sprechen Betroffene mit Betroffenen. Darüber hinaus gibt es Vorträge, trialogische Veranstaltungen und Fachtagungen, bei denen Angehörige ihr Wissen erweitern und eigene Erfahrungen einbringen können.

Stichwort Schulen und Polizei.
Maderthaner: Mit dem Schulprojekt „Verrückt? Na und!“ besuchen wir Schulklassen und sprechen offen und niederschwellig über psychische Erkrankungen. Ein ähnliches Projekt führen wir auch mit der Polizei durch, um Wissen und Verständnis aufzubauen. Beide Projekte setzen wir gemeinsam mit pro mente und dem Betroffenenverein der Menschen mit Psychiatrieerfahrung, Omnibus, um. In letzter Zeit werden wir auch häufiger von anderen Einrichtungen eingeladen – zum Beispiel von der Krankenpflegeschule oder der Telefonseelsorge.

HPE Vorarlberg

HPE Vorarlberg ist die Vereinigung von Angehörigen psychisch Erkrankter in Vorarlberg und wurde 1997 gegründet. Der Selbsthilfeverein hat neun ehrenamtliche Mitglieder und engagiert sich für die Unterstützung von Angehörigen (Familien und Freunde) und ist die Interessenvertretung sowohl im politschen als auch im psychosozialen Bereich. Das HPE hat den Sitz im Lebensraum Bregenz. Weitere Informationen gibt es auf www.hpe.at.

Weitere Angebote?
Maderthaner: Auf Bundesebene ist der Verein HPE über eine Website aktiv, die umfangreiche Informationen mit zum Beispiel Fachvorträgen zu Themen wie den unterschiedlichen Erkrankungen, rechtlichen Fragen oder finanziellen Hilfen bietet. Zudem sind dort alle Infos zu den Angeboten der Bundesländer aufgelistet. Außerdem bieten wir für alle Mitglieder um 33 Euro pro Jahr viermal die Zeitschrift „Kontakt“, welche Artikel und Vorträge führender Fachkräfte im psychosozialen Bereich speziell für Angehörige aufbereitet.

Was unterscheidet euch von anderen Anlaufstellen?
Maderthaner: Wir sind keine professionellen Fachkräfte, sondern selbst Betroffene mit viel Erfahrung. Viele von uns haben akute Krisenzeiten bereits hinter sich und können das Geschehen mit etwas Abstand betrachten. Unsere Stärke ist die Begegnung auf Augenhöhe – sowohl mit anderen Angehörigen als auch mit Betroffenen und Fachpersonen. Wir verstehen uns als Brückenbauer und möchten dazu beitragen, dass ein gutes Miteinander gelingt.

HPE Vorarlberg

Gibt es im öffentlichen System ausreichend Unterstützung?
Maderthaner: Es gibt Einrichtungen wie pro mente, die im Auftrag der Landesregierung ambulante, sozialpsychiatrische Betreuung, Krisenhilfe und Prävention anbieten, oder Omnibus, an die man sich wenden kann. Aber ein spezifisches Angebot für Angehörige, das sich zum Beispiel mit Fragen wie „Wie gehe ich mit der Situation um?“ oder „Wie kann ich mich selbst schützen?“ beschäftigt, fehlt oft. Häufig erhält man erst Unterstützung, wenn man selbst bereits erkrankt ist. Dabei wäre es so wichtig, frühzeitig Hilfe zu bekommen – um gar nicht erst in eine Überforderung zu geraten.

HPE setzt auf Prävention.
Maderthaner: Genau! Es ist eines unserer zentralen Anliegen, dass Angehörige möglichst früh erkennen, wie wichtig es ist, auf sich selbst zu achten. Wenn man sich zu lange im krankheitsbedingten Stress verliert, kann man irgendwann selbst nicht mehr für den erkrankten Menschen da sein, weil man selbst zusammenbricht.

Gibt es strukturelle Hürden?
Maderthaner: Wir sind ein kleiner Verein mit neun ehrenamtlich Engagierten. Natürlich können wir daher nicht rund um die Uhr erreichbar sein oder alles abdecken. Neben der direkten Arbeit mit Menschen fällt auch viel Organisations- und Büroarbeit an, das darf man nicht unterschätzen. Hier wäre eine Anstellung im Backoffice des Vereins mit einer 25- bis 50-Prozent-Anstellung ein Meilenstein für unsere Entwicklung. Es gibt diesbezüglich Gespräche im Landespyiatriebeirat und in den Fachabteilungen des Amtes der Vorarlberger Landesregierung. Noch ist alles offen, ich bleibe aber dran.

Wie erleben Sie den gesellschaftlichen Umgang mit psychischen Erkrankungen?
Maderthaner: Es gibt eine zunehmende Offenheit, viele Menschen möchten das Thema entstigmatisieren. Trotzdem begegnen uns nach wie vor viele Vorurteile. Begriffe wie Depression sind inzwischen geläufig, aber bei Erkrankungen wie Schizophrenie oder bipolaren Störungen spürt man oft Unsicherheit und Angst. Es wird viel über Begegnung auf Augenhöhe gesprochen, aber wenn es ernst wird, zeigt sich, dass noch viel Aufklärungsarbeit nötig ist.

"Wir verstehen uns als Brückenbauer"


Was sollte sich ändern?
Maderthaner: Ein funktionierendes Aufnahme- und Entlassungsmanagement, das Angehörige von Anfang an mit einbezieht, wäre ein großer Schritt. Wenn ich als Angehörige bereits zu Beginn einer Behandlung Informationen über die Erkrankung und den weiteren Verlauf bekomme, kann ich besser begleiten. Eine Art Schulung für Angehörige wäre wünschenswert.

Nehmen psychische Erkrankungen zu – oder wird nur mehr darüber gesprochen?
Maderthaner: Beides. Die Sensibilität hat zugenommen, aber gleichzeitig beobachte ich auch, dass es heute mehr schwere Diagnosen gibt als früher.

Zur Person

Name: Magdalena Maderthaner
Geboren: 8. Juni 1994
Familienstand: Verheiratet
Beruf: Personalwesen
Beim HPE seit: November 2022 als Schriftführerin
HPE-Obfrau seit: November 2024
Vertreten im: Vorarlberger Psychiatrie­beirat
Hobbys: Garten, Familie

Ihre Arbeit ist sehr fordernd.
Maderthaner: Wenn ich merke, dass es zu viel wird, ziehe ich mich bewusst zurück. Ich gehe auch regelmäßig zur Psychotherapie. Das hilft mir, Abstand zu gewinnen und meine Grenzen zu reflektieren. Und natürlich brauche ich meine Hobbys, die nichts mit dem Thema zu tun haben.

"Wir verstehen uns als Brückenbauer"

Ihr Wunsch für die Zukunft?
Maderthaner:
Ich wünsche mir, dass das Modell des „Open Dialogue“ auch in Vorarlberg etabliert wird. Dabei kommen Betroffene, Angehörige und Fachpersonen gemeinsam an einen Tisch, um individuell abgestimmte Lösungen zu finden. Das würde vielen helfen, nicht immer wieder in die gleiche Krisenspirale zu geraten.