Evangeliumkommentar: Wir schaffen das

In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Wilfried M. Blum, Caritas-Seelsorger.
Sonntagsevangelium
Jesus betete einmal an einem Ort; als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat! Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung! Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet und wer anklopft, dem wird geöffnet. Lukas 11,1-10
Wir schaffen das
Die Vaterunser-Kirche in Jerusalem (siehe Bild) ist ein Ort, der die Vielfalt der Christenheit widerspiegelt und die universale Bedeutung des Jesus-Gebetes sichtbar macht. In über 100 Sprachen verbindet das Gebet Menschen aus aller Welt, unabhängig von ihrer Sprache und Kultur. Auch bei uns in der kleinen Welt ist das Vaterunser noch ein gemeinsames Gebet – bei welchem Anlass auch immer es gebetet wird. Ich frage mich immer wieder, warum das so ist. Natürlich wird es uns von klein auf beigebracht, bestenfalls in der Familie oder im Religionsunterricht. Ehrlich, im Alltag wird es oft einfach mitgeplappert, nicht immer mit dem Herzen dabei. Und doch geht ein Spirit von diesem Gebet aus, der nicht so leicht erklärbar ist. Der Evangelist Lukas formuliert ein kürzeres Vaterunser als Matthäus. Er hebt damit die besonderen Anliegen Jesu hervor: Vertrauen, Gottes Wille und Versöhnung.
Was habe ich durch das Vaterunser lernen dürfen? Es sind schon viele Jahre, als ich Kinder einer vierten Volksschulklasse gefragt habe: Was bedeutet denn der Anfang des Gebetes: Vaterunser im Himmel? Ein Mädchen antwortete: „So wie der Himmel überall ist, wo immer ich bin, so ist unser Vater überall“. Eine einfache, aber doch bemerkenswerte Antwort! Kinder sind übrigens oft beste Theolog*innen! Überall an jedem Ort kann ich mich mit Gott verbinden. Jederzeit ist Gott präsent, ohne Gefahr, dass der Akku ausgeht oder das Netz zusammen-bricht. Unlängst war ich im Feldkircher Dom bei einem Konzert mit Kantaten von Johann S. Bach. Eingangs erklang die Arie „Alles mit Gott und nichts ohn´ ihn“ (BWV 1127). Das ist das Herzensliegen Jesu („Geheiligt werde dein Name“) auf den Punkt gebracht: radikales Vertrauen in Gott. Daraus mit Leidenschaft und Kraft für ein gutes Leben aller Menschen wirken. Konkret wird es in der Bitte um das Reich Gottes. Es ist ein tägliches Bitten um mehr Liebe und Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität im Kleinen wie im Großen. Wie aktuell angesichts der Weltlage und unseres Empfindens der Ohnmacht!
Im Laufe meines priesterlichen Wirkens bedrückt mich immer mehr, wie viele unversöhnte Beziehungen es gibt – bis ans Sterbebett, mit oftmals fatalen Folgen. „Vergib, wie auch wir vergeben!“- bittet man im Vaterunser. Was kränkt, macht krank, was unversöhnt bleibt, belastet Leben. Das Gebet Jesu ermutigt ständig, persönliche Unstimmigkeiten in Ordnung bzw. zur Versöhnung zu bringen. Die Versuchung nichts zu tun, durchbricht Jesus mit der Bitte: Gott, führe uns in der (durch die) Versuchung! 2015 sagte Angelika Merkel „Wir schaffen das!“. Und sie hat(te) Recht! Als evangelische Christin konnte sie es überzeugend im Geist des Vaterunsers wagen. Dazu ermutigt uns Jesus auch heute noch.
