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„Erzwungene Inklusion wird nicht gelebt“

05.09.2025 • 17:58 Uhr
„Erzwungene Inklusion wird nicht gelebt“
Max Krieger-Alfons und Amanda Ruf arbeiten bei der AQUA Mühle eng zusammen.
hartinger

Amanda Ruf über Frauen-Empowerment, Vielfalt im Unternehmen und moderne Bewerbungsverfahren.

von Hannah Swozilek
neue-redaktion@neue.at

Amanda Ruf ist die Projektleiterin des Projekts „Frauen-Power“ der AQUA Mühle und Leitung der Stabsstelle Gender & Diversity. Gemeinsam mit Geschäftsführer Max Krieger-Alfons spricht sie über veraltete Bewerbungsverfahren und darüber, wie diese sich auf die Vielfalt im Unternehmen auswirken.

Frau Ruf, Sie waren in der Suchtprävention tätig, dann Geschäftsführerin des Mädchenzentrums Amazone und sind nun bei der AQUA Mühle. Was unterscheidet und was verbindet diese verschiedenen Abschnitte vielleicht auch?

Amanda Ruf: In der Stiftung Maria Ebene habe ich gelernt, mit Menschen zu arbeiten, die nicht dem gängigen Bild der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. In der Amazone habe ich mich dann intensiv mit dem Zusammenleben der Geschlechter befasst und gesehen, wie ungleich viele Strukturen noch immer sind. Öffentlichkeitsarbeit und Empowerment haben dort viel bewegt, aber ich habe auch die Grenzen gespürt, wenn es um tiefgreifende Strukturveränderungen geht. Deshalb habe ich den Schritt gewagt, um von innen heraus Veränderungen zu gestalten. Das war schließlich auch der Anlass für meine Forschungsarbeit und mein Engagement bei der AQUA Mühle.

„Erzwungene Inklusion wird nicht gelebt“
Amanda Ruf ist Projektleiterin des Projekts “Frauen-Power” der AQUA Mühle. hartinger

Amanda Ruf:

Leitung Gesundheitsförderung/Suchtprävention bei „SUPRO“ in Götzis (2000–2006)
Geschäftsführerin des Vereins Amazone (2007–2019)
Leiterin Bildung und Beratung und Diversity-Stabsstelle bei der AQUA Mühle (seit 2021), Projektleitung Programm „Frauen-Power“

Wie unterscheidet sich die Arbeit mit Menschen von der Arbeit an Strukturen?

Ruf: Beides ist sehr unterschiedlich, ergänzt sich aber auch. Bei Menschen geht es darum, zu verstehen, was sie brauchen. Strukturen müssen so angepasst werden, dass Teilhabe möglich wird. Ein Beispiel: Früher wurden Menschen mit Behinderungen schlicht übersehen. Erst der Bau von Rampen ermöglichte ihnen Selbstständigkeit. Ähnlich verhält es sich mit Geschlecht, Alter oder psychischen Beeinträchtigungen. Organisationen müssen Strukturen so schaffen, dass Vielfalt möglich ist.


Sie leiten nun seit August die Personalabteilung der AQUA Mühle mit Schwerpunkt Inklusion und Diversität. Was heißt das?
Ruf: Für mich heißt das, ein Personalmanagement aufzubauen, das alle Menschen im Blick hat, besonders jene, die bisher weniger berücksichtigt wurden. Wir hinterfragen bestehende Strukturen und entwickeln gemeinsam Verfahren, die Vielfalt ermöglichen. Es geht darum, Barrieren abzubauen, damit jede und jeder seine Kompetenzen einbringen kann. So wird die Organisation ihrem Auftrag gerecht und gleichzeitig zukunftsfähig.


Das Projekt „Frauenpower“ hat bereits viele Frauen mit Migrationsbiografien begleitet. Wie ist dieses Projekt entstanden und welche Erfahrungen haben Sie damit bisher gemacht?
Ruf: „Frauen-Power“ läuft seit 2021 mit Unterstützung des AMS (Arbeitsmarktservice). Offiziell ist es eine viermonatige Begleitung mit Deutschkursen, Bewerbungstrainings und anderweitiger Unterstützung. In der Realität zeigt sich aber, dass Frauen oft Flucht-, Gewalt- oder Armutserfahrungen mitbringen. Wenn wir sie wirklich einbinden wollen, müssen wir ihnen zuerst einmal zuhören, was sie brauchen, und passende Strukturen dafür entwickeln. Bisher haben wir 136 Frauen aus 28 Nationen begleitet. Manche von ihnen fanden einen Job, andere setzten den ersten Fuß in die Gesellschaft, wieder andere sagten offen, dass sie, eben aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse, vorerst noch nicht an dem Projekt teilnehmen können. Das Wichtigste an dem Projekt ist, dass die Frauen gehört werden. Viele erzählen, dass ihnen hier zum ersten Mal zugehört wurde. Daraus entstanden auch neue Projekte wie eine Ausstellung und Videoclips, die ihre Geschichten sichtbar machen.

“Das Wichtigste an dem Projekt ist, dass die Frauen gehört werden. Viele erzählen, dass ihnen hier zum ersten Mal zugehört wurde.”

Amanda Ruf


Krieger-Alfons: Nicht jedes Unternehmen muss jeden Beitrag selbst leisten. Aber Unternehmen können und sollten sich an Systemen beteiligen, die Integration ermöglichen. Wir haben gesehen, wie kleine Missverständnisse – etwa kulturelle Gepflogenheiten beim Thema Essen – große Hürden schaffen können. Mit Begleitung lassen sich solche Situationen auflösen. Unternehmen müssen akzeptieren, dass sie nicht alles allein können, aber Unterstützung annehmen können.

„Erzwungene Inklusion wird nicht gelebt“
Geschäftsführer der AQUA Mühle, Max Krieger-Alfons. Hartinger

Max Krieger-Alfons:

Leiter Ankunftszentrum Berlin/ Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (2019-2021)
Leiter Integrationszentrum im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds (2021–2023)
HR Manager Kinderdorf (bis 2024)
Geschäftsführer AQUA Mühle (seit 2025)


Was müsste passieren, damit absolute Geschlechtergerechtigkeit in Bewerbungsverfahren und bei Neueinstellungen gewährleistet ist?
Ruf: Wir müssen blinde Flecken sichtbar machen. Heute entscheidet oft ein Foto im Lebenslauf darüber, ob jemand überhaupt eine Chance bekommt. Unbewusst werden dadurch Vorurteile aktiviert, und Unternehmen homogenisieren sich. Anonymisierte Bewerbungsverfahren könnten helfen, den Blick auf Fähigkeiten und Qualifikationen zu lenken. Letztlich braucht es aber die Entscheidung: Will ein Unternehmen inklusiv sein, oder nicht?

Gibt es Unternehmen im internationalen Vergleich, die als Vorbild dienen könnten?
Ruf: Ein umfassendes Vorbild gibt es nicht. Manche Organisationen sind in Teilbereichen weiter, aber ein Gesamtmodell existiert bisher nicht. Inklusion ist ein Feld, das wir noch gestalten müssen.
Krieger-Alfons: In den USA versucht man, Belegschaften proportional zur Bevölkerung aufzubauen. Das kann aber zu erzwungener Inklusion führen, die nicht gelebt wird. Entscheidend ist, dass Unternehmen lernen, Unterschiede auszuhalten.

„Erzwungene Inklusion wird nicht gelebt“
Die Beiden im Teams-Gespräch mit der NEUE. HArtinger

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Gleichstellung in Vorarlberg in den letzten Jahren?
Ruf: Jedes Jahr hören wir die gleichen Zahlen. Vieles bleibt bei Symbolik, etwa bei der Debatte über den Gender-Doppelpunkt. Damit wird man dem Thema nicht gerecht.
Krieger-Alfons: Ich habe selbst erlebt, wie diskriminierend Arbeitsstrukturen sein können. Als Mann, der in Teilzeit arbeitet, wurde anfangs in Vorarlberg meine Arbeitsfähigkeit infrage gestellt. Es verdeutlicht einmal mehr, dass Strukturen nicht nur Frauen benachteiligen, sondern auch Männer, die Care-Arbeit übernehmen wollen. Als wir noch in Berlin lebten, war es selbstverständlich, dass meine Frau und ich beide in Teilzeit arbeiten können. In Vorarlberg war es dann hingegen ein großes Thema.

„Ich habe erlebt, wie diskriminierend Strukturen sein können. Als Mann in Teilzeit wurde meine Arbeitsfähigkeit infrage gestellt.“

Max Krieger-Alfons


Wo sehen Sie beim Thema Gleichstellung Fortschritte, wo herrscht Stillstand?
Ruf: Es gibt Fortschritte im öffentlichen Diskurs. Themen wie Diversität und Gender sind sichtbarer geworden. Aber strukturelle Veränderungen sind selten. Symbolpolitik reicht nicht aus.
Krieger-Alfons: Politische Rahmenbedingungen, wie etwa die Kinderbetreuung, sind zentrale Hebel. Solange sie unzureichend sind, bleiben Fortschritte Stückwerk.

Sie sagen, Gleichstellung bedeutet, dass Privilegien geteilt werden müssen. Warum fällt das so schwer?
Ruf: Weil es bedeutet, Macht abzugeben. Individuell ist das nachvollziehbar. Strukturell wird es zum Problem, weil wir so Fachkräfte verlieren, Kinder in Armut leben und gut ausgebildetes Personal abwandert. Wir wissen, dass Quoten funktionieren würden, aber umgesetzt werden sie nicht, weil Entscheidungsträger etwas zu verlieren glauben. Wir müssen tiefer blicken und Strukturen verändern.

„Erzwungene Inklusion wird nicht gelebt“
Ruf und Krieger-Alfons arbeiten eng zusammen. Hartinger