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ME/CFS: “Wir brauchen eine spezifische Anlaufstelle”

02.12.2025 • 17:53 Uhr
ME/CFS: "Wir brauchen eine spezifische Anlaufstelle"
Informierten: Thomas Wolf, Eva Hammerer, Viktoria Berkmann, Thomas Jungblut, Manuela Auer, David Burian, Beate Schuchter und Bettina Todorovic.Stiplovsek

Trotz 3300 Betroffenen gibt es in Vorarlberg keine ME/CFS-Anlaufstelle. Selbsthilfegruppe fordert Initiierung einer Ambulanz, legt ein Konzept vor. Anliegen wird von Oppositions-Parteien SPÖ, Grüne und NEOS unterstützt.

In Vorarlberg leben rund 3300 Menschen mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom). Österreichweit sind etwa 74.000 Menschen betroffen, davon gehäuft Frauen und jüngere Menschen. 60 Prozent davon sind nicht arbeitsfähig, 25 Prozent ans Haus beziehungsweise ans Bett gebunden. Dennoch gibt es keine einzige spezialisierte öffentliche Versorgungseinrichtung. Der Nationalrat hat bereits 2023 einstimmig Maßnahmen zur Verbesserung der ME/CFS-Versorgung beschlossen, und im Finanzausgleich 2024 bis 2028 stehen den Ländern dafür gezielt Mittel zur Verfügung. Trotzdem existiert in Vorarlberg bislang keine strukturierte medizinische Anlaufstelle für Betroffene.

Minimalforderung

Daher wird nun die Selbsthilfegruppe ME/CFS Vorarlberg aktiv und stellt eine Minimalforderung: „Beginn der Initiierung einer ME/CFS-Ambulanz“. Als erster realistischer Schritt soll eine barrierefreie Ambulanz mit ein bis zwei Ärztinnen oder Ärzten eingerichtet werden. Diese soll evidenzbasierte Diagnostik und symptomorientierte Behandlung anbieten, regelmäßig mit dem Nationalen Referenzzentrum für Postvirale Syndrome an der Uni Wien zusammenarbeiten, telemedizinische und aufsuchende Betreuung für schwer erkrankte Patientinnen und Patienten ermöglichen und eine respektvolle, nicht stigmatisierende Versorgung sicherstellen. „Es geht nicht um Symbolpolitik, sondern um konkrete medizinische Hilfe für Menschen, die seit Jahren im System vergessen werden“, so die Initiatoren des Konzepts bei der gestrigen Pressekonferenz im Lebensraum Bregenz. „Die Umsetzung kann aus bestehenden Finanzausgleichsmitteln erfolgen und dient als Pilotprojekt für Westösterreich.“

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David Burian von der Selbsthilfegruppe ME/CFS Vorarlberg. Siplovsek

Nicht existent

„Die aktuelle Versorgung in Vorarlberg ist nicht nur unzureichend, sie ist de facto nicht existent“, stellt David Burian, selbst betroffen und Mitglied der Selbsthilfegruppe, klar. „Es existiert keine öffentliche Anlaufstelle, an der Betroffene gemäß dem aktuellen wissenschaftlichen Stand diagnostiziert und betreut werden. Ohne Diagnose gibt es keine Aufklärung über richtiges Krankheitsmanagement und folglich keine angemessene Behandlung. Stattdessen erhalten viele Betroffene psychiatrische Fehldiagnosen, die dann oft zu erwiesenermaßen schädlichen Therapien führen.“ Für ihn ist die derzeitige Versorgungslage „eine Katastrophe“. Das Interesse der regierenden Politik an einer grundlegenden Verbesserung der Situation sei leider gering. „Damit sich endlich etwas ändert, haben wir ein Konzept für eine öffentliche Anlaufstelle erarbeitet. Unser Anliegen ist kein überzogener Wunsch, wir fordern lediglich, dass nicht länger nur geredet, sondern endlich gehandelt wird.“ Die gesellschaftlichen Folgekosten seien heute bereits um ein Vielfaches höher als die Investitionen in eine solche Anlaufstelle, sagt Burian. „Die Stadt Wien, das Bundesland Steiermark sowie das Burgenland haben eine solche Anlaufstelle bereits in Planung.“

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Patientenanwalt Alexander Wolf und Viktoria Berkmann von der Vorarlberger Plattform Menschenrechte. Stiplovsek

Austausch

„Die Selbsthilfegruppe Vorarlberg gibt es seit 1,5 Jahren und sie hat gut 150 Mitglieder“, so Beate Schuchter. „Wir stehen in unserer WhatsApp-Community durchgängig im Austausch. Zudem gibt es monatlich ein Online- sowie ein persönliches Treffen.“ Und David Burian führt aus: „Ziel der Selbsthilfegruppe Vorarlberg ist, Betroffenen Austausch und Unterstützung zu bieten, Aufmerksamkeit für diese schwere Erkrankung, die von der WHO schon 1969 als schwere neurologische Krankheit anerkannt wurde, zu schaffen und eine angemessene medizinische Versorgung im Land voranzutreiben.“

ME/CFS: "Wir brauchen eine spezifische Anlaufstelle"
Beate Schuchter. Stiplovsek

Auslöser

ME/CFS ist eine schwerwiegende Multisystemerkrankung. In gut 80 Prozent der Fälle beginnt die Krankheit nach einer akuten Infektion. Bekannte Auslöser sind Influenza, das Epstein-Barr-Virus und SARS-CoV-2, wobei letzteres mittlerweile der häufigste Auslöser ist. „Das Kardinalsymptom ist die post-exertionelle Malaise (PEM) – eine teils massive, oft langanhaltende oder sogar dauerhafte Zustandsverschlechterung nach körperlicher oder geistiger Belastung. Neben schwerer Fatigue leiden Betroffene unter Schmerzen, Kreislaufproblemen, Schlafstörungen und kognitiven Einschränkungen“, erklärt Burian.

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Eva Hammerer. Stiplovsek

Unterstützung

Unterstützung für die Initiative einer ME/CFS-Ambulanz in Vorarlberg gibt es von der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS. „Wir unterstützen die Initiative der Selbsthilfe Vorarlberg ausdrücklich. Es geht nicht um Sonderbehandlungen, sondern um die Herstellung eines längst überfälligen Standards, der für andere, vergleichbar schwer Erkrankte bereits gegeben ist. Menschen mit ME/CFS müssen endlich die medizinische Unterstützung erhalten, derer sie dringend bedürfen“, so Kevin Thonhofer, Obmann der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS.

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Opposition bringt Antrag ein

Gleiches gilt für die Oppositionsparteien im Vorarlberger Landtag: SPÖ, Grüne und NEOS. „Vorarlberg braucht eine Ambulanz für Betroffene von ME/CFS.“ Gemeinsam brachten sie gestern einen Antrag im Vorarlberger Landtag ein. Darin wird die Landesregierung aufgefordert, sich zum Ziel einer besseren gesundheitlichen Versorgung für Betroffene von ME/CFS zu bekennen und in einem ersten Schritt eine „Light“-Version einer ME/CFS-Ambulanz in Vorarlberg einzurichten.

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Manuela Auer, David Burian und Thomas Jungblut. Stiplovsek

Patienten wahrnehmen

Auch für Thomas Jungblut, Facharzt für Allgemeinmedizin, ist klar: „Das zentrale Anliegen heute ist es, eine Anlaufstelle zu schaffen, an die niedergelassene Ärzte zwecks Bestätigung der Diagnose überweisen können. Eine solche Anlaufstelle stellt nicht nur eine absolute Verbesserung für alle Betroffenen dar, sondern auch für die Ärzteschaft.“ Jungblut betont zudem, „dass der Arzt die Patientinnen und Patienten im wahrsten Sinn des Wortes wahrnehmen muss.“