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Skitouren: Von Nische zur Masse

19.12.2020 • 11:00 Uhr
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Archivbild/Steurer

Nicht erst seit Krise erfreut sich Skitourengehen wachsender Beliebtheit.


Von Jahr zu Jahr werden es mehr. Die Zahl derer, die mit spezieller Ausrüs­tung und eigener Muskelkraft im Winter Berge erklimmen, um danach im Tiefschnee oder auch auf der Piste talwärts zu fahren, steigt stetig an. In diesem Jahr hat der Trend durch Corona und den späteren Saisonstart einen zusätzlichen Schub bekommen.
Martin Zerlauth aus Dornbirn bezeichnet sich als den klassischen Wiedereinsteiger. „Ich bin in der Studienzeit Skitouren gegangen. Habe dann eine Zeit lang ausgesetzt. Und in diesem Jahr wieder angefangen.“ Der Wunsch war schon länger vorhanden. Die spezielle Situation mit Corona hat Zerlauth den letzten Kick gegeben. „Ich habe mir eine neue Ausrüstung geleistet. Zudem konnte ich meine 14-jähriger Tochter davon überzeugen, auch anzufangen.“ Bis vor Kurzem hat seine Tochter Mia darin keinen Sinn erkennen können. „Aber seit Neuestem taugt ihr das voll.“
Derzeit sind noch keine hochalpinen Touren angesagt. „Ich war jetzt zwei Mal am Hochälpele und ein Mal auf der Tscheng­la.“ Aber er plant demnächst größere Geschichten mit einem Guide. „Ich war die letzten paar Jahre viel freeriden. Und das ist jetzt nur der nächste logische Schritt für mich. Somit bin ich jetzt mehr liftunabhängig. Aber ich bin definitiv abfahrtsorientiert“, betont Zerlauth mit einem besonderen Lächeln auf den Lippen.

Martin Zerlauth ist ein Wiedereinsteiger. <span class="copyright">Privat/Zerlauth</span>
Martin Zerlauth ist ein Wiedereinsteiger. Privat/Zerlauth

Auch Christian Kaufmann aus Bludenz ist begeisterter Tourengeher. Und das nicht erst seit Corona. „Ich gehe generell gern und viel skifahren. Zudem mache ich ein Mal jährlich mit ein paar Freunden eine Woche Ski­urlaub. Da stehen dann vor allem Variantenfahren und Freeriden am Programm.“ Regelmäßige Sicherheitsschulungen sind laut Kaufmann ein Muss. Vor allem, wenn man abseits der Pisten und gesicherten Skigebiete unterwegs ist. „Beim Pistengehen ist es wichtig, sich an die Regeln zu halten. Das ist nur fair und vereinfacht das Miteinander.“ Dazu gehören vor allem am Rand gehen und sichtbar sein.

Naturfreunde

Dadurch, dass derzeit die Lifte in den Skigebieten stehen, sind dort noch mehr Tourengeher unterwegs als sonst. Das bestätigt auch Günter Griesser, Geschäftsführer der Naturfreunde Vorarlberg. „Wenn ich unterwegs bin, stelle ich fest, dass die Parkplätze in den Skigebieten, wie etwa in Brand oder Gargellen, stark ausgelastet sind, obwohl die Lifte alle stehen.“
Das Pistentourengehen ist sehr angesagt derzeit. Diese Entwicklung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Generell unterscheide man zwischen Pistentourengeher und Skitourengeher. Der Zweitere ist der klassische Skibergsteiger. Dazu braucht es Erfahrung, Ausdauer, eine spezielle Sicherheitsausrüstung und viel Wissen. „Wir betreiben eine Ausbildungshütte in der Silvretta, und die Kurse dort für das kommende Jahr sind bereits zu über 80 Prozent ausgebucht. So einen Andrang gab es da noch nie.“

Golm

Die Skipistentourengeher werden auch kritisch betrachtet. Vor allem von den Liftbetreibern. Markus Burtscher, Geschäftsführer von Golm-Silvretta-Tourismus bestätigt das. „Derzeit ist das nicht so ein Problem. Weil die Lifte nicht laufen. Aber grundsätzlich sehen wir das nicht nur gerne.“ Es gibt laut Burtscher keine rechtliche Handhabe. Das mache es für die Skigebiete schwierig, konkret einzuschreiten. „Untertags können wir da nicht viel dagegen tun. Im Moment. Wir sind dabei, im Fachverband der Seilbahnen konkrete gesetzliche Regelungen auszuarbeiten.“

Günther Griesser hat festgestellt, dass die Parkplätze, trotz stehender Lifte, gut ausgelastet sind. <span class="copyright">Privat/Griesser</span>
Günther Griesser hat festgestellt, dass die Parkplätze, trotz stehender Lifte, gut ausgelastet sind. Privat/Griesser

Mittelfristig wird man Korridore schaffen, die für Tourengeher exklusiv zur Verfügung stehen. Generell habe man in den letzten Jahren vor allem in der Nacht das Problem gehabt, dass es öfters zu kritischen Situationen gekommen ist. „Während der Präparierung, die ja fast nur in der Nacht vonstattengehen kann, ist es immer wieder zu heiklen Situationen gekommen. Teilweise wird mit Winden und Seilen gearbeitet. Und das ist dann für abfahrende Tourengeher brandgefährlich.“ Das geht laut Burtscher so weit, dass extra Personal abgestellt werden musste, um die Pisten zusätzlich abzusichern. Denn auch das nächtliche Tourengehen ist massiv im Kommen. „Das ist für uns ein hoher Aufwand. Zudem lassen die Tourengeher nicht wirklich viel Geld da. Wir haben nur den Mehraufwand.“

Alpenverein

Vor 20 Jahren hat das Skifahren abseits der Lifte noch anders ausgesehen. Es war als exotisch verschrien. Mittlerweile ist das Tourengehen in all seine Varianten vom Nischensport zum Breitensport mutiert. „Wenn man das in Österreich hochrechnet, sind es mittlerweile bis zu 500.000, die Skitouren gehen. Die Prognosen für heuer sagen, dass noch einmal 20 Prozent dazukommen“, betont Rainer Schlattinger, Geschäftsführer des Vorarlberger Alpenvereins. Wobei die Pistentourengeher die größeren Zuwächse verzeichnen als die hochalpinen Tourengeher, die nur im freien Gelände unterwegs sind. Es ist wichtig, dass man die Vorgaben der Skigebiete einhält und die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt. Denn es ist nicht unbegrenzt Platz auf den Pisten und in den Bergen. Unfallprophy­laxe ist für den Alpenverein ein großes Thema. „Wir bieten Kurse für Anfänger und Vollprofis an. Zudem legen wir viel Wert auf den Erhalt der Naturlandschaft. Denn Vorarlberg ist sehr klein. Da gibt es oft Konflikte, die es einzudämmen gilt.“

Christian Kaufmann mit Sohn Felix.<span class="copyright"> Privat/Kaufmann</span>
Christian Kaufmann mit Sohn Felix. Privat/Kaufmann

Bergrettung

„Natürlich ist derzeit überall etwas los. Aber nicht zu vergleichen mit der Situation, wenn die Lifte offen haben“, betont Geschäftsstellenleiter Martin Burger. Dann sind die Einsatzzahlen viel höher. Der Skitouren-Boom ist auch für ihn seit geraumer Zeit klar erkennbar. „Es macht Spaß, die Leute wollen sich bewegen, und bei manchen spielt vielleicht auch der finanzielle Background mit hinein.“ Dieser Boom löse nicht zwingend mehr Einsätze aus. Die Einsatzfrequenz ist vielmehr von anderen Faktoren abhängig. Wie etwa Schneebeschaffenheit oder Witterung. Insgesamt hat die Bergrettung an die 800 Einsätze pro Jahr. „Davon entfallen etwa 40 auf Skitouren und Variantenfahrer.“

Auch Madeleine aus Mellau liebt Skitouren.<span class="copyright"> BERCHTOLD</span>
Auch Madeleine aus Mellau liebt Skitouren. BERCHTOLD

Kinder

Christian Kaufmann ist seit Kurzem mit seinem sechsjährigen Sohn Felix unterwegs. „Er hat sich so auf das Skifahren gefreut. Und da die Lifte noch nicht laufen, hab ich begonnen, ihn auf kleinere Touren mitzunehmen.“ Mit Kindern Touren zu gehen, ist besonders. „Man muss schauen, dass sie Spaß daran haben. Ich mach öfters Pause und zeige ihm auch mal, wie ein Piepser funktioniert.“