„Von der Einsamkeit überschwemmt“

Psychologin Theresa Amann erklärt Folgen der Einsamkeit für Psyche.
Fau Amann, haben Sie sich schon einmal einsam gefühlt?
Theresa Amann: Ja, das kenne ich auch. Dieses Gefühl – so wie jedes andere Gefühl auch – kann uns allen begegnen.
Und wie fühlt sich das an?
Amann: Es ist ein enges Gefühl, und es kommt einem so vor, als werde man davon überschwemmt. So, als ob es gerade nur dieses Gefühl gäbe. Es ist häufig begleitet von Sehnsüchten und Wunschbildern, die dann oft gerade nicht erfüllt werden können.
Wie geht es den Klienten, die deswegen zum ifs kommen?
Amann: Sie fühlen sich hilflos. Das Gefühl von Einsamkeit ist für viele sehr schwer aushaltbar. Es ist ein Gefühl, über das nicht sehr viel geredet wird.
Zur Person
Theresa Amann kommt aus Feldkirch und hat in Wien Psychologie studiert, Sie ist Klinische Psychologin und arbeitet in der Familienberatung beim Institut für Sozialdienste (ifs).
Ist Einsamkeit schambesetzt?
Amann: Ja, das denke ich schon. Es kann nämlich auch schnell zum Hinterfragen von sich selbst führen – warum bin ich einsam? Bin ich vielleicht uninteressant für andere? Bin ich zu wenig sozial? Komme ich bei anderen nicht gut genug an? Solche inneren Fragen können schmerzhaft und unangenehm sein und die Frage aufwerfen, ob andere auch so über mich denken, wenn ich sage, dass ich mich einsam fühle.
Wer ist besonders gefährdet, bedrückende Einsamkeit zu verspüren?
Amann: Alleinerziehende Eltern oder Menschen, die einen nahestehenden Partner verloren haben, leiden verstärkt unter Einsamkeit. Gerade jetzt, wenn es auf Weihnachten zugeht. Aber auch ältere Menschen, bei denen Freunde und Bekannte mitunter schon verstorben sind und Angehörige sehr viel beschäftigt sind. Auch, wenn ihre Mobilität eingeschränkt ist.
Einsamkeit ist aber keine Frage des Alters, oder?
Amann: Nein. Ich habe das Gefühl, dass auch immer mehr junge Menschen davon betroffen sind. Soziale Medien sind zwar eine wichtige Kommunikationsplattform für die Jugend, gleichzeitig fehlt da aber eine ganz wichtige Komponente des persönlichen Kontakts. Das kann schon schwierig werden.

In den sozialen Netzwerken gibt es eine fast krankhafte Zurschaustellung der eigenen Person. Diese Tatsache stellt vor allem eine jüngere Generation vor neue Herausforderungen, nicht?
Amann: Ja, da kann man dann schnell in den Gedanken reinrutschen, dass es allen anderen gut geht, während man sich selbst vielleicht einsam oder niedergeschlagen fühlt.
Aber die digitale Welt hat auch ihre Vorzüge, nicht?
Amann: Ja, klar. Gerade jetzt, da persönliche Kontakte nur eingeschränkt möglich sind, eröffnen sich da Möglichkeiten, um Kontakt zu halten. Man sollte sich nur nicht zu sehr darin verlieren. Es ist gut, innerlich immer wieder mal einen Schritt zurück zu treten und sich zu fragen: Tut mir das gerade noch gut?
Wie erleben Jugendliche den Lockdown mit Kontaktbeschränkungen? Macht sich da ein Gefühl von Einsamkeit breit?
Amann: Jugendliche sind auf Erfahrungen und Sozialkontakte außerhalb der Familie angewiesen – und das ist aufgrund der Kontaktbeschränkungen und geschlossenen Lokale gerade sehr schwierig. Da kann schon mal das Gefühl entstehen, in der eigenen Familie gefangen zu sein.
Studie
Jeder Zweite gelegentlich einsam
Knapp jeder zweite befragte Österreicher (47 Prozent) hat in einer EU-weiten Studie des Unternehmens Kaspersky angegeben, dass er im ersten Lockdown „zumindest gelegentlich Einsamkeit empfunden“ hat. Der EU-Schnitt lag bei 52 Prozent. Vor allem die jüngere Generation war besonders stark betroffen. 70 Prozent der Interviewten gaben an, die Digitalisierung habe geholfen, zumindest virtuell in Kontakt zu bleiben. Nur 42 Prozent (EU: 52 Prozent) glauben, dass diese Form der Kommunikation hilft, Einsamkeit zu bekämpfen. Das Bewusstsein für die Problematik ist europaweit unterschiedlich ausgeprägt: In England wurde beispielsweise schon 2018 ein eigenes „Ministerium für Einsamkeit“ geschaffen. Apa
Melden sich seit Beginn der Pandemie im März mehr Menschen beim ifs wegen Problemen mit Einsamkeit?
Amann: Zu Beginn des ersten Lockdowns mussten sich erst einmal alle ein wenig orientieren. Da waren nicht so viele Anfragen, wie wir es eigentlich erwartet hätten. Jetzt im zweiten Lockdown im Herbst und Winter melden sich mehr Menschen als vorher.
Das Thema Corona ist seit März in den Köpfen der Bevölkerung präsent. Macht das müde?
Amann: Ja, da ist bei vielen langsam die Energie erschöpft. Immer wieder muss man sich auf neue Regeln einstellen, und es herrscht eine enorme Unsicherheit. Wo muss ich eine Maske aufsetzen, wann darf ich sie runternehmen, wen darf ich noch treffen? Da sind ganz viele Fragen, die immer wieder im Raum stehen. Unser Körper und unsere Psyche sind nicht darauf ausgerichtet, ständig in Alarmbereitschaft zu sein. Deshalb können sich mitunter Erschöpfungszustände einstellen.
Was könnte hier helfen?
Amann: Erschöpfung verlangt Pausen – hier dann besonders Pausen von der Beschäftigung mit Corona und neuen Bestimmungen. Es ist wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben, aber das muss nicht 24/7 sein. Dann hilft, die Aufmerksamkeit wieder auf andere Dinge und Themen zu lenken, beispielweise raus an die frische Luft zu gehen, zu lesen oder etwas Sport zu machen. Wenn die Erschöpfung zu groß wird und nicht mehr bewältigbar erscheint, kann auch professionelle Unterstützung helfen.

Die Erfahrung von Einsamkeit gehört zum Menschen. Dies ist Teil unseres seelischen Repertoires, wie Trauer und Freude. Ab wann wird Einsamkeit zum Problem?
Amann: Wenn ich durch dieses Gefühl sehr belastet bin und selbst nicht mehr gut aus dem Gefühl rauskommen kann.
Was raten Sie jenen, die zu Weihnachten zu Hause sitzen und sich einsam und allein fühlen.
Amann: Man sollte seinen Blick auf die kleinen, schönen Dinge lenken. Das kann ein Waldspaziergang sein, das freundliche Winken einer Nachbarin, ein schön gerichtetes Essen oder ein netter Film. Vielleicht gibt es auch jemanden in der Nachbarschaft, der ebenfalls allein ist und mit dem man sich kurz unterhalten kann. Sofern die Möglichkeit besteht, kann mit Bekannten und Verwandten per Videotelefonie Kontakt gehalten werden. Hilfreich sind sicherlich auch die Telefon-Hotlines (Telefonseelsorge, Rat auf Draht etc.).
Allein sein heißt nicht gleich einsam sein. Wo liegt der Unterschied?
Amann: Meines Erachtens liegt ein großer Unterschied im Leidensdruck. Alleinsein kann auch etwas sein, dass guttut, sprich wenn man sich Zeit für sich nimmt, während die Einsamkeit von Traurigkeit geprägt ist und mit Leid verbunden ist.
Ältere Menschen, etwa in Senioreneinrichtungen, können sich oft aber nicht aussuchen, ob sie allein sein wollen oder nicht. Vor allem jetzt mit den Besuchsbeschränkungen.
Amann: Ja, die Corona-Bestimmungen haben hier sicherlich teilweise massive Auswirkungen, und zwar nicht nur auf die Psyche. Einsamkeit kann mitunter körperliche Schmerzen verstärken und das Immunsystem schwächen. Das belegen Studien. Gerade hier sind jegliche Kontakte – so klein sie auch scheinen mögen – wichtig. Ein nettes Lächeln von Betreuern etwa oder ein Telefonat mit Angehörigen.
Kontakte/Hotlines
ifs
Öffnungszeiten der ifS-Beratungsstellen unter www.ifs.at/oeffnungszeiten.html
Telefonseelsorge
Tel. 142 (rund um die Uhr)
Rat auf Draht
Tel. 147 (rund um die Uhr)
Bietet eine kostenlose Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen, für alle Themen, die Kinder und Jugendliche betreffen.
Wir sind es mittlerweile schon gewöhnt, dass in diesem Jahr ganz viel aufgrund der Pandemie ausfällt. Warum macht die Advent- und Weihnachtszeit noch mal so einen gefühlsmäßigen Unterschied?
Amann: Die Weihnachtszeit ist sehr stark emotional besetzt. Und sie wird vermarktet. Mit tollen Bildern, glücklichen Menschen und Lichterketten. Es werden meist Familien oder Paare gezeigt. Dadurch steigen die inneren Erwartungen, und man glaubt, alle anderen sind glücklich.
Inwieweit können Familien und Betroffene es auch als Chance nutzen, dass die Feier in einem kleineren Kreis stattfindet und alles ein bisschen anders gefeiert wird?
Amann: In vielen Familien gibt es zu Weihnachten immer dieselben Abläufe und Rituale. Diese müssen heuer vielleicht gekippt werden. Da geht es ums Loslassen und Neugestalten. Man sollte es sich erlauben, die Dinge neu zu denken und sich kreativ neue Möglichkeiten zu suchen.
Manche Menschen kämpfen auch mit Schuld- und Verantwortungsgefühlen und fragen sich, ob sie die Großeltern besuchen oder Freunde treffen sollen, die alleinstehend sind.
Amann: Da ist es wichtig, dass man offen darüber redet, seine Sorgen formuliert und Möglichkeiten auslotet, etwa ob man sich vielleicht an der frischen Luft trifft. Man sollte sich auch immer vergegenwärtigen, dass es eher um ein räumliches und nicht um ein soziales Distancing geht.