Hilfeaufruf in letzter Minute

Familie Lauenburger mit „Classic Circus Berlin“ kann nicht in ihre Heimat.
Sie stammen aus Schleswig-Holstein, ihr Zirkus heißt „Circus Berlin“. Aber zu Hause sind sie da, wo ihre Wohnwägen stehen. Und vor allem, wo ihre Familie ist. Zur Familie gehören auch vier Kamele und zwölf Pferde. Weiße Araber, schwarze Friesen, ein schwarzes Shetlandpony, alles edle Tiere, viele sind Hengste. Von den Kamelen sind zwei jung. „Wenn sie zu uns kommen, haben sie erst mal vor uns Menschen Angst“, erklärt der 34-jährige Sohn der Familie, Michael. „Wir fegen dann um sie herum, das kennen sie bereits. Und dann massieren wir mit dem Besen mal vorsichtig einen Vorderfuß, schließlich lassen sie sich am ganzen Körper schrubben und auch anfassen. Diese hier sind so weit, dass man sie schon reiten kann.“
Nicht die Nerven verlieren
Lauenburgers sind stolz auf ihre Tiere. Nach dem Aufstehen kümmern sie sich als erstes um deren Wohlergehen. Dann geht Michael vier Kilometer joggen. Danach widmet er sich seinem Hobby, dem Boxen. Springt Seil, hält sich körperlich fit. Lange hatte es so ausgesehen, als würde er Profiboxer werden. Im Jahr 2000 wurde er deutscher Vizemeister. Aber schließlich und endlich verschrieb er sich doch dem Zirkus – in sechster Generation. Er hatte zuletzt eine Nummer, wo er Stühle gestapelt hat und darauf Handstände machte. Seine Schwester Jamena ist Seiltänzerin auf dem Drahtseil, seine Schwester Concetta Jongleurin. Alle in der Familie achten auf gesundes Essen. Und versuchen, nicht völlig die Nerven zu verlieren.

Denn der Zirkus darf nicht bleiben, wo er ist. Das Grundstück Neu Amerika 4 in Bregenz ist Bauland, Baubeginn soll in wenigen Tagen Ende Jänner sein. Adolf Lauenburger ist für die Tierdressuren zuständig. Und er ist Zirkusdirektor und fühlt sich ebenfalls zuständig für den Verbleib seiner Familie, der Tiere, der Wagen. „Wenn wir nicht in Kürze eine Lösung finden, wird hier zwangsgeräumt“, erklärt Lauenburger. Er hat dafür sogar Verständnis. Es sei ein Baugrundstück, der Bau habe sich bereits verzögert, die Dringlichkeit sei eine Frage des Geldes.
Beginn der Misere
Die ist es aber auch für den Zirkus. Die Misere begann im vergangenen Jahr. Da gastierte der Circus Berlin gerade in Lustenau, als bekannt wurde, das Pferd einer privaten Reiterin habe sich mit einer Blutkrankheit angesteckt. Die Pferde des Zirkusbetriebs mussten in Lustenau bleiben, zur Sicherheit, und durften nicht weiterreisen. Es gab eigentlich einen Vertrag in der Schweiz, ihn nicht einhalten zu können, kostete die Familie viel Geld. Aber ohne die Pferde weiterzureisen, das kam für sie nicht infrage. Dann kam Corona, und in der Folge durften sie nicht spielen. „Es gibt so viele Hilfsmaßnahmen für Selbstständige und andere. Aber wir bekommen keinen Cent“, beklagt sich Lauenburger.

Für eine Heimreise nach Schleswig-Holstein fehlt das Geld – abgesehen davon hätten beim Grenzübertritt Untersuchungen für die Tiere angestanden. Ein Clownehepaar aus Bulgarien und das Artistenehepaar mit Luftringen und Trapeznummer aus Ungarn konnten im vergangenen Jahr schließlich in ihre jeweilige Heimat ausreisen.

Zunächst ist die Familie kurzfristig nach Hard übersiedelt, auf ein Grundstück, auf dem sie nicht bleiben konnte. Von der darauffolgenden Geschichte existieren mehrere Wahrheiten. Fakt ist, dass sie in Hard nicht bleiben konnten und dass der Zirkusdirektor sagt, inzwischen werde sogar ein Harder Bäcker angewiesen, ihnen kein altes Brot zum Verfüttern mehr zu liefern.
Ungebetener Besuch
An diesem Morgen bekommen die Schausteller noch Besuch vom Besitzer der Parzelle in Bregenz. Er nennt ihnen einen Zeitraum von einigen Tagen, dann müssten sie alle hier weg sein. Wie ernst es ihm ist, zeigt sich kurz darauf, als ein Gerichtsvollzieher vorbeikommt. Weil sie immer noch vor Ort sind, müssen sie sich vor Gericht verantworten. Sohn Michael zeigt derweil Handybilder von anderen Zirkussen in Österreich, denen eine Messehalle zugeteilt wurde oder die anderweitig Zuflucht gefunden haben.

„Ohne die Bevölkerung hier in Vorarlberg hätten wir schon lang kein Essen und kein Futter mehr kaufen können“, sagt Sohn Michael. Den Spendern sind sie sehr dankbar; ursprünglich hatte der Zirkus Spendendosen und entsprechende Plakate in vielen Spar-Märkten in Vorarlberg aufgestellt. Das habe der Marktleiter untersagt. Dabei hatten die Lauenburgers davon ihr Essen und das Futter für die Tiere und sogar die Wurmkuren für ihre Pferde bezahlt. Eigentlich ist die Zirkusfamilie selbst sehr großzügig, wollte im Verlauf des Winterzirkus Geld beiseitelegen für Freunde in Kroatien. Nun sind sie selbst auf die Großzügigkeit anderer angewiesen.

Hoffnung bis zuletzt
Ihre Hoffnung: In letzter Minute noch einen Platz zu finden. Dieser sollte ungefähr 50 mal 50 Meter betragen und befestigt sein. Andernfalls würden die großen Lkw zu sehr einsinken. „Ein Skiparkplatz, eine alte Fabrik, ein Bauernhof, das wäre alles möglich“, sagt Atilina Lauenburger, die Frau des Zirkusdirektors. „Wir hinterlassen keinen Müll, wir trinken nicht, rauchen nicht, nehmen keine Drogen.“ Am schlimmsten sei das Gefühl, wie sie behandelt würden. Überall ungebetene Gäste zu sein, das zermürbt. „Dabei ist uns zu helfen, eine Frage der Menschlichkeit“, sagt Atilina Lauenburger.
Miriam Jaeneke
Ein Problem – verschiedene Perspektiven
Ich habe Schlafstörungen bekommen. Heute Nacht zum Beispiel habe ich gerade zwei Stunden geschlafen. Den Rest bin ich wachgelegen und habe über eine Lösung nachgegrübelt“, sagt Zirkusdirektor Adolf Lauenburger.
Er fügt an: „Das alles hier kann mich meinen Zirkus kosten, wurde mir gedroht. Aber der Zirkus ist unser Leben!“
„Die Bevölkerung hat ein offenes Herz für die Zirkusfamilie Lauenburger. Jeder, der uns hilft, bekommt eine Freikarte, wenn wir wieder spielen dürfen“, verspricht der 34-jährige Sohn des Direktors, Michael.
„Uns war es wichtig, Migranten, Körperbehinderte und sozial Schwache im Zirkus willkommen zu heißen. Wir haben den Schwächeren immer gern geholfen. Aber jetzt sind wir die Schwächeren“, beklagt der Zirkusdirektor.
„Ich wäre bereit, auf einem Misthaufen zu schlafen, wenn nur unsere Tiere gut untergebracht wären“, meint Lauenburger.
„In der gesamten EU wird Zirkussen von Gemeindeseite unter die Arme gegriffen. Nur wir kommen nirgends unter“, sagt Atilina Lauenburger.
Statements der Gemeinden:
Der Amtsleiter von Hard, Martin Vergeiner, sagt: „Wir als Gemeinde haben leider keinen geeigneten Platz anzubieten. Der Funkenplatz am See dient als Naherholungsgebiet und wird für den Funken gebraucht. Was aber jeder Privateigentümer tut, ist seine eigene Sache.“
Valentin Fetz, politischer Referent des Bürgermeisters von Bregenz, führt an: „Selbstverständlich war die Landeshauptstadt Bregenz seit Anfang an um die Unterstützung des Circus Berlin bemüht. Aus unserer Sicht gibt es mittlerweile jedoch keine ersichtlichen Gründe für den weiteren Aufenthalt des Zirkus in Bregenz. Gerne unterstützen wir die Familie Lauenburger, wenn sie Hilfe bei der Rückreise nach Deutschland benötigt.“
Landesveterinär Norbert Greber erklärt: „Die Behörden legen der Zirkusfamilie keine Steine in den Weg. Aber das Land ist kein Grundbesitzer, und dafür, dass die Lauenburgers nicht auftreten können, kann niemand etwas. Auch die Skilifte oder die Gastronomen trifft es. Alle hoffen einfach, dass es bald besser wird.“