Was Handtücher mit Evolution zu tun haben

Heidi Salmhofer mit Ihrer Sonntags-Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Es gibt menschliche Verhaltensmuster, bei denen ich mich frage: „Natur, was genau hast du dir dabei gedacht?“, und finde mich kurz darauf in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Menschheitsgeschichte wieder und der philosophischen Frage, wie wir es überhaupt geschafft haben, Säbelzahntiger und Mammut zu überleben. Ich verstehe es nicht. Vor allem dann nicht, wenn ich das Verhalten unseres Nachwuchses beobachte und analysiere. Wenn sich die Höhlenmensch-Kinder nämlich genauso aufgeführt haben wie jene im 21. Jahrhundert, dann ist es mir unbegreiflich, wie wir es jemals bis zur Digitalisierung geschafft haben. Seit meine zwei Kids ihre Hände zum Greifen benutzen, liegen ihre Sachen in der Wohnung und im Garten herum. Ich weiß nicht, wie oft ich in meinem Leben schon „Zurückkommen, wegräumen! Nein, hinschmeißen ist kein Wegräumen! Nein, unter das Bett bugsieren auch nicht!“ gesagt habe. Man stelle sich vor, wenn die Steinzeitkids auch überall ihren Mist hinterlassen hätten, es wäre lebensbedrohlich für den Stamm gewesen. Das sichere Versteck wäre verraten, und ein feindseliger Neandertaler-Clan hätte die Homo-sapiens-Höhle überrannt. Aber nahezu alle unsere Kinder tun das.
Ergo, wir müssen dieses „Häufchen hinterlassen“ in unseren Genen haben. War sich der Mensch seiner selbst immer schon so sicher, dass er mit herumliegenden Gegenständen seine uneingeschränkte Vormachtstellung unter den Säugetieren deponierte? Sind die Handtücher, die meine Mädels bis dato nicht ein einziges Mal nach dem Duschen wieder aufgehängt haben, Überbleibsel von ehemaligen Revierabgrenzungen? Aber was ist dann mit der ewigen und lauten Streiterei unter Nachwuchskindern? Schon in Ermangelung von geeigneten Verhütungsmitteln hatte ein Steinzeitmensch sicher mehr als nur zwei Nachkommen. Was muss das für ein Gezanke gewesen sein! Für Raubtiere ein leicht gefundenes Fressen. Schwups, die Nachfahren sind weg und der Stamm ausgerottet.
Meine einzige Erklärung: Die Kinder müssen uns auf Trab halten, damit wir wachsam bleiben. Denn hätten wir keine schreienden, lärmenden und unaufgeräumten Kids, wäre das Leben viel zu gemütlich. Wir würden faul werden, träge und den Säbelzahntiger mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einfach übersehen, und dann „schnapp“. Danken wir unseren lauten Kindern also dafür, dass sie uns dazu animieren, immer mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Und sei es nur, um wieder einmal ein Handtuch unter der Couch zu finden.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren Töchtern in Hohenems.