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„Gemeinde Gottes“ im Visier der Behörden

31.01.2021 • 09:00 Uhr
Jonathan Anselm (24) Pastor, Qualitymanager, Gemeinde GRK. <span class="copyright">Hartinger</span>
Jonathan Anselm (24) Pastor, Qualitymanager, Gemeinde GRK. Hartinger

Schotten sich ab, richten Leben streng nach Bibel aus und misstrauen Staat.

Die Geschichte der Freikirche „Gemeinde Gottes“ in Vorarlberg beginnt im Jahr 2009. Damals wanderten einige Mitglieder der Glaubensgemeinschaft aus Deutschland aus, weil ihre nicht anerkannte Privatschule behördlich zugesperrt worden war. Die evangelikalen Christen ließen sich im Dalaaser Ortsteil Wald am Arl­berg im Klostertal nieder und richteten in einem alten Gasthof eine Schule und Versammlungsräume ein. Mittlerweile zählt die Gemeinschaft mehr als 100 Frauen, Männer und Kinder. Die meisten Mitglieder kommen aus Deutschland, einige davon sind sogenannte Russlanddeutsche, auch Kanadier gibt es. Sie leben allesamt zurückgezogen, kleiden sich sittsam und schlicht, stützen ihren Glauben ausschließlich auf die Bibel, lehnen die Evolutionstheorie ab, setzen lieber auf Gott als auf die Medizin und bezeichnen öffentliche Schulen als „Werkstätten des Teufels“.

Versammlungen finden trotz Verbot sowie ohne Mindestabstand und Masken statt. <span class="copyright">Screenshoot/Gemeind Gottes/Youtube</span>
Versammlungen finden trotz Verbot sowie ohne Mindestabstand und Masken statt. Screenshoot/Gemeind Gottes/Youtube

Offensichtlich keine Berührungsängste hat die radikal gläubige Gemeinschaft mit den sozialen Medien, über die sie nun schon seit geraumer Zeit ihre teils kruden Theorien zum Thema Corona verbreitet. In einem Video mit dem Titel „Was steckt hinter Corona?“ wird etwa Bill Gates zum Strippenzieher der Pandemie gemacht. In einem anderen Filmchen „beten“ Kinder der Gemeinde offensichtlich auswendig gelernte Sätze herunter: Sie freuen sich, dass sie in die Schule gehen dürfen und keine Masken tragen müssen. Ein Mädchen meint, dass ihr die Leute leidtun, „die es nicht so gut haben wie wir“. Und über einer Fotostrecke von einem gut besuchten Gartenfest samt Volleyball spielender Frauen in langen Röcken heißt es: „Wir sterben lieber an Corona als an Einsamkeit“.

Drei Fragen an…

Christian Feichtinger, Theologe und Freikirchen-Experte, Institut für Katechetik und Religionswissenschaften an der Universität Graz.

1 Was sind Freikirchen?

Christian Feichtinger: Freikirchen verstehen sich als konsequente Weiterführungen der Reformation. Die Zugehörigkeit zur Kirche und die Taufe sollen allein auf eigener Entscheidung und auf einem persönlichen Glauben beruhen. Die Bibel gilt als einzige Quelle des Glaubens.Wichtig für sie ist die Unabhängigkeit von den großen Kirchen und von staatlichen Einflüssen.

2 Wie ist die in Vorarlberg ansässige „Gemeinde Gottes“ einzuordnen?

Feichtinger: Sie steht zwar in der freikirchlichen Tradition, versteht sich aber nicht als neue Konfession, sondern als Wiederherstellung der Urkirche, als einzig wahre Form von Kirche. Im Vordergrund steht die Heiligung des Lebens, also eine möglichst vollkommene Lebensweise. Daher geht sie auch auf Distanz zur modernen, säkularen Gesellschaft.

3 Die Gemeinde lebt sehr abgeschottet von der Außenwelt. Birgt das nicht die Gefahr, dass sich hier sektenähnliche Strukturen bzw. Abhängigkeiten ausbilden können?

Feichtinger: In allen geschlossenen Systemen, egal ob religiös oder nicht, gibt es diese Gefahr: Wenn sich die Vorstellung, eine geistige Elite zu sein, mit einem starken Innen-außen-Denken verbindet, wenn es kaum mehr Austausch mit der Außenwelt gibt und diese Außenwelt abgewertet wird, führt das zu sozialem Druck und Abhängigkeiten.

Sprachrohr der „Gemeinde Gottes“ ist der 24-jährige Jonathan Anselm. Der gebürtige Deutsche, im Brotberuf Qualitymanager bei einem Automobilzulieferer, dient als Pastor und ist mit seinen jungen Jahren schon Gemeindeältester. Im NEUE-Gespräch macht er keinen Hehl aus seinen Ansichten. „Ich bin kein Corona-Leugner, aber ich halte die Maßnahmen für unverhältnismäßig. Es wird Angst verbreitet, und die Menschen werden systematisch unterdrückt.“ Die Impfung bezeichnet er als „reine Geschäftemacherei“.
Wie weitere veröffentlichte Videos zeigen, trat Anselm jüngst auch als Redner bei Anti-Corona-Demonstrationen in Bregenz, Innsbruck und Wien auf. Dort schimpfte er unter anderem auf „die Medien“ und rief zum „Widerstand gegen die Gesundheitsdiktatur“ auf.

Corona-Kontrollen

Ähnliche Töne schlägt der eloquente Pastor der nicht anerkannten Glaubensgemeinschaft bei seinen Predigten an, die er trotz Versammlungsverbot abhält. „Die Zusammenkünfte lassen wir uns sicher nicht nehmen. Sie sind unser Leben und unsere Freude, wir Menschen brauchen die Gemeinschaft“, stellt Anselm klar. Die Polizei sei deswegen schon viermal vorbeigekommen.
Dass es Kontrollen in der „Gemeinde Gottes“ gab, bestätigt auch Arnold Brunner von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz. „Wir waren gemeinsam mit der Bundespolizei mehrmals vor Ort. Dabei haben wir festgestellt, dass weder Mindestabstände eingehalten noch Masken getragen wurden.“
Wie die NEUE erfuhr, wurden mehrere Anzeigen nach der Covid-19-Notmaßnahmenverordnung erstattet. Gegen den Pastor selbst wird wegen „fahrlässiger Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten“ ermittelt. Im Fall einer Verurteilung muss der Freikirchler mit einer Haftstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen rechnen. Anselm ist davon überzeugt, dass das Verfahren eingestellt wird. Denn es könne nicht nachgewiesen werden, dass jemand durch sein Verhalten zu Schaden gekommen sei. „Wir haben keine Corona-Erkrankten in der Gemeinde.“ Anders als bei der „Pfingstkirche Gemeinde Gottes“ in Ober- und Nieder­österreich, wo es zu Cluster-Bildungen mit mehreren Hundert Infizierten kam, gab es in Vorarlberg lediglich einen eindeutigen Fall. Die betreffende Person habe sich in Quarantäne begeben, bis sie gesund gewesen sei, erinnert sich Anselm. „Darauf lege ich großen Wert. Kranke abzusondern ist meiner Meinung nach gesunder Menschenverstand, Gesunde abzusondern ist kranker Machtmissbrauch.“

Der „Gemeindeälteste“ Jonathan Amselm (24) im NEUE-Gespräch. <span class="copyright">Hartinger</span>
Der „Gemeindeälteste“ Jonathan Amselm (24) im NEUE-Gespräch. Hartinger

Ein ganz anderes Problem spricht der Dalaaser Bürgermeister Martin Burtscher an. Zum einen sei es sehr befremdlich, dass nicht einmal die Kinder integriert werden dürften. Zum anderen missfällt ihm die Tatsache, dass sich die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft überhaupt nicht ins Gemeindeleben einbringen, „auf der anderen Seite aber alles, was nur möglich ist, aus der Gemeinde rausholen, seien es Sozialleistungen oder Vergünstigungen“. Das sorge für einen gewissen Unmut.
Der Gemeindepastor spricht von einer Pauschalverurteilung. „Das sind Einzelne, die so agieren. Ich heiße das nicht gut, akzeptiere die Leute aber als Teil der Gemeinde. Ich bin mir bewusst, dass das durchaus rufschädigend sein kann.“
Neben Mitgliedern, die offensichtlich wenig finanziellen Spielraum haben, dürfte es in der Religionsgemeinde auch Familien geben, die sich große Häuser und Grundstücke leisten können. Dem Vernehmen nach zahlen manche Mitglieder deutlich über dem Marktpreis.
Allein in Dalaas besitzen die Mitglieder der „Gemeinde Gottes“ mindestens fünf Häuser. Aber auch in Braz, Bürs, Bludenz und im Montafon haben sich Mitglieder angesiedelt, Die Frage, ob es unbekannte Geldflüsse innerhalb der weltweit vernetzten Freikirche gebe, verneint der Pastor.