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Kann Van der Bellen Blümel noch vertrauen?

23.06.2021 • 15:09 Uhr
Kann Van der Bellen Blümel noch vertrauen?

Bundespräsidenten wird von VfGH vor ein Dilemma gestellt.

In einem meiner alten Verfassungsrechtsskripten fand sich bei der Beschreibung des positiven Kompetenzkonflikts – das ist, wenn sich zwei oder mehrere Behörden für dieselbe Frage zuständig erklären – die süffisante Anmerkung: “(Kommt in der Praxis nicht vor.)”

Ein höchstrangiges Beispiel dafür – eigentlich: einen negativen Kompetenzkonflikt – haben soeben Verfassungsgerichtshof und Bundespräsident abgeliefert, die die Beurteilung des Handelns von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) wie eine heiße Kartoffel hin- und herschupfen.

Die heiße Kartoffel

Der VfGH hatte bekanntlich entschieden, Blümel muss dem U-Ausschuss eine ganze Reihe von der Opposition angeforderter Mails und anderer Akten liefern, die er nicht herausgeben wollte. Blümel wollte noch einmal nachverhandeln, ließ eine Frist verstreichen – der VfGH entschied daraufhin, seinen Spruch exekutieren zu lassen. Zuständig dafür: Der Bundespräsident.

Wie es oft ist, wenn man die Mitteilung bekommt, dass der Exekutor am Weg ist, beeilte sich Blümel plötzlich, zu liefern und übermittelte dem Parlament buchstäblich einen ganzen Haufen Akten. Er sagt, er sei damit all seinen Pflichten nachgekommen, die Opposition findet, er hätte mehr herausgeben müssen.

Van der Bellen wollte daraufhin, dass der Verfassungsgerichtshof als sein Auftraggeber ihm sagt, wie weiter vorzugehen ist: reicht Blümels Beteuerung, er habe alles relevante geliefert – oder müsse er die Exekution durchführen?

Der Präsident muss entscheiden

Nun hat sich das Höchstgericht aber recht elegant aus der Affäre gezogen und in einer knappen Mitteilung erklärt, es sei ja nicht der exekutionsrechtliche Gläubiger Blümels noch sei anderweitig festgeschrieben, dass der VfGH hier irgendwas zu entscheiden habe. Der Bundespräsident müsse das (mit “weitreichendem Spielraum”) selbst beurteilen.

Nachdem es über dem VfGH niemanden mehr gibt, der das anderweitig entscheiden könnte, liegt die heiße Kartoffel jetzt in Van der Bellens Spielfeld. Und das ist für ihn – in seinem Amt an der Schnittstelle von politischem Staatsoberhaupt und Verwaltungsorgan, das die Anordnung des Gerichts umzusetzen hat – recht unangenehm.

Denn die Entscheidung, die ihm nun abverlangt wird, ist im Kern eine politische Frage: Glaubt er Blümel, dass er ordnungsgemäß geliefert hat – oder nicht?

Akzeptiert der Präsident ohne weiteres die Erklärung des Ministers, kann man ihm vorwerfen, seiner Funktion als “Notar der Republik” und als Exekutionsorgan nicht gerecht zu werden.
Entscheidet er dagegen, das Finanzministerium filzen zu lassen, stellt sich automatisch die Frage, ob Blümel noch genug Vertrauen des Präsidenten genießt, sein zentrales Ministerium zu führen.

In der Hofburg rauchen die Köpfe

In der Hofburg rauchen aktuell jedenfalls die Köpfe, wie man mit diesem Dilemma umgeht – bis auf ein mageres “wir haben die Mitteilung des VfGH erhalten” ist von dort bisher nichts zu hören.

Gut möglich, dass Van der Bellen zu dem Schluss kommen, dass es – im Sinne seines Amtes – am schlauesten ist, den Ball abermals weiterzuspielen. Die Verfassung gibt ihm weitreichende Möglichkeiten, jedes Bundes- oder Landesorgan zur Exekution heranzuziehen.

Eine salomonische Lösung wäre, nun auch zur Überprüfung der Lieferung ein Organ zu beauftragen, das einerseits Erfahrung damit hat, Verwaltungsorgane zu prüfen – und andererseits die nötige Neutralität, um Blümel nicht öffentlich unter Verdacht zu stellen (was der Effekt wäre, würde Van der Bellen Polizei oder Staatsanwälte beiziehen).

In Frage käme zum Beispiel der Rechnungshof – der sich, sollte der Präsident rufen, dann auch nicht für unzuständig erklären kann.