„Vom Staat erwartet sich niemand etwas“

Caritas-Mitarbeiter Robert Moosbrugger betreut Projekte in Haiti.
Über 2000 Tote, weit über 10.000 Verletzte und Unmengen an zerstörten Häusern, Gebäuden und Infrastruktur sind die bisherige Bilanz des schweren Erdbebens, das vor gut einer Woche Haiti erschüttert hat. Noch wird weiter verzweifelt nach Überlebenden gesucht, die unter den Trümmern liegen könnten.
Einer, der den Inselstaat in der Karibik gut kennt, ist der in Bregenz lebende gebürtige Alberschwender Robert Moosbrugger. Der 45-Jährige arbeitet seit 2010 bei der Auslandshilfe der Caritas. In jenem Jahr war er auch das erste Mal in Haiti, als er nach dem damaligen schweren Erdbeben die Hilfsaktion der Caritas Österreich leitete.

Als Moosbrugger vorvergangenen Samstag die ersten Nachrichten und Bilder vom neuerlichen Erdbeben erhielt, konnte er es zuerst gar nicht wirklich glauben. „2010 war die Rede davon, dass es sich um ein Jahrhundertereignis handelte. Dass es innerhalb von elf Jahren wieder ein Erdbeben in der Größenordnung gibt, hätte niemand erwartet.“
Auch wenn er nicht vor Ort ist, kann sich Moosbrugger die Situation gut vorstellen. „In den Dörfern und Städten suchen die Menschen in den Trümmern verzweifelt nach ihren Angehörigen – mit Spitzhacken, weil es kein schweres Gerät gibt.“ Ein Riesenproblem in Haiti sei die massive Betonbauweise der Gebäude, die zwar den immer wiederkehrenden Hurrikans trotze, bei Erdbeben aber zur tödlichen Falle werde, erklärt er.
Hurrikan “Matthew” 2016
2010 hatte die Caritas nach der ersten Katastrophenhilfe ein Wiederaufbaugrogramm und Entwicklungshilfe im Land gestartet, die bis heute laufen und von Moosbrugger betreut werden. Daher war er in den vergangenen Jahren auch regelmäßig im Land. Ein Fokus des Programm liegt dabei auf Bildung. 2016 hat dann der Hurrikan „Matthew“ große Teile des Südwestens des Karibikstaates zerstört. Damals wurde wieder eine Not- und Katastrophenhilfe gestartet. Diese Gebiete sind es auch, die jetzt vom Erdbeben am stärksten betroffen sind.
Die ersten Nachrichten vom jetzigen Beben hat der Vorarlberger bereits am Samstag von Partnern vor Ort, mit denen die Caritas zusammenarbeitet, erhalten – wobei die Situation damals sehr unübersichtlich war, was sie teils bis heute ist. Das dortige Netzwerk bezeichnet Moosbrugger auch als großen Vorteil, den man jetzt habe.

Bewundernswert an den Haitianern sei deren große Resilienz, berichtet der 45-Jährige von seinen Erfahrungen. Die dortige Bevölkerung sei ständig mit irgendwelchen Krisen konfrontiert: politischen, Naturkatastrophen und Gewalt. Psychisch sei es für viele Menschen aber schwierig, eine positive Zukunftshoffnung zu erhalten. Viele würden auch versuchen, das Land zu verlassen, was aber nicht so einfach sei. Vom Staat erwarte sich niemand etwas.
Zwar gebe es in Haiti auch viele kleine lokale, vor allem kirchliche Hilfsorganisationen, viele große NGOs hätten das Land aufgrund der unsicheren Sicherheitslage in den letzten Jahren aber verlassen, erzählt Moosbrugger. So hätte etwa die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erst vor Kurzem ein Spital in der Hauptstadt Port-au-Prince schließen müssen, weil das Klinikpersonal von gewalttätigen und verbrecherischen Gangs attackiert worden sei – eine Einrichtung, die jetzt vielen Menschen das Leben hätte retten können.
Spendenkonto
Caritas Vorarlberg, Raiffeisenbank Feldkirch
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Kennwort: Erdbeben Haiti
Online-Spenden: www.caritas-vorarlberg.at
„Ich befürchte, dass dieses Mal die internationale Hilfe recht bescheiden sein wird“, zeigt sich der Caritas-Mitarbeiter pessimistisch. Er selbst ist seit zwei Jahren nicht mehr nach Haiti geflogen, weil die Lage zu gefährlich wurde. Die Gangs hätten sich auf Entführungen spezialisiert und schon am Flughafen ihre Späher, erzählt er. „Niemand ist sicher. Vor einem halben Jahr wurde eine Gruppe von Nonnen und Priestern entführt, die zu einer Primiz dort waren.“
Daher wird die Caritas Österreich dieses Mal auch keine eigenen Leute ins Land schicken, sondern verstärkt mit den dortigen Partner zusammenarbeiten. In einem ersten Schritt wurden Hygienepakete verteilt, um die Gefahr von Seuchen einzudämmen, in einem weiteren Schritt werde dann die Gemeindeinfrastruktur mit lokalen Arbeitern wieder aufgebaut, berichtet Moosbrugger.

2016 habe man nach dem Hurrikan im Südwesten des Landes zwei sturm- und erdbebensichere Gemeindezentren gebaut, erzählt der Vorarlberger. Die hätten dem jetzigen Beben standgehalten. Derzeit seien sie voll mit Leuten, die Schutz gesucht haben und sich von dort aus wieder organisieren können. „Es sind zwar nur zwei Zentren, aber es sind jetzt mehrere Hundert Familien dort, die ein Dach über dem Kopf haben.“
Schwierig mache die Situation auch, dass es derzeit für internationale Organisationen keine staatlichen Ansprechpartner gebe. Der Präsident des Landes wurde Anfang Juli ermordet. „Nicht überraschend“, sagt der Caritas-Mitarbeiter, „das war nicht der erste.“ Er geht davon aus, dass die Hintergründe dafür wohl nie geklärt werden. Dadurch habe sich aber die ohnehin schon angespannte politische Situation zugespitzt.
Indes steigt die Zahl der Opfer des Erdbebens nach wie vor und Moosbrugger befürchtet, dass es noch mehr werden – in einem Land, das seit Langem zu den ärmsten der Welt gehört.