Soziale Medien als Plattform für Fake News

Fritz Jergitsch fordert die Regulierung von Facebook und Co.
Herr Jergitsch, Sie haben ein Buch über den Aufstieg von Social Media wie Facebook und Twitter geschrieben – und darüber, was für ein großer Unruheherd das für Gesellschaft und Politik geworden ist. Vom Gründer der „Tagespresse“ hätte man vielleicht etwas Lustigeres erwartet.
Fritz Jergitsch: Witze mach‘ ich eh nine to five. Ich habe es genossen, in ein Thema einzutauchen, ohne in jedem zweiten Satz eine Pointe einzubauen.
Als Chef des besten Satireportals Österreichs kennen Sie die Dynamik von Shares und Likes gut. In Oberösterreich ist gerade eine Impfgegner-Partei dank Social Media aus dem Nichts in den Landtag eingezogen. Was passiert denn da gerade?
Jergitsch: Verschwörungstheorien sind in einer Pandemie nichts Neues. Neu sind zwei Faktoren: Einerseits die durch das Internet bedingte Nischenbildung; vor 30 Jahren war ein Verschwörungstheoretiker am Stammtisch alleine. Heute kann der sich per Knopfdruck mit Gleichgesinnten in aller Welt verbinden. Dadurch wirken diese Ränder der Gesellschaft viel größer, als sie sind. Der zweite Faktor sind die sozialen Medien; die sind aufgrund der algorithmischen Gewichtung ihrer Inhalte darauf getrimmt, Fake News zu enormer Verbreitung zu verhelfen. Diese Faktoren führen zu einer starken Dynamik von Bewegungen wie der MFG-Partei.
Auch die „Tagespresse“ ist durch soziale Medien groß geworden. Wie unterscheidet man „gute“ Fake News wie jene auf einem Satireportal von schlechten, die zu Gewalt und Übergriffen führen?
Jergitsch: Die Trennung fällt auch mir schwer. Wir haben vor einigen Jahren einen Artikel gepostet, „Strache fordert Abriss der Moschee am Karlsplatz“ (mit dem Bild der Karlskirche, Anm.). Ein paar Monate später hat das seinen Weg in rechtsextreme Gruppen gefunden, die damit Stimmung gegen Zuwanderer gemacht haben. Das hat mir Bauchweh gemacht.
Zur Person
Fritz Jergitsch, geboren 1991 , hat 2013 „Die Tagespresse“ gegründet, ein satirisches Onlinemedium.
In seinem gerade erschienenen Buch „Die Geister, die ich teilte“ (Residenz) erörtert Jergitsch die Macht sozialer Medien – und fordert deren Regulierung.
Sie schlussfolgern, dass die sozialen Medien reguliert gehören. Wie sollte man das angehen?
Jergitsch: Was mir Sorgen macht, ist, ob das gelingt, bevor es zu Zuständen wie in Deutschland 1932 kommt, dass jemand eine radikale Ideologie vertritt und die via Social Media so verbreiten kann, dass es zur Katastrophe kommt. Die EU arbeitet gerade daran, soziale Medien zu einer Offenlegung der Algorithmen zu zwingen. Das kann aber nur ein erster Schritt sein; wir müssen beginnen, die Algorithmen zu regulieren. Langfristig müssten die sozialen Medien als öffentliche Infrastruktur wahrgenommen werden – und Dinge wie die Sperre von Trump durch Mitsprache der User demokratisch legitimiert werden.
Vertrauen Sie da nicht sehr auf die Weisheit der Masse?
Jergitsch: Es geht da weniger um richtig oder falsch, sondern um Legitimation. Es kann nicht sein, dass in irgendeinem Konferenzraum still entschieden wird, dass der mächtigste Mann der Welt einfach so, mit einem Fingerschnippen, sein wichtigstes Sprachrohr verliert.

Würde eine solche Regulierung nicht einem der großen Heilsversprechen des Internets zuwiderlaufen, der Demokratisierung der freien Meinungsäußerung?
Jergitsch: Das erfüllt sich ohnehin nicht. Gerade die Mechanismen der sozialen Medien führen zu kolossalem Marktversagen: Das sind im Wesentlichen Werbefirmen, die uns möglichst lang an den Bildschirm fesseln wollen und die daher nichts gegen Fake News und Polarisierung tun, sondern lieber angstfördernde Inhalte verbreiten. Ich halte das für viel gefährlicher für Minderheiten und Demokratie, als zu sagen, wir müssen die sozialen Medien regulieren.
Angst schürende Medien gibt es doch, seit es die Druckerpresse gibt. Was ist daran neu?
Jergitsch: Stimmt, schon Napoleon hat Propaganda zu nutzen gewusst, Hitler und Goebbels haben den Rundfunk instrumentalisiert. Was die sozialen Medien anders macht, ist der Hebeleffekt: Nicht einmal Hitler hat es geschafft, in 24 Stunden von null weg 20.000 Menschen mit Falschnachrichten zu erreichen. Wir haben das mit der Tagespresse gleich am ersten Tag geschafft, das kann heute jeder.
Donald Trump hat mit seinen Tweets zig Millionen erreicht.
Jergitsch: Das ist ein gutes Beispiel: Bis heute glauben 40 Prozent der Amerikaner, dass die Präsidentenwahl manipuliert worden ist. Das ist die Macht der sozialen Medien, dass sie uns in Paralleluniversen, in Echokammern sperren, in denen ich nur mehr Nachrichten akzeptiere, die mein Weltbild bestätigen – und alles andere ist Fake News.
Der andere Trend, den Sie beschreiben, ist die Erosion der demokratischen Institutionen weltweit. Kann man diese beiden Tendenzen voneinander trennen?
Jergitsch: Wir erleben, was Politologen als dritte Welle der Autokratisierung bezeichnen. Die Gründe sind vielschichtig, aber wenn ich mir ansehe, wie Donald Trump Twitter als Waffe eingesetzt hat, wie Putin mit Russia Today seine Propaganda bis nach Österreich transportiert oder wie die Militärjunta in Myanmar via Social Media den Völkermord an den Rohingya katalysiert, glaube ich schon, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Autokratisierung und Social Media gibt.
Sehen Sie solche Tendenzen in Österreich auch?
Jergitsch: Zumindest die ÖVP scheint verstanden zu haben, wie sie mit Polarisierung arbeiten kann. Die funktioniert sehr gut in den sozialen Medien, weil sie nicht nur eine Emotion verursacht, sondern zwei – und damit zwei Zielgruppen bedient. Diese Aufsplitterung in Fronten merkt man bei vielen Themen.
Apropos ÖVP: Sie klagen den Abgeordneten Hanger, weil er Ihnen als Satiriker Konkurrenz mache. Gehen Sie da nicht zu weit?
Jergitsch: Es geht erstens darum, die destruktive Rhetorik Hangers zu entlarven. Zum anderen verdient das Gericht mit dieser Klage 792 Euro. Was ich bedenklich finde, ist, dass das Gericht offenbar mit allen möglichen Spaßklagen der ÖVP gegen Medien und Social-Media-Nutzer eingedeckt ist, sodass es keine Zeit hat, unsere sehr wichtige Klage zu bearbeiten.
Das müssen Sie natürlich sagen. Aber nutzen Sie da nicht genau den Mechanismus, den Sie ankreiden? Sie klagen, in den sozialen Medien jubeln ÖVP-Gegner, ÖVP-Anhänger sind empört.
Jergitsch: Das könnte man über jede Form von Kritik sagen. Das Problem ist nicht die Kritik an sich, sondern dass die Algorithmen gezielt Meldungen fördern, die uns in ÖVP-Unterstützer auf der einen, ÖVP-Gegner auf der anderen Seite polarisieren, weil das mehr Interaktionen bringt.

Was passiert in so einem Szenario mit gemäßigten Institutionen, als Partei oder als Medium?
Jergitsch: Es gibt kein Interesse dagegenzuhalten. Weil man sehr gut davon profitieren kann. Nehmen wir Servus TV, wo sich Ferdinand Wegscheider hinstellt und den Attila Hildmann für Babyboomer spielt. Letzte Woche hat er mich in einem Video als Brunnenvergifter bezeichnet, das hat auf Facebook 16.000 Shares. Diese Polarisierung ist ein Geschäftsmodell.
Wie bekommen wir das regulatorisch unter Kontrolle?
Jergitsch: Das Kernproblem ist, dass soziale Medien alles nach Interaktion gewichten: Posts mit mehr Likes und Kommentaren werden weiter verbreitet. Man sollte verbieten, Inhalte nach der Zahl der Interaktionen zu verbreiten. Man muss die Unternehmen zwingen, andere Wege zu finden, Relevanz zu bewerten. Der Google-Suchalgorithmus kann das schon sehr gut.
Würde das nicht die „Tagespresse“ umbringen?
Jergitsch: Vielleicht. Aber ich hoffe, dass unser Überleben nicht vom Marktversagen der sozialen Medien abhängig ist. Und wenn es so wäre, bin ich der Erste, der sagt, ok, müssen wir ändern.