Allgemein

„Telegram reagiert einfach nicht“

15.12.2021 • 22:00 Uhr
<span class="copyright">Reuters</span>
Reuters

Die dunkle Seite des Nachrichtendienstes Telegram rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Inmitten der Kazim Towers, Stock 23, nicht unweit von Dubais Marina-Spaziermeile entfernt, liegt der Hauptsitz Telegrams. Als ein Team des deutschen Magazins Spiegel aber dort auftaucht, findet man nur eine erstaunte Rezeptionistin. „Sie habe in den drei Jahren, in denen sie hier arbeite, noch nie jemanden gesehen, der in das Büro gegangen sei“, erinnert der Spiegel an das kuriose Treffen. Tatsächlich ist über das Firmennetzwerk hinter dem Nachrichtendienst Telegram wenig bekannt, nur geringfügig mehr weiß man über den Gründer. An der Spitze steht mit Pawel Durow ein 36-Jähriger, der mit dem russischen Facebook-Klon VKontakte reich wurde, immer wieder an Russlands politischer Führung aneckte, heute als Nomade lebt und sich rar macht.

Umso präsenter ist sein Netzwerk. Mit Beginn der Coronakrise gewann der Dienst gewaltig an Popularität, zu Beginn des Jahres und wegen neuer Datenschutzregeln bei WhatsApp setzte eine digitale Völkerwanderung ein. 13 Prozent der österreichischen Internetnutzer verwenden Telegram, weltweit nutzen 500 Millionen Menschen den 2013 gegründeten Dienst. Dessen Unschuld scheint längst verloren. Telegram gilt nicht nur als technisch feiner Kommunikationskanal für freundschaftlichen Austausch – sondern auch als Hort für Verschwörungstheorien und Beschleuniger von politischem Extremismus. Zuletzt sorgte eine Morddrohung gegen Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer für Aufregung.

Technologie und Ideologie

Den Boden für derlei Vorgänge bereiten beim Nachrichtendienst Technologie und Ideologie. Einerseits können über die populäre Gruppenfunktion binnen Sekunden Hunderttausende Menschen erreicht werden. Andererseits lebe Telegram ein „überbordendes Meinungsfreiheitsverständnis“, wie die Social-Media-Expertin und Autorin Ingrid Brodnig sagt. „Telegram gibt seinen Nutzern mehr Freiheit als jede andere App“, formuliert Pawel Durow das Dogma. Inhalte, die anderswo im Netz schnell gelöscht sind, gelten auf Telegram als unantastbar. „Sie können dort nicht davon ausgehen, dass Hetze entfernt wird“, sagt Brodnig. Eine deutsche Untersuchung kam im Juli 2020 zum Schluss, dass Telegram nur etwa jeden zehnten gemeldeten rechtsextremen Beitrag lösche. „Terrorgram“ rufen das Netzwerk deswegen jene, denen es ein Dorn im Auge ist.

Keine Löschung

Auch in heimischen Polizeikreisen kennt man das Problem. Bei kriminalpolizeilichen Ermittlungen stehe man oft vor dem Problem, auf verbotene Inhalte zu stoßen, diese jedoch nicht zur Löschung bringen zu können. Es werde versucht, bei Facebook, Instagram und Twitter gelinge das auch häufig. „Aber der Anbieter von Telegram reagiert nicht“, heißt es seitens der Exekutive. Deutschland schickte zwei Mahnschreiben an die Dubaier Telegram-Anschrift und drohte Bußgeld in Höhe von 55 Millionen Euro an. Bis dato wartet man auf eine Antwort.

Zugriffsrechte

Im Verfassungsschutz wiederum wünscht man sich weitreichendere Zugriffsrechte, was die Überwachung von Kommunikation über verschlüsselte Kanäle betrifft. Eine solche „gibt die aktuelle Rechtslage nicht her“, sagt Omar Haijawi-Pirchner, Direktor des neu aufgestellten Staatsschutzes DSN. „Für Bereiche wie der organisierten Kriminalität oder der Terrorismusbekämpfung wäre eine tiefer gehende Überwachung aber notwendig.“ Ein Vorstoß, der bei Innenminister Gerhard Karner bisher wenig Anklang findet. „Ich gehe davon aus, dass die Parlamentsparteien diese Dinge besprechen und die Exekutive hier mit den besten Möglichkeiten ausgestattet ist“, meinte er. Markus Zottler und Christina Traar