„Es braucht Menschen, die gut im Leben stehen“

Symbolbild Vorarlberger Kinderdorf
Fachbereichsleiterin Isabella Böckle über fehlende Pflegefamilien im Land.
Wie viele Pflegefamilien gibt es derzeit in Vorarlberg und wie viele Kinder betreuen sie?
Isabella Böckle: Im Moment gibt es 230 Pflegekinder in Vorarlberg und die leben in 183 Pflegefamilien im ganzen Land verteilt.
Ist die Zahl der Kinder, die eine Pflegefamilie brauchen, in den vergangenen Jahren gestiegen?
Böckle: Nein, das ist eine Zahl, die eigentlich über die Jahre recht konstant ist.
Pflegeeltern gesucht
Jährlich werden vom Pflegekinderdienst des Vorarlberger Kinderdorfs für durchschnittlich 15 Kinder Pflegeeltern gesucht. Allerdings gibt es derzeit zu wenig. „Wenn wir keine neuen Pflegeeltern finden, wird es ab Mai eng“, heißt es vonseiten des Pflegekinderdienstes. Durch Informationsgespräche, Hausbesuche, Seminare und Reflexionsgespräche werden künftige Pflegeeltern auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ein neuer Vorbereitungskurs, für den es noch viele Plätze gibt, beginnt Mitte März. Ausführliche Informationen unter unter www.vorarlberger-kinderdorf.at/pflegekinderdienst
Aus welchen Gründen kommen Kinder in Pflegefamilien?
Böckle: Ein Großteil unserer Kinder hat durchaus Vernachlässigung oder auch Gewalt erfahren. Die Sozialarbeiterinnen der Kinder- und Jugendhilfe treffen die Entscheidung darüber, dass ein Kind nicht mehr bei seiner Familie leben kann und entscheiden dann auch, dass ein Kind auf einen Pflegeplatz kommt.
Haben sich diese Gründe geändert?
Böckle: Nein, es sind eigentlich gleichbleibende Gründe. Oft sind es einfach belastende Situationen oder Geschichten, die die leiblichen Eltern haben. Das sind Eltern, bei denen eine Suchtproblematik vorliegt oder eine psychische Erkrankung oder die in der Erziehung völlig überfordert sind.
Warum wird es immer schwieriger, Pflegefamilien zu finden?
Böckle: Es hat eine Veränderung in unserer Gesellschaft gegeben. Früher war das eher so, dass die Frauen öfters zu Hause geblieben sind. Es gab größere Häuser, es war viel mehr Platz da. Heute merke ich, wenn ich so rundum schaue, dass Frauen sehr lange im Berufsleben bleiben, oft nur kurzfristig aussteigen, aber auch die Wohnverhältnisse haben sich wie gesagt sehr verändert. Oft gibt es keine Kinderzimmer mehr, die übrig sind.
Was sind die Voraussetzungen, um Pflegefamilie zu werden?
Böckle: Voraussetzungen sind, dass man stabile Lebensverhältnisse mitbringt. Das betrifft die finanzielle Situation, die Wohnsituation oder auch die berufliche Situation. Auch einen einwandfreien Leumund muss man mitbringen und man braucht ein stabiles, soziales Netz, wenn man ein Pflegekind aufnimmt. Das sind Menschen, die gut im Leben stehen, aber auch Zeit zur Verfügung haben, um ein Kind aufzunehmen und ihm das zu geben, was es braucht. Das dürfen und sollten aber schon auch Menschen sein, die eine gewisse Standfestigkeit haben, also auch etwas aushalten. Sie sollten aber auch Erziehungskompetenz haben, liebevoll, offen sein und Humor habe ich in all den Jahren immer als sehr hilfreich erlebt.
Können das auch Alleinerziehende oder homosexuelle Paare sein?
Böckle: Ja, das können sie.
Gibt es die auch?
Böckle: Ja, es gibt einige wenige Fälle von Alleinerziehenden und homosexuellen Paaren in Vorarlberg, die ein Pflegekind haben.

Vorarlberger Kinderdorf
Wie schaut die rechtliche und finanzielle Absicherung für Pflegeeltern aus?
Böckle: Rein rechtlich wird den Pflegeeltern die Pflege und Erziehung übertragen. Das heißt, das Kind zu pflegen und zu versorgen und Entscheidungen des alltäglichen Lebens treffen zu können. Bei der finanziellen Unterstützung gibt es Pflegegeld und natürlich auch die Familienbeihilfe.
Wie hoch ist das Pflegegeld?
Böckle: Das ist nach dem Alter des Kindes gestaffelt und liegt zwischen 500 und 800 Euro.
Wie lange bleiben die Kinder durchschnittlich in den Familien?
Böckle: 13 Jahre. Der Großteil unserer Kinder wird in den Pflegefamilien volljährig.
Zur Person
Isabella Böckle
Geboren 1986 in Dornbirn.
Sozialarbeiterin, Studium an der Fachhochschule Vorarlberg.
Zusatzausbildung: Traumapädagogin.
Seit 2015 im Pflegekinderdienst des Vorarlberger Kinderdorfs tätig, seit Dezember 2019 Fachbereichsleiterin.
Wie ist der Kontakt vom Pflegekind zu den leiblichen Eltern?
Böckle: Der Großteil der Pflegekinder hat Kontakt zu seinen Eltern oder Geschwistern oder zu einer anderen wichtigen Bezugsperson wie zum Beispiel Großeltern oder Onkel oder Tante. Das gestaltet sich ganz unterschiedlich. Jedes Pflegekind hat eine andere Kontaktgestaltung zum Familiensystem. Im Fokus steht dabei das Wohl des Kindes, aber auch, welche Kompetenzen die Eltern oder Großeltern mitbringen. Aber es ist ein großes Anliegen, dass ein Kind auch weiterhin Kontakte zu seiner Familie hat.
Passiert es auch, dass es in einer Familie mit dem Pflegekind nicht funktioniert und eine andere gesucht werden muss?
Böckle: Das kann im Einzelfall passieren. Die Erfahrungen, die ich dazu gemacht habe, waren meistens so, dass wenn ein Pflegeverhältnis ins Wanken kommt, es meist ganz am Anfang ist. Es wird da meist recht schnell klar, dass die Pflegefamilie das doch nicht leisten kann, was das Kind braucht. Wir sind ja in einem engen Kontakt mit unseren Pflegeeltern und in engem Austausch und dann sucht man gemeinsam nach einer guten Lösung. Das sind natürlich auch Situationen, in denen man dann schauen kann, ob eine andere Pflegefamilie das mitbringt, was dieses Kind braucht.
Wie schaut der Kontakt zwischen Pflegekind und Pflegeeltern nach der Volljährigkeit aus? Wissen Sie das?
Böckle: Ich habe mich gerade im Sommer mit erwachsenen Pflegekindern zu einem Austauschgespräch getroffen. Von diesen hatten alle Kontakt zu ihren Pflegeeltern. Entweder haben sie noch dort gewohnt oder sie waren gerade ausgezogen und gingen dann aber mehrmals in der Woche zum Mittagessen „heim“ oder pflegten telefonischen Kontakt, wenn sie weggezogen waren – wie bei leiblichen Kindern.
Wie schauen diese Erwachsenen auf ihre Zeit in den Pflegefamilien zurück?
Böckle: Die haben das als positiv erlebt und als schön empfunden. Die haben alle gewusst, warum sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen bzw. nicht aufwachsen konnten. Die haben das sehr geschätzt, dass sie in eine Familie gekommen sind. Vor allem haben sie diesen familiären Zusammenhalt, das entgegengebrachte Vertrauen und sich einer Familie zugehörig zu fühlen unglaublich geschätzt. Sie haben sich sehr unterstützt gefühlt von ihren Pflegeeltern und auch gesagt, das sind tolle Menschen, von denen wir viel lernen konnten.