„Auseinandersetzungen sind härter geworden“

Seit 2013 gibt es die beim ifs angesiedelte Kompetenzstelle für Siedlungsarbeit.
Lärm, Dreck: Wer je in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, kennt die Punkte, an denen sich häufig Konflikte entzünden. Dieselben Probleme finden sich im Großen auch in Wohnanlagen und Siedlungen, in denen viele Menschen auf relativ engem Raum zusammenleben. Um dem zu begegnen und auch präventiv zu wirken, wurde 2013 vom Land gemeinsam mit dem Institut für Sozialdienste (ifs) die Kompetenzstelle für Siedlungsarbeit eingerichtet.
Schon zuvor war das ifs immer wieder von Gemeinden und gemeinnützigen Wohnbauträgern bei Schwierigkeiten in Wohnanlagen angefragt worden, erzählt Heidi Lorenzi, zuständig für den ifs-Fachbereich Wohnen, wo die Kompetenzstelle angesiedelt ist. Letztlich gab es dann den Auftrag, ein Konzept für eine einschlägige Stelle zu entwickeln, für das es dann einen einstimmigen Landtagsbeschluss gab. Zuständig ist die Kompetenzstelle für Siedlungsarbeit für Wohnanlagen von gemeinnützigen Wohnbauträgern. „Wenn die nicht weiterkommen, holen sie uns ins Boot“, so Lorenzi.
Viele Faktoren
Es sind viele Faktoren, die dazu führen, dass es in einer Wohnanlage allen gut geht, erläutert die Expertin. Angefangen von der Architektur über die Lage und Außenraumgestaltung bis hin zur Vergabe. Lorenzi erinnert sich an einen Fall, in dem eine ältere, nicht mehr mobile Frau direkt über einem Spielplatz einquartiert wurde. Der stete Kinderlärm tagsüber habe dazu geführt, dass sie angefangen habe, Dinge runterzuwerfen. „Wenn da ein Berufstätiger wohnt, ist es kein Problem“, verdeutlicht Lorenzi eine Lösung.
Prinzipiell sind es drei Säulen, auf denen die Arbeit der Kompetenzstelle fußt. Beim operativen Teil werden Projekte entwickelt, die dann teilweise auch andernorts angewendet werden können. Dabei wird auch versucht, mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten bzw. denen die Projektleitung zu übertragen. In Götzis war das etwa bei einem Projekt mit dem Kolpinghaus der Fall. Aufgabe der Kompetenzstelle ist es, Projekte zu stützen und das Know-how zur Verfügung zu stellen, erklärt die Fachbereichsleiterin.

Eine weitere Säule ist das Wissensmanagment. Derzeit sei verdichteter Wohnbau ein großes Thema, wo der Blick stark auf Außenräume gerichtet werde. Unter anderem bekomme man auch Aufträge von der Wohnbauförderung, die die Stelle finanziert. So sei eine Evaluierung von Gemeinschaftsräumen in die Förderrichtlinien übernommen worden, erzählt Lorenzi. Eine dritte Säule beinhalte Netzwerkarbeit und Kooperation. Da geht es um die Zusammenarbeit mit anderen, etwa der Raumplanung oder dem Architekturinstitut.
Was die Konflikte betrifft, seien es sehr oft dieselben Themen, so die Erfahrungen der Fachfrau. Kinderlärm ist eines davon, wobei Lorenzi oft das Gefühl hat, „dass man Kindern und Jugendlichen keinen Platz mehr gibt“. Immer ein großes Thema seien auch zu wenig Parkplätze und der Müllplatz, der entweder verdreckt ist oder wo nicht ordentlich getrennt wird.
„Ich habe oft das Gefühl, dass man Kindern und Jugendlichen keinen Platz mehr gibt”
Heidi Lorenzi, Leitung ifs Wohnen
Die Kompetenzstelle arbeitet aber auch präventiv. So habe es etwa in einer neuen Wohnanlage in Götzis eine Einzugsbegleitung begeben. Dabei hätten sich die zukünftigen Bewohner schon vorher kennengelernt. „Wenn ich jemanden kenne, dann gehe ich nachher eher hin und sage, wenn was nicht passt“, so das einleuchtende Argument. Selten, aber doch gibt es auch verhärtete Nachbarschaftskonflikte. Es gibt auch den einen Mieter, der die gesamte Nachbarschaft gegen sich aufbringt und dann ausziehen muss. „Aber vorher probieren wir alles“, so Lorenzi.
Corona habe die Situation allerdings verschärft, erzählt die Expertin. „Die Auseinandersetzungen sind härter geworden.“ Polizeieinsätze und Gewaltandrohungen hätten zugenommen, weil einfach viele Menschen stark belastet seien und das häufige Daheimhocken ebenfalls nicht dienlich war. „Wenn ich viel um die Ohren habe, kann es schnell kippen.“

Auch Armut könne dazu führen, dass Konflikte entstehen. Wenn man nicht mehr wisse, wie man die Miete aufbringt und Essen auf den Tisch, könne das schnell mal am Nachbarn abgelassen werden, schildert Lorenzi derartige Situationen. Und noch etwas kommt dazu: Einsamkeit. Sich über andere beschweren, sei dabei oft die einzige Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Auch die Arbeit der Kompetenzstelle wurde durch die Pandemie erschwert. Nicht zuletzt deswegen sind nun Videos entstanden, die auf witzige Weise die Themen ansprechen.
Allerdings gibt es nicht überall Probleme. „Es gibt sehr viele Wohnanlagen, in denen wir noch nie etwas zu tun hatten“, relativiert Lorenzi. Daher ist sie auch unglücklich über den schlechten Ruf, den gemeinnütziger Wohnbau in Vorarlberg nach wie vor hat und der in keinster Weise gerechtfertigt sei. Dieses „Ghetto-Bild“ sei nach wie vor vorhanden, entbehre aber jeglicher Grundlage, betont sie.
Delogierungen
Der ifs-Fachbereich Wohnen beinhaltet auch eine Delogierungsprävention. Befragt, ob sich diesbezüglich die steigenden Energiekosten schon auswirken würden, kann Lorenzi vorerst verneinen. „Aber wir wissen, dass das oft zeitverzögert kommt.“ Dazu komme aber, dass die Mieten im gemeinnützigen Wohnbau zwar nach wie vor vergleichsweise günstig seien. Die hohen Grundstückspreise und steigenden Baukosten machen aber auch den gemeinnützigen Wohnbauträgern zu schaffen.
„Im Neubau liegen wir derzeit bei elf Euro pro Quadratmeter warm“, so Lorenzi – Kosten, die für Einkommensschwache nicht so leicht zu stemmen sind. Die Delogierungen hätten über die Jahre aber abgenommen, von 2005 bis letztes Jahr nahezu um die Hälfte, bei zunehmender Bevölkerungszahl. Lorenzi führt das auch stark darauf zurück, dass Delogierungsprävention für viele Stellen ein wichtiges Thema geworden ist, an dem viele aktiv mitarbeiten.