Betroffene an Krisendienste vermitteln

Suizidrate nimmt seit vielen Jahren ab. Dennoch ist jeder Suizid einer zu viel.
Ein Suizidversuch eines Politikers am vergangenen Sonntag und ein Suizid einer Ärztin Ende Juli drangen an und schockierten die Öffentlichkeit. Psychiater und Pensionist Albert Lingg, der früher das LKH Rankweil leitete und noch heute am jährlich erscheinenden Suizidbericht mitarbeitet, sagt zu der Thematik als Erstes: „In so bewegten Zeiten ist es wichtig, sich nicht verrückt machen zu lassen. Es gab Falschmeldungen, dass Suizide enorm zunehmen würden. Tatsächlich ist es aber so, dass sie in deutschsprachigen Ländern abnehmen.“ In den vergangenen 40 Jahren hätte sich die Suizidrate in Österreich und Vorarlberg etwa halbiert.
Albert Lingg räumt jedoch ein, dass dies sich eventuell ändern werde. „Es gibt das Phänomen, dass die psychischen Folgen schwerer Krisen zeitverzögert eintreten. Das war bei der Weltwirtschaftskrise 1929 so, aber auch nach der Finanzkrise 2008.“
Es brauche nach wie vor „Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen“, sagt Albert Lingg. So sollte zum Beispiel jede und jeder wissen, dass es Krisendienste gibt, die rund um die Uhr erreichbar sind. Zu diesen Krisendiensten zählt die Telefonseelsorge, die bei Bedarf weitervermittelt. Andere Anlaufstellen sind Ärzte, Ambulanzen, pro mente, das ifs und das aks.

Sachlich, nicht reißerisch
Wichtig erscheint dem Psychiater zudem, dass die Medien sachlich und nicht reißerisch über einen Suizid berichten. Dies funktioniere mittlerweile recht gut, sogar die „Bild“-Zeitung halte das so. Im Fall von Jenewein und Kellermayr sei die Berichterstattung „relativ verantwortungsvoll“ gewesen. Prinzipiell informieren Medien sowieso nicht über Suizide, um Nachahm-Effekte zu vermeiden. Eine Ausnahme dieser Regel sind öffentliche Personen.
Einem Menschen anzumerken, dass er oder sie über Suizid nachdenkt, sei schwierig, so Albert Lingg. „Es kann auch einem Profi passieren, dass er es nicht erkennt.“ Wichtig sei, indirekte Signale wahrzunehmen und richtig zu deuten. Betroffene würden oftmals nicht direkt sagen „Ich bringe mich um“, sondern „Es ist mir alles zu viel“ oder „Bald seid ihr mich los“. In solchen Fällen sollte nachgefragt werden: „Meinst du das ernst? Lass uns darüber reden.“ Zudem sollte man versuchen, den suizidalen Menschen an einen Krisendienst zu vermitteln.
Ernst nehmen
Manchmal sei aber auch eine sofortige Reaktion gefordert: Beispielsweise, wenn ein junger, alkoholisierter und/oder vielleicht unter Drogen stehender Mann nachts um 3 Uhr im Affekt Suizidgedanken äußert, weil einige Stunden zuvor seine Freundin mit ihm Schluss gemacht hat. Das sollte man ernst nehmen und den jungen Mann nicht alleine lassen. Eventuell könne seine Familie benachrichtigt werden oder man rufe eine Ambulanz oder die Telefonseelsorge an. „Damit ist schon sehr viel getan“, sagt Psychiater Albert Lingg.
Anlaufstellen für Menschen mit Suizidgedanken, aber auch für ihre Angehörigen:
Telefonseelsorge: Telefonnummer 142
Kindernotruf: 0800 567 567
Ambulanzen am LKH Rankweil (Erwachsenen- sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie): Die Notfallambulanzen haben rund um die Uhr geöffnet. Nummer: 05522 403-0
Pro Mente: www.promente-v.at/kontakt
HPE Vorarlberg: Hilfe für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. www.hpe.at/de/bundeslaender/vorarlberg/
Männer häufiger betroffen
Die Statistiken zeigen, dass Männer drei bis vier Mal häufiger Suizid verüben als Frauen. Gründe dafür sind: Männer sind häufiger von Suchtkrankheiten betroffen und von „Unbeherrschtheit im Sinne von Impulsivität“, sagt Albert Lingg. Letzteres habe einerseits biologische Gründe, andererseits sei es anerzogen. Weitere Menschen, die besonders gefährdet sind, sind Personen mit Depressionen, Psychosen und Suchterkrankungen. Ein Risikofaktor im Alter sind chronische Schmerzen. Problematisch ist aber auch die Einsamkeit.
Alle paar Jahre passiere es, dass ein Kind unter 14 Jahren Suizid verübe. Sehr problematisch sei heutzutage, dass es im Internet Gruppen gibt, in denen sich die Teilnehmenden – vor allem Jugendliche – nur über das Thema Suizid austauschen und sich gegenseitig anstacheln. Wenn Eltern dies bemerken, rät Albert Lingg: „Kontakt mit dem Kind halten.“ Gelinge dies nicht mehr, weil der junge Mensch für die Eltern nicht mehr ansprechbar ist, so gebe es bei der „Supro – Gesundheitsförderung und Prävention“ Hilfe für Angehörige.