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Die Schäflein fehlen beim Krippenspiel

11.12.2022 • 16:15 Uhr
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Er tritt den Herausforderungen der heutigen Zeit mutig entgegen.(C) HARTINGER

Michael Meyer ist Pfarrer in der evangelischen Kirche Dornbirn.

Die evangelische Kirche in Dornbirn ist klein, und das im doppelten Sinne. In der Rosenstraße am Hang steht ein abgerundetes Gebäude mit Turm, das von außen schon Holz verspricht, von innen dieses Versprechen hält und sehr heimelig wirkt. Wenn die Eltern beim weihnachtlichen Krippenspiel bis hinten an die Wand stehen, fasst diese Kirche regelmäßig immerhin bis zu 150 Menschen. Aber die evangelische Kirche in Dornbirn ist auch in diesem Sinne klein: Ihr Fassungsvermögen reicht in aller Regel gut aus, die Kirchengemeinde ist überschaubar. Seit Corona noch mehr, ein Schatten ist geblieben und fällt überall dorthin, wo die Menschen seither fehlen.

Pfarrer Michael Meyer hat Online-Gottesdienste angeboten, die gut geklickt wurden. Aber in die Kirche hat es die Klickenden bisher nur selten persönlich verschlagen. Der Generationswechsel macht der Gemeinde zu schaffen. Denn die vielen älteren Gemeindeglieder stehen einer weit geringeren Zahl an Vertretern der jungen Generation gegenüber. Auch in Folge dessen nimmt die Zahl der Gemeindeglieder ab.

Offene Kirche

Gerne würde Meyer eine offene Kirche leben, aber er bräuchte jemanden, der oder die verlässlich abends die Tür abschließt, wenn er selbst noch terminlich im Land unterwegs ist. Zurzeit ist die Kirche zu. Was schade ist, wenn man Offenheit leben will. Meyer hat an einem Kirchenfenster eine Regenbogen-Peace-Fahne gehängt. Für Diversität und eine tolerante Gesellschaft. Das war noch vor dem Ukraine-Krieg. Seither hängt sie erst recht. Vor der Kirche steht zurzeit ein Weihnachtsbaum, fast so groß wie das Gebäude. In der Adventzeit stemmt die Gemeinde viele Aktionen. Das beginnt beim Adventkranzbinden, erstreckt sich über das Adventmärktle und endet nicht bei einem Singnachmittag für Kinder. Auch ein Krippenspiel wird es wieder geben.

Junge Kirche

Insgesamt möchte Pfarrer Meyer das Rückgrat seiner Kirche in zwei Richtungen stärken: Einmal will er die Jungen in die Kirche holen, aber durchaus auch die Generation darüber. „Im Moment ist die Großelterngeneration bei uns in der Kirche aktiv. Das ist auch gut so, aber es fehlen die, die nachkommen.“ Das bedauert der 62-jährige Pfarrer. Denn man kann nur anstoßen, was dann auch Angestoßene findet. Die andere Richtung, aus der das kirchliche Rückgrat, wenn es nach Pfarrer Meyer geht, mehr Stärkung erfahren soll, ist die gelebte Ökumene. Gerne denkt er etwa an die ökumenische Bibel­ausstellung, die es vor Corona gab. Solche Aktivitäten hätte er gerne wieder mehr und öfter.

Und dann hat der Pfarrer noch ganz große Herzensanliegen, die immer noch mehr Raum finden könnten. „Wir müssen aufhören mit der Zerstörung unserer irdischen Ressourcen. Es gibt nur eine Antwort, die wir derzeit geben können: Wir müssen unseren Lebensstil an die Grenzen des Planeten anpassen.“

Kirche für die Schöpfung

Nein, Meyer hält keine Predigt. Vielmehr erzählt er, dass er in den zurückliegenden zehn Tagen 75 Kilometer mit dem Rad gefahren ist. Auch zum Gottesdienst in Lustenau. Er wirkt beseelt von der Idee, dass jede und jeder etwas leisten kann. Meyer blickt zur sich im Wind kräuselnden Regenbogen-Friedensfahne und fragt: „Was können wir für den Frieden tun?“ In der Gemeinde wurden Flohmärkte für die Ukrainer veranstaltet. „Es geht einfach darum, da zu sein, wenn die Flüchtlinge der Ukraine uns brauchen.“

Er blickt wieder zur Fahne und schneided ein weiteres brenzliges Thema an: die Ehe für alle. Der Verfassungsgerichtshof hatte ja entschieden, dass auch homosexuelle Paare heiraten dürfen. Die Kirche geriet daraufhin unter Zugzwang, intern wurde heftig debattiert. Zur Entscheidungsfindung bat die Synode der Evangelischen Kirche in Österreich die Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen daraufhin um Stellungnahmen. Heraus kam folgender Dissens: Die Befürworter der Trauung für alle wollten damit ein Zeichen der Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare setzen. Sie erhofften sich eine Beendigung jener Diskriminierung, die unter homosexuellen Menschen viel Leid verursacht habe.

In der Mitte der biblischen Botschaft stünden Gottes in seinem Sohn Jesus Christus offenbar gewordene Menschenfreundlichkeit und Liebe, die jeglicher Diskriminierung von Menschen entgegenstünden. Die Gegner der Trauung für alle in der evangelischen Kirche wiederum argumentierten: In den Erzählungen von der Schöpfung finde man klar ausgedrückt, dass der Mensch als Mann und Frau geschaffen sei. Jesus selbst habe diese Verbindung ausdrücklich bestätigt. Sie gehöre zur Schöpfungsordnung, sei ein heiliger Stand und Gottes gute Ordnung. Aus all dem folge, dass die Kirche nicht befugt sei, ihre Lehre und Praxis an diesem Punkt zu verändern.

Kirche für alle

Am Ende, erzählt Meyer, habe die lutherische Kirche sich in einem Kompromiss auf das Wort „eheanaloge Segensfeier“ geeinigt. Meyer ist froh, dass „seine“ reformierte Kirche, sich dagegen einstimmig für eine komplette Gleichbehandlung entschieden hat, inklusive dem Wort „Trauung“. Vor Gott sind alle gleich. „Wir trauen jeden“, sagt Meyer entschieden. Ursprünglich war er selbst Mitglied der lutherischen Kirche, mit dem Wechsel nach Dornbirn ist er seit 2009 nun Pfarrer der reformierten Kirche. Er erzählt, dass in seiner Gemeinde heiße Eisen angepackt werden. Zum Beispiel die Sterbehilfe. Zwar ist die aktive Sterbehilfe für sie tabu: „Von uns wird niemand den Schierlingsbecher reichen. Aber wir sind auch in solchen Situationen für die Menschen da und respektieren ihre Freiheit, die in Extremsituationen die Freiheit sein kann, das eigene Leben zu beenden.“ Wichtig für alle brenzligen Fragen sind Menschen, die bereit sind, gemeinsam nach Antworten darauf zu suchen.