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„Ich bin immer Optimist“

27.12.2022 • 21:47 Uhr

Martin Ohneberg, Präsident der Vorarl­berger Industriellenvereinigung, zieht Bilanz über das turbulente Jahr 2022.

Ein weiteres turbulentes Jahr nähert sich dem Ende. Welche Bilanz ziehen Sie über 2022?
Martin Ohneberg:
Es war ein sehr anspruchsvolles Jahr, womit in diesem Ausmaß niemand gerechnet hat. Inzwischen ist das aber schon fast die Normalität. Die große Problematik ist, dass es eine Vielzahl – ein ganzer Cocktail – an Krisen ist: Corona, die Lieferkettenproblematik, die Preisdynamik, die Energiekrise, die Inflation und jetzt die Kreditzinsensituation. Dazu darf man nicht vergessen, dass wir mitten in der Transformation der Wirtschaft sind. Das ist eine große Herausforderung für alle. Dazu kommt auch noch, dass es eine extreme politische Unsicherheit gibt – egal ob lokal, regional, national oder international.

Vor zehn Monaten hat Russland die Ukraine angegriffen. In der Folge wurden die bereits bestehenden Sanktionen gegen das Land deutlich verschärft. Hat sich das negativ auf die heimische Industrie auswirkt?
Ohneberg:
Grundsätzlich sind Sanktionen für die Wirtschaft immer schlecht. Gleichzeitig wissen wir, dass es immer Unternehmen gibt, welche Möglichkeiten finden, um Sanktionen zu umgehen. Es ist auch ein wenig ein Wirtschaftskrieg zwischen Ost und West, und man wird sehen müssen, welcher Schaden dadurch in Europa entsteht. Das heißt aber nicht, dass ich gegen die Sanktionen bin. Diese sollten jedoch nur der letzte Ausweg sein. Ich setze sonst eher auf Diplomatie als auf Sanktionen. Klar ist aber auch: Wenn es einen Aggressor gibt, der ein anderes Land annektiert, dann kann man das in Zeiten wie diesen nicht akzeptieren.

Zur Person

Martin Ohneberg wurde 1971 in Bregenz geboren. Nach der Matura an der Handelsakademie hat er in Wien an der Wirtschaftsuniversität Betriebswirtschaft studiert. Seit 2011 ist er CEO und Mehrheitseigentümer der Henn Industrial Group GmbH & Co. KG mit Sitz in Dornbirn. Seit 2015 ist er Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg. Seit 2011 ist er Mitglied im IV-Bundesvorstand.

Wie sehen Sie die Zukunft nach dem möglichen Ende eines Krieges? Braucht es da wieder den Dialog mit Russland?
Ohneberg:
Dialog ist die einzige Möglichkeit. Ein Land in der Größe und mit den Rohstoffen Russlands kann man nicht innerhalb Europas isolieren. Man muss sich aber auch Gedanken machen darüber, Russland, aber auch die Türkei näher an Europa heranzuführen – nicht mit einer Vollmitgliedschaft, sondern mit einer stärkeren Verschränkung. Diese muss aber intelligenter sein, also nicht in Form von Abhängigkeit, sondern in der Form, dass man wirtschaftlich einen Nutzen voneinander hat. Euro­pa muss sich generell breiter gegenüber Asien und den USA aufstellen. Da stellt sich eh die Frage, wo sich Russland stärker hin orientieren wird.

Heuer war auch die Energiefrage ein großes Thema. Wie schwierig ist es für die Industrie, hier einen Wandel zu schaffen?
Ohneberg:
Das Energiethema ist ein dramatisches Thema. Viele sind auch wachgerüttelt worden, weil Energie bisher bei den meisten Unternehmen keine Kos­tenposition war. Nun ist diese ein massiver Kostenfaktor, und es stellt sich auch die Frage der Verfügbarkeit. Dazu stecken wir mitten in der Energietransformation, die alternativlos ist. Das Ziel, dass wir raus aus fossilen Brennstoffen wollen, ist gegessen. Das riesige Problem ist die Frage, wie realistisch das alles ist. Man kann sich vieles wünschen, aber es geht auch darum, wie es realisiert werden kann. Wirklichkeit und Vision klaffen diesbezüglich weit auseinander. Dazu fehlen auch eine klare Linie und ein Plan, wie die Umsetzung funktionieren soll. Das macht der Wirtschaft sehr zu schaffen.

<span class="copyright">Symbolbild/Hartinger</span>
Symbolbild/Hartinger

Rondo in Frastanz hat heuer Pläne für ein Reststoffkraftwerk präsentiert. Die Industriellenvereinigung ist Teil einer Initiative, um Unternehmen zur Einrichtung von Kinderbetreuungsangeboten zu motivieren. Gibt es in der Industrie die Erkenntnis, dass man selbst aktiv werden muss, wenn sich etwas verändern soll?
Ohneberg:
Das ist der logische Schluss. Und das hat auch schon die Coronapandemie gezeigt. Wenn jemand gut mit der Situation umgegangen ist, dann waren es die Betriebe. Das Impfen und Testen hat gut funktioniert. Es gab teilweise Impfstraßen in den Betrieben. Ich glaube, die Unternehmen wären so weit, die Dinge selbst zu organisieren und zu machen. Der Rechtsrahmen wird aber von der Politik bestimmt. Hier klaffen die Dinge allerdings immer mehr auseinander. Was ist Vision, was ist Ideologie und was ist überhaupt machbar? Das ist das Schwierige. Auf der anderen Seite müssen sich die Unternehmen auch fragen, was die Aufgabe der öffentlichen Hand ist. Die Kinderbetreuung gehört da sicher dazu. Warum machen wir es trotzdem? Weil wir zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen. Meiner Meinung nach ist es aber eine ureigene Aufgabe der öffentlichen Hand, Kinderbetreuung in ausreichendem Maß zur Verfügung zu stellen. Das gilt auch für die Energiefrage. Was Rondo macht, ist Selbsthilfe.

Inwiefern?
Ohneberg:
Unternehmen sollten wissen, wann welche Energiequelle in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung steht. Es ist nett, wenn die Politik sagt, wir wollen raus aus dem Gas und mehr Wasserstoff. Das würde ich sofort unterschreiben. Die Frage ist aber, wann steht ausreichend Wasserstoff zur Verfügung, woher kommt er und zu welchem Preis. Darauf kann aber kein Politiker eine Antwort geben.

<span class="copyright">Symbolbild/Hartinger</span>
Symbolbild/Hartinger

Ein Thema war dieses Jahr im Zuge der Wirtschaftsbund-Affäre auch das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik. Wie schwierig ist es, hier das richtige Maß zu finden?
Ohneberg:
Ich finde es gar nicht schwierig, wenn man als Funktionär ein wesentliches Prinzip beachtet: Ich habe bei dem, was ich mache, keine Eigeninteressen. Ich tue es aus Idealismus und mit der Motivation, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können. Bei vielen verschwimmt diese Grenze, und sie übernehmen Funktionen aus Eigeninteresse. Am Ende ist es auch eine Persönlichkeitsfrage.

Die Kollektivvertrags-Verhandlungen standen dieses Jahr angesichts der Teuerung unter besonderen Vorzeichen. Wie sehen Sie den Abschluss?
Ohneberg:
Ich würde sagen, jährlich grüßt das Murmeltier. Die Gehaltsverhandlungen sind jedes Jahr ein ähnliches Spiel zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Dass Gehaltsanpassungen stattfinden müssen, ist überhaupt keine Diskussion. Die Frage ist aber deren Höhe. Wir sind in einer schwierigen Situation, weil die Gehaltsabschlüsse in die Zukunft wirken, und wir nicht wissen wie 2023 wird. Wir sind jetzt mit einer laufenden Steigerung der Personalkosten konfrontiert. Dazu kommen hohe Energiekosten, die auch in den nächsten drei bis fünf Jahren so bleiben werden. Das ist ein Wettbewerbsnachteil für Vor­arlberg, Österreich und Euro­pa. Kompensiert werden kann das nur durch weitere Automatisierung und Digitalisierung. Ansonsten wird es schwierig werden. Das muss uns allen bewusst sein. Unter diesem Gesichtspunkt muss man auch die Gehaltsverhandlungen sehen.

Ich glaube, die Unternehmen wären so weit, die Dinge selbst zu organisieren und zu machen.

Martin Ohneberg, IV-Präsident

Prognosen sind immer schwierig und die derzeitige Lage macht es nicht leichter. Wie gehen Sie in das nächste Jahr?
Ohneberg:
Ich bin immer Optimist. Allerdings muss man zur Zeit auf Sicht fahren. Die Frage wird sein, wie lange die kriegerische Auseinandersetzung noch dauert. Ich bin optimistisch, dass jetzt vielleicht alle kapieren, dass es keinen wirklichen Sieger geben kann, und es zu einer Einsicht kommt. Das würde sicher viel Druck nehmen, und es würde auch mehr Nachfrage bedeuten – insbesondere im Wiederaufbau. Die Kreditzinsen wurden gerade erst wieder erhöht. Solange die Inflation nicht im Griff ist, werden sie sicher weiter steigen, wobei es wohl nicht mehr allzu viel Spielraum gibt. Ansonsten gilt es, auch im Jahr 2023 zu gestalten. Die Kaufkraft steigt, die Nachfrage ist weiterhin da. Das alles muss jedoch in die Spur gebracht werden. Dazu gehört auch die Frage, wie sich Europa im internationalen Wettbewerb entwickelt. Da bin ich nur bedingt optimistisch. Ich sehe niemanden, der wirklich Dinge vorantreibt, damit es ein gestärktes Europa gibt.