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„Lösung liegt nicht an der EU-Außengrenze“

06.01.2023 • 19:56 Uhr
Walter Schmolly ist seit 2015 Direktor der Caritas Vorarlberg.              <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Walter Schmolly ist seit 2015 Direktor der Caritas Vorarlberg. Klaus Hartinger

Caritas-Direktor Walter Schmolly über Herausforderungen im abgelaufenen und im neuen Jahr.

Die Caritas hat vermutlich ein herausforderndes Jahr 2022 hinter sich. Fangen wir mit der Teuerung an. Wie hat sich die auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Walter Schmolly: Es war für die Caritas ein Jahr, das von den Themen bestimmt war, die derzeit das Leben nahezu aller Menschen und Unternehmen bestimmen: Covid-Ausläufer, Ukraine-Krieg, Teuerung und im Hintergrund der Klimanotstand. Solche Entwicklungen sind für Menschen mit weniger Ressourcen – nicht nur finanzieller, sondern auch sozialer, psychischer und körperlicher Natur – wirklich eine Krise. Krisen sind asozial. Sie treffen Menschen mit weniger Ressourcen mehr.

Das ist ja auch bei der Teuerung der Fall?
Schmolly: Ja. Wir haben eine Durchschnittsteuerung von elf Prozent. Der kleine Warenkorb der Statistik Austria liegt bei 20 Prozent. Wir verfolgen die Preise der Grundnahrungsmittel und die haben sich um zumindest 30 Prozent erhöht. Menschen mit geringerem Haushaltseinkommen sind deutlich härter von der Teuerung betroffen und das bildet sich natürlich in unseren Beratungsstellen ab.

Wie konkret?
Schmolly: Die Zahl der Erstkontakte ist 2022 gegenüber 2019 um 40 Prozent gestiegen, die Anonymberatungen im gleichen Zeitraum um 150 Prozent.

Wie hilft die Caritas da?
Schmolly: Primär geht es um Lebensmittelkosten sowie Kosten für Miete und Energie. Wir versuchen, wo es möglich ist, präventiv zu unterstützen, etwa mit einem Energiespar-Check und daraus resultierend erste Maßnahmen zu setzen mit LED-Lampen bis hin zu Gerätetausch. Bei Energie- und Wohnkosten werden auch erforderliche Einmalzahlungen übernommen, um die Situation zu entspannen. Im Lebensmittelbereich haben wir Gutscheine.

Eine weitere Herausforderung waren/sind die steigenden Flüchtlingszahlen. Wie schaut es da aus?
Schmolly: Das war eine große Herausforderung. Aber dazu möchte ich auch sagen, dass trotz der schwierigen Entwicklungen im Vorjahr eines wirklich schön war: nämlich doch ein hohes Maß an Solidarität in der Bevölkerung. Das haben wir im Spendenbereich gemerkt, aber auch bei der Aufnahme von Kriegsvertriebenen bzw. asylwerbenden Menschen. Aber es ist natürlich ein herausforderndes Thema.

Das Verständnis der Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen scheint zu sinken, oder?
Schmolly: Man kann das nicht für die Bevölkerung als Ganzes sagen, sondern es gibt da immer Entwicklungen in einzelnen Gruppen. In einer Zeit, in der die Belastung ohnehin hoch ist, und das Thema auch öffentlich groß gespielt wird, gibt es natürlich eine gewisse Verschiebung in der Stimmungslage.

Wenn wir auf 2023 schauen: Die Herausforderungen in Sachen Teuerung und Flüchtlinge dürften nicht weniger werden, oder?
Schmolly: Es gehen alle davon aus, dass die Teuerung auf einem relativ hohen Niveau bleiben wird und damit bleiben die Herausforderungen groß. Man muss aber auch sagen, dass im Vorjahr von öffentlicher Seite viel an Unterstützung passiert ist. Entscheidend ist, dass es auch eine langfristige Abfederung gibt. Einmalzahlungen sind zwar wichtig und in der Situation hilfreich. Aber wenn die Teuerung bleibt, dann bleibt das Loch im Haushaltsbudget.

Zur Person

Walter Schmolly

Geboren 1964, aufgewachsen in Bizau, Stu-

dium der Mathematik und Theologie. 1994

bis 1998 Assistent an der Theologischen

Fakultät Innsbruck. 1999 bis 2005 Leiter des

Katholischen Bildungswerks Vorarlberg.

2005 bis 2015 Leiter des Pastoralamtes der

Diözese Feldkirch. Seit 2015 Direktor der

Caritas Vorarlberg. Verheiratet, drei Kinder,

wohnhaft in Alberschwende.

Aber es ist doch auch strukturell einiges passiert?
Schmolly: Ja, auch diesbezüglich hat es sinnvolle Ansätze gegeben, etwa die Indexierung der Familienbeihilfe oder in Vorarlberg die Anhebung der Kinderrichtsätze in der Sozialhilfe. Wenn man allerdings auf die konkrete Indexanpassung der Sozialleistungen schaut, die bei 5,8 Prozent liegt, dann wird die 20 Prozent Teuerung nicht auffangen. Mit Blick aufs heurige Jahr sehe ich deshalb drei große Herausforderungen: Das Erste ist, dass Kinder in derart schwierigen Zeiten nicht um ihre Entwicklungspotenziale und Zukunftschancen beraubt werden. Und diese Gefahr ist durchaus real.

Inwiefern?
Schmolly: Es gibt eine Erhebung der Statistik Austria, dass mehr als ein Drittel der Haushalte in Österreich mit einer unerwartet anfallenden Investition von 1300 Euro überfordert ist. Wenn man mit Kindern lebt, können ungeplante Kosten von 1300 Euro relativ leicht passieren: eine Zahnspange, eine Brille, die kaputt geht. Zweiter wichtiger Punkt ist die Spreizung von Arm und Reich. Wenn sich diese Schere weiter auftut, kommen wir gesellschaftlich wirklich in eine kritische Situation.

Maßnahmen dagegen?
Schmolly: Alles, was diese Teuerung für Menschen mit kleineren Einkommen abfedert.

Zusätzliche Sozialleistungen?
Schmolly: Eine Ausgestaltung der Sozialleistungen, dass diese Schere sich nicht weiter öffnet. Wenn diese Spreizung zu groß ist, dann ist die Gefahr, dass die demokratische Kultur und damit die Fähigkeit einer Gesellschaft, mit den großen Themen umzugehen, verloren geht. Und das dritte große Thema im neuen Jahr wird die Migrationsfrage sein. Da müssen wir einen Umgang finden, der uns handlungsfähig hält.

Das heißt konkret?
Schmolly: Man muss kein Migrationsexperte sein, um zu sehen, dass man diese Frage nicht ausschließlich an der EU-Außengrenze lösen wird können. Dennoch lauten alle politischen Antworten immer „Außengrenze schützen“. Das hat mit unserem Mindset zu tun, mit dem wir die Migrationsfrage betrachten, nämlich, dass wir unseren Wohlstand schützen müssen vor Menschen aus benachteiligten Ländern, die teilhaben wollen.

Was wäre ein Lösungsansatz?
Schmolly: Um substanziell weiter zu kommen, brauchen wir ein viel partnerschaftlicheres Mindset. Dabei wäre schon viel getan, wenn wir faire Beziehungen zu diesen Ländern pflegen würden.

Wie?
Schmolly: Das fängt an beim fehlenden Ausgleich der Auswirkungen des wesentlich von uns verursachten Klimanotstands und geht über Wirtschaftsbeziehungen, die oftmals auf Kosten benachteiligter Länder gehen, bis hin zu geopolitischen Einflussnahmen und Machtinteressen in diesen Ländern. Weiters bräuchte es sichere und kontrollierte Wege sowohl für verfolgte Menschen – da wären humanitäre Aufnahmeprogramme wichtig – als auch für Arbeitsmigration. Eine weitere, kurzfristige partnerschaftliche Perspektive wäre sicher auch der Ausgleich innerhalb der EU: Die Lasten sind sehr ungleich verteilt.

Caritas-Direktor Walter Schmolly.  <span class="copyright">Caritas Vorarlberg</span>
Caritas-Direktor Walter Schmolly. Caritas Vorarlberg

Wenn wir wieder zur Caritas Vorarlberg zurückkommen. Was erwarten Sie sich da für Schwerpunkte im heurigen Jahr?
Schmolly: Wir werden angesichts der Teuerung sicher intensiv damit beschäftigt sein, diese für Haushalte mit kleineren Einkommen abzufedern.

Werden das noch mehr Menschen werden?
Schmolly: Davon gehe ich aus. Das Zweite ist, wir werden alles Erdenkliche tun, um wach zu sein, dass Kinder diesbezüglich nicht über Maßen betroffen sind. Da ist vieles möglich, angefangen bei den Lerncafés bis hin zu Aktionen mit Gratiskleidung in unseren Carla-Secondhand-Geschäften. Ich gehe auch davon aus, dass wir, was die Aufnahme von asylwerbenden Menschen anbelangt, weiter intensiv gefordert sein werden. Die Situation in der Ukraine ist sehr unberechenbar, da sind viele Fragen offen, wie es sich entwickeln wird.