Unangebrachte Gedanken und eine Entschuldigung

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Ich bilde mir ein, zu wissen, wie man auf andere Menschen zugeht: vorurteilsfrei, respektvoll und nicht allzu neugierig auf Dinge, die mich nichts angehen.
Normalerweise funktioniert das gut, aber nicht immer. Letztens war es zwingendnotwendig, mich selbst zu rügen. Mir ist nämlich während einer zwischenmenschlichen Kommunikation bewusst geworden, wenn ich mit Frauen mit vermeintlich männlichen oder Männer mit sogenannten weiblichen Zügen spreche, ich mir sofort die unangebrachte Frage stelle, ob mein Gesprächsgegenüber den leidvollen Weg des falschen Körpers zur richtigen Seele geht. Vereinfacht gesagt, ich würde gerne wissen, ob jene Frau in einem Bubenkörper oder umgekehrt auf die Welt gekommen ist. Das ist nicht nur doof, sondern deppert, weil das Wissen darüber auf die Qualität des Gespräches null bis zero Auswirkung hätte, umgekehrt aber sehr wohl.
Denn unweigerlich machen mich solche Fragenstellungen unaufmerksam und verhindern, dass ich mich auf mein Gegenüber einlasse. Ich gebe mich Interpretationen hin, die nichts mit Charakter und Verhalten der Person zu tun haben. Was anderes wäre es, wenn mein Gesprächspartner durch gewisse Aussagen gedankliche Auslegungen zulässt, durch die sich in meinem Kopf Bilder eines verborgenen Nazi-Kellers manifestieren. Dann hieße es für mich, auf Habt-Acht-Stellung zu gehen! Ich würde gerne wissen, warum mir überhaupt solche Gedanken einschießen, obwohl es mir verstandesmäßig wirklich richtig und komplett wurscht ist, welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt (oder auch gar keinem).
Wie hat Oma immer gesagt? „Das ist doch Blunzn!“ Ein guter Mensch sollte man sein, mehr hat niemanden etwas anzugehen. Vielleicht hat meine aufkeimende Neugierde damit zu tun, dass wir uns endlich damit auseinandersetzen, dass es schon seit jeher Menschen auf dieser Welt gibt, deren Geist den vorgegebenen Körper nicht als sein Zuhause ansieht. Und man kann sein Leben nun mal nicht in der Fremde verbringen.
Wenn man sich im Spiegel sieht, muss man sich unbedingt und immer daheim fühlen können. Für mich Glückliche, die ein richtiges Daheim hat, heißt das, aufzuhören, über Dinge nachzudenken, die mich nichts angehen. Dann hat mein Kopf mehr Raum, um den Menschen als das zu sehen, was ihn ausmacht. Lustig, traurig, spannend, klug, belesen, intelligent, witzig, mit einem schönen Lachen, glänzenden Augen und einem grandiosen Herzen.
Und wenn mir jemand seine Lebensgeschichte erzählen will, dann tut er es genau dann, wenn ich nicht zuvor neugierig geblinzelt habe. … Entschuldigung!
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.