Grenzen der Körper vom ballet of difference

Thomas Schermer (2)
Am Samstag war die österreichische Erstaufführung von Richard Siegals „Xerrox Vol. 2″ im Festspielhaus zu erleben.
Wieder macht das Tanzfestival Bregenzer Frühling die Begegnung mit einer außergewöhnlichen Choreographie möglich: „Xerrox Vol. 2“ des amerikanischen Tänzers und Choreographen Richard Siegal gemeinsam mit elf Tänzerinnen und Tänzern des „Ballet of Difference am Schauspiel Köln“ wurde im vergangenen Mai als erste Produktion nach der Pandemie uraufgeführt und wurde jetzt auch im Bregenzer Festspielhaus begeistert aufgenommen.
Starke Figurensprache
Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige Album mit elektronischer Musik von Alva Noto, deren dunkler Grundpuls (für die Klassikerin) recht monoton wirkt und zum Schluss schmerzhaft laut aufgedreht wird. Wie der Name andeutet, steckt wohl auch der Begriff „Kopie“ dahinter, denn Siegal spielt mit der Formen- und Figurensprache des klassisch-modernen Tanzes, die aber ausgeweitet und gebrochen, manchmal auch parodiert wird.
Ein grauer leichter Stoff bauscht sich, türmt sich mittels einer Windmaschine auf, die Tänzerinnen und Tänzer winden sich darunter heraus, begeben sich in klassische Ballettpositionen: ein starker Beginn, der wie ein bedrohlicher Sturm am Meer wirkt und durch die Lichtgestaltung von Matthias Singer noch besonders akzentuiert wird. Hat sich diese Szene beruhigt, beginnen das Spiel der Körper, der Geschlechter und das Ausloten der Grenzen: Weich oder eckig, männlich oder weiblich, wie eine Skulptur verharrend oder in klassischer Armführung belebt zeigt sich das eben etwas andere „ballet of difference“. Da gibt es Trippelschritte auf Spitze, Arabesken, Pirouetten, Hebungen – aber immer ein wenig verzerrt, verschoben, verlängert.

Verschwimmende Grenzen
Strenge Geometrie und fließende Auflösung wirken zusammen, aus Einzelpositionen entwickeln sich Beziehungen und individuelle Begegnungen im Tanz. Bei den oft androgynen Körpern verschwimmen die Geschlechtergrenzen. Auch die blau-grau-grünen transparenten Kostüme von Flora Miranda spielen mit der Tradition – hier mit einem einzelnen flatternden Schößchen am Männertrikot oder einem bauschigen Oberteil, da mit einem hautengen Ganzkörperanzug für die Damen. Der graue Stoff entwickelt eine Eigendynamik, vom Rundhorizont zu einem bedrohlich aufragenden Berg oder zur schützenden Höhle.
Schließlich kehrt der Sturm mit Wind, Lichtblitzen und Wellen zurück und scheint die Tänzerinnen und Tänzer zu verschlingen … In 66 Minuten erzählt Siegal seine vieldeutige Geschichte, die freilich auch rein ästhetisch mit bestechender Tanzkunst imponiert.
Am 15. April steht die nächste österreichische Erstaufführung auf dem Programm des Bregenzer Frühlings. Emanuel Gat Dance, Marjorie Carré und Antonia Auday präsentieren das Musical Lovetrain2020.