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Täter und Heldinnen in Vergangenheit und Gegenwart

14.05.2023 • 07:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
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sarah koelman

Um Zivilcourage geht es in einem derzeit laufenden Schulprojekt der in Liechtenstein lebenden Feldkircher Lehrerin Sarah Koelman.

Die Jüdin Alice Cohn wird 1914 in Breslau in Schlesien (Deutschland) geboren. Sie wird Schreinerin, darf aber nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihre Gesellenprüfung nicht mehr ablegen. 1936 geht sie in die Niederlande und wird dort 1940 nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verhaftet. Sie kommt wieder frei, versucht 1942 unterzutauchen und lebt bis 1945 unter falschem Namen.
In dieser Zeit rettet sie unter anderem ein Kleinkind aus einem Sammellager vor der Deportation und arbeitet im Untergrund im Widerstand. Dort ist sie vor allem als Fälscherin von Ausweisen tätig und kann dadurch mithelfen, viele Menschen zu retten. Nach der Befreiung unterstützt Cohn die Alliierten, rettet eine Freundin aus einem Notlazarett und ist in einer Stiftung zur Unterstützung von Kriegswaisenkindern tätig. Es folgt ein beruflicher Neubeginn als Zeichnerin und Gestalterin.

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Übersiedlung

1947 heiratet Alice Cohn den in Liechtenstein tätigen, aufgrund seines jüdischen Glaubens 1941 ausgebürgerten Deutschen Rudolf Bermann. Sie übersiedelt nach Schaan, die Kinder Michael und Evelyn kommen auf die Welt. Erst 1973 wird die Familie eingebürgert.
Alice Bermann-Cohn engagiert sich ab 1981 mit ihrer Tochter für das Frauenstimmrecht. Mit 71 Jahren darf sie das erste Mal wählen. Am 3. Februar 2000 stirbt Alice Bermann-Cohn.
Länderübergreifend. Die beeindruckende Frau, deren Leben 2014 in einer von ihrer Tochter und der Gemeinde Schaan herausgegebenen Publikation dargestellt wurde, ist Teil eines Schulprojekts der Feldkircher Mittelschullehrerin Sarah Koel­man (36). Koelman ist Vorstandsmitglied im Vorarlberger historischen Verein Johann August Malin Gesellschaft.
Derzeit ist die vierfache Mutter, die zuletzt an einer Mittelschule in Dornbirn gearbeitet hatte, in Karenz. Seit 2019 lebt sie in Mauren in Liechtenstein. Nicht zuletzt ein Grund dafür, länderübergreifend zu arbeiten. „Das finde ich sehr spannend“, sagt sie.

Vier Klassen

„Zivilcourage – ein Wert ohne Ablaufdatum“, so der Projektname, wird in vier Schulklassen der achten Stufe umgesetzt. Zwei davon sind in Vorarlberg (Gymnasium Schillerstraße Feldkirch, Unesco-Mittelschule Bürs), die anderen beiden in Liechtenstein (Gymnasium Vaduz, Oberschule Eschen). Den Schülerinnen und Schülern werden jeweils ein Täter und eine „Heldin“ oder ein „Held“ aus der NS-Zeit präsentiert.
Harald Walser stellt die Krankenschwester und Widerstandskämpferin Maria Stromberger und den „Euthanasie“-Arzt und Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka, Irmfried Eberl vor, Werner Bundschuh den Widerstandskämpfer Johann August Malin und den NS-Wirtschaftstäter Josef Hämmerle. Die Künstlerin Evelyne Bermann wird in Liechtenstein in beiden Klassen ihre Mutter präsentieren, der Rechtshistoriker Emanuel Schädler den Liechtensteiner Nationalsozialisten Josef „Sepp“ Nägele.

Maria Stromberger <span class="copyright">APMA/Bildarchiv/Gedenkstätte Auschwitz</span>
Maria Stromberger APMA/Bildarchiv/Gedenkstätte Auschwitz

Liechtensteiner Nazi

Im Gegensatz zu Vorarlberg habe es in Liechtenstein kaum eine Aufarbeitung der Verstrickung in den Nationalsozialismus gegeben, sagt Koelman. Wenngleich es auch dort überzeugte Nazis wie „Sepp“ Nägele gegeben habe, der sich freiwillig für die Waffen-SS gemeldet hatte. Auf ihn ist sie über einen Aufsatz von Meinrad Pichler über das „Planetta-Heim“ in Bregenz gestoßen. Das diente als Anwerbezentrum für Schweizer und auch Liechtensteiner SS-Freiwillige. Einige wenige Informationen zur Person fanden sich auch in einem Buch von Vincenz Oertle, informiert die Projektleiterin. Passiert ist Nägele nach 1945 in seinem Heimatland nichts – weil er nicht gegen Liechtensteiner Recht verstoßen hatte.
Nach der Präsentation der Personen erarbeitet Koelman gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern Arbeitsmaterial zum präsentierten Positivbeispiel. Zudem wird eine Brücke zur Gegenwart geschlagen: mit Antiradikalisierungsworkshops, die in Vorarlberg vom ifs und in Liechtenstein vom aha durchgeführt werden. „Das ist mir sehr wichtig“, so die Projektleiterin. Bei den Workshops sollen unter anderem die Mechanismen, die während eines Radikalisierungsvorgangs greifen, beleuchtet werden, aber auch Intervenierungsmöglichkeiten besprochen, erklärt Koelman.

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Gemeinsamer Abschluss

Der Abschluss des Projekts findet am 30. Juni im Jugendhaus Graf Hugo in Feldkirch statt. Dort werden sich alle vier Klassen treffen. In gemischten Gruppen kommt dann das Arbeitsmaterial zum Einsatz, und es werden die „Positiv-Biografien“ vorgestellt. Anschließend soll ein Workshop mit einer Sozialarbeiterin ­beginnen, bei dem die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Helden und Heldinnen erarbeiten. Insgesamt sind es zwischen 60 und 70 Kinder beziehungsweise Jugendliche, die am Projekt beteiligt sind, erzählt Koelman.
Projektarbeit liebe sie deswegen, „weil man da den Schülerinnen und Schülern auf einer anderen Ebene begegnen kann“, sagt die Initiatorin. Man könne im Unterschied zum „normalen“ Unterricht mehr in die Tiefe gehen und kreativer sein, so die Erfahrungen. Mit „Zivilcourage – ein Wert ohne Ablaufdatum“ ist Koelman seit Anfang 2022 beschäftigt. Ein wesentliches Kriterium ist für die Lehrerin aber auch immer die Einbeziehung verschiedener Schultypen. Das funktioniere einmal besser und einmal weniger gut, so ihre Erfahrungen aus vorherigen Projekten. Ihr nächstes Projekt wird allerdings nicht in einer Schule stattfinden, wie Koelman abschließend noch verrät, sondern in Krankenhäusern.