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Literarische Annäherung an Pflege

28.06.2023 • 23:00 Uhr
Eines der im Buch enthaltenen Bilder von Lorenz Helfer – das Cover der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift, die in Kooperation mit der Stadt Feldkirch entstanden ist.<br><span class="copyright">Saumarkt Theater</span>
Eines der im Buch enthaltenen Bilder von Lorenz Helfer – das Cover der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift, die in Kooperation mit der Stadt Feldkirch entstanden ist.
Saumarkt Theater

Das Thema Pflege steht im Mittelpunkt der neuen V, in der nur wenige Texte wirklich überzeugen können.

Ich will Berührung“ – der Titel der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift „V“ von Literatur Vorarlberg ist einem der lyrischen Twitter-Texte der 1983 in Usbekistan geborenen und 2016 in Wien verstorbenen Autorin und Künstlerin Ianina Ilitcheva (@blutundkaffee) entnommen. Der ganze, vierzeilige und trotz seiner Kürze sehr eindrückliche Text ist auf der letzten Seite der „V“ zu lesen. Ilitcheva litt an der unheilbaren Hautkrankheit Epidermolysis Bullosa („Schmetterlingskinder“).

Es ist ein stimmiger und ansprechender Titel für eine Publikation, die sich dem Thema Pflege widmet – was wiederum mit dem Jahresthema der Stadt Feldkirch zu tun hat, die am Literaturprojekt beteiligt ist. Idee und Redaktion der vorliegenden „V“ stammen von Sabine Benzer und Marie-Rose Rodewald-Cerha. Sie haben im Band die Texte von zwölf Vorarlberger Autorinnen und Autoren versammelt, die sich im engeren oder weiteren Sinn und damit auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit Pflege befassen.

Direkt

Ganz direkt und unvermittelt um Pflege geht es im Text von Stephan Alfare, der mit der Hauskrankenpflegerin Chris­tine W. in Wien auf Vormittagstour geht. Mit unsentimentalem Blick erzählt er, nahezu dokumentarisch, von Menschen und Schicksalen und erzielt vermutlich dadurch große Wirkung. Gabriele Bösch berichtet von Besuchen bei einer älteren demenzkranken Dame und Willibalds Feinig vermutlich noch eher jüngere Protagonistin hat nach einem Autounfall ein zerstörtes Gesicht und sitzt im Rollstuhl. Sie träumt von ihrem Ex-Freund Johann und beobachtet in der Straßenbahn die sexuellen Avancen einer Frau, mit denen der betroffene Mann nicht recht umzugehen zu wissen scheint. Worum es bei dieser Geschichte geht, erschließt sich nicht wirklich.

Wolfgang Hermanns Text dreht sich um seine Mutter, der er unlängst mit „Bildnis meiner Mutter“ ein ganzes Buch gewidmet hat. Brigitte Herrmann erzählt die ein wenig plakative (Liebes-)Geschichte dreier Teenager, von denen eine nach einem Skiunfall mit Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzt. Sehr klischeehaft präsentiert sich der Text von Veronique Homann, in dem die Ausgrenzung von bestimmten Menschen aus der Gesellschaft beklagt wird.

Ich will Berührung Lorenz Helfer <span class="copyright">Saumarkt Theater</span>
Ich will Berührung Lorenz Helfer Saumarkt Theater

Agentengeschichte

Ziemlich schräg ist hingegen Wolfgang Mörths Agentengeschichte über einen 95-jährigen Russen, der in einem Pflegeheim in Lustenau gelandet ist. Laura Nußbaumer liefert eine ganze Reihe teils recht ansprechender Gedichte, die nur vereinzelt mit dem Thema Pflege zu tun haben. Laut Vorwort sind es unterschiedliche Situationen in „Care-Settings“. Da sie im Buch unter einem gemeinsamen Titel erscheinen, hängen sie vermutlich zusammen.

Spannung kommt mit André Pilz‘ Beitrag auf, in dem es um eine rumänische 24-Stunden-Betreuerin geht, die bei einer reichen Familie in Bregenz arbeitet und verschwunden ist. Amos Postner erzählt indes von einem Studenten in Wien, der ein schlechtes Gewissen hat, weil er sich nicht um seine Freundin Amina in Hamburg kümmert und sie pflegt, nachdem ein Bus über ihre beiden Beine gerollt ist.

Nicht ganz verständlich

Die Beziehung zwischen einer älteren Vorarlbergerin und ihrer rumänischen Betreuerin ist Thema der Geschichte von Birgit Rietzler. Eine Rolle spielt aber auch die Verwandtschaft der alten Frau, und Lisa Spalt liefert einen nicht immer ganz verständlichen Text mit dem Titel „Bei den herzigen Brüdern“ – vermutlich geht es um ein Spital, wobei das nur als Ausgangspunkt für eine Reihe von Assoziationen dient.

Zwischen den einzelnen Geschichten sind farbige, malerische Bilder von Lorenz Helfer. Darauf sind mit Ausnahme des ersten und letzten jeweils zwei Menschen in (zumeist) engem körperlichem Kontakt zu sehen. Dennoch strahlen die Figuren eine gewisse Einsamkeit aus. Es sind einnehmende Bilder, die eigene Geschichten erzählen.

Weniger überzeugen können in Summe aber die Texte. Nur wenige davon sind imstande, wirklich zu berühren.