Medizinstudium und trotzdem nie Arzt in Österreich

Dreißig Prozent der Absolventen in Medizin lassen sich nie als Arzt in Österreich eintragen.
Nun heißt es warten. In der zweiten Augustwoche werden die rund 11.700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Medizin-Aufnahmetests erfahren, ob ab Herbst einer der 1850 begehrten Studienplätze in Wien, Graz, Linz und Innsbruck für sie reserviert ist. Geht es nach Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), sollen sie alle nach ihrem Studienabschluss auch tatsächlich als Ärzte in Österreich tätig sein. In seiner Rede “Österreich 2030” im März forderte er eine Berufspflicht.
Die Grünen konnten dem Vorschlag wenig abgewinnen, diese Woche legte die Ärztekammer nach: Ein von ihr beim Medizinrechtler Karl Stöger in Auftrag gegebenes Gutachten kam zum Ergebnis, dass eine solche Verpflichtung rechtlich nicht möglich wäre. Außerdem gebe es gelindere Mittel, mehr Medizinabsolventen im österreichischen Gesundheitssystem zu halten, etwa durch attraktivere Arbeitsbedingungen in den Spitälern, wie sie auch die Ärztekammer immer wieder fordert.
Fast ein Drittel der Absolventen nie Arzt in Österreich
Tatsächlich sind viele, die in Österreich ein Medizinstudium abschließen, später nie im heimischen Gesundheitssystem tätig. Laut einem Rechnungshofbericht haben sich zwischen 2008/9 und 2018/19 fast ein Drittel der Medizinabsolventen nie in die österreichische Ärzteliste eintragen lassen. Sie sind ins Ausland gegangen oder in andere Branchen gewechselt.
Angesichts der lauter werdenden Warnungen vor einem Ärztemangel sind solche Statistiken der Politik ein Dorn im Auge. Im Juni ritt etwa die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gegen deutsche Medizinstudenten in Österreich aus. “Ich frage mich, ob es sein muss, dass Österreich mit seinen knappen Kapazitäten Ärzte für Deutschland ausbilden muss”, sagte sie und forderte weitere Beschränkungen für ausländische Studierende. Die Einschätzungen, ob solche mit EU-Recht vereinbar wären, gehen allerdings auseinander.
75 Prozent der Studienplätze für Österreicher
75 Prozent der Medizinstudienplätze sind fix für österreichische Maturanten reserviert, bei weiteren 20 Prozent stehen diese in Konkurrenz zu Bewerbern, die ihren Schulabschluss im EU-Ausland gemacht haben – vor allem sind das Deutsche. Um die verbliebenen Plätze rittern schließlich Österreicher, EU-Bürger und Bewerber aus Drittstaaten.
Doch bleibt nur die Minderheit der deutschen Studierenden längerfristig in Österreich, darauf bezog sich auch Mikl-Leitner. Zwischen 70 und über 80 Prozent der deutschen Absolventen aus den Jahrgängen 2008/9 und 2016/17 hatten drei Jahre nach ihrem Abschluss Österreich wieder verlassen. Seither scheint der Wegzug leicht zurückzugehen. Umgekehrt zieht es österreichische Medizinabsolventen im Vergleich zu anderen Ausbildungsfeldern öfter ins Ausland.
Im Bildungsministerium reagierte man bisher vorsichtig auf die Vorstöße Nehammers und Mikl-Leitners, die Möglichkeiten würden juristisch geprüft.
Stipendien in mehreren Bundesländern
Unterdessen suchen die Bundesländer nach eigenen Wegen, Jungärzte an sich zu binden (siehe Seite 6). Das Burgenland bietet Stipendien für ein Studium an der Donau-Uni Krems an – im Gegenzug müssen sich die Empfänger dazu verpflichten, für fünf Jahre in einem öffentlichen Spital oder einer Kassenarztpraxis im Burgenland zu arbeiten. Tirol will mit einem “Landarztstipendium” mehr Medizinabsolventen in Bedarfsregionen locken. Die Steiermark unterstützt seit heuer Studierende finanziell, die für mehrere Jahre in einem Landeskrankenhaus arbeiten wollen.