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Wie und warum Kurz ins Visier der Justiz geriet

15.10.2023 • 14:52 Uhr
Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP)

Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Ein Überblick.

Wer am kommenden Mittwoch ohne Voranmeldung ins Wiener Straflandesgericht will, wird enttäuscht werden. Der Große Schwurgerichtssaal ist bis auf den letzten Platz ausreserviert, 83 Journalistinnen und Journalisten aus dem In- und Ausland haben sich angekündigt. Der Grund: Auf der Anklagebank wird ein ehemaliger Bundeskanzler Platz nehmen. Denn die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist überzeugt, Kurz habe im Ibiza-Untersuchungsausschuss 2020 falsch ausgesagt – unter Wahrheitspflicht. In ihrem 108 Seiten starken Strafantrag argumentiert die Behörde, er habe “wissentlich” die Unwahrheit gesagt, als er zu seiner Involvierung in die Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der Staatsholding Öbag befragt worden war. Er sei lediglich “informiert” gewesen, gab Kurz damals an.

Eine Aussage, die durch publik gewordene Chats zwischen Schmid und Kurz (“Kriegst eh alles, was du willst”) von den Neos als Falschaussage gedeutet wurde. Sie zeigten Kurz an, die WKStA kam zu einem ähnlichen Schluss. Den Chats, die im Prozess wohl verlesen werden, schreibt die Anklage dabei eine “erhöhte Glaubwürdigkeit” zu. Freilich hatte man das auch bei jenen im “Asfinag”-Verfahren gegen Heinz-Christian Strache (FPÖ) getan, der frühere Vizekanzler wurde dennoch freigesprochen. Die WKStA gibt sich trotzdem zuversichtlich und spricht sich im Strafantrag gegen eine Diversion ohne Verurteilung aus – “mangels Verantwortungsübernahme”, heißt es.

Kurz: Vorwürfe “haltlos”

Kurz weist die Vorwürfe zurück, “wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen”. Es sei “wenig überraschend”, dass die WKStA einen Strafantrag gestellt habe – “trotz 30 entlastender Zeugenaussagen”. Laut Justizexperten werde der Nachweis, dass Kurz vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat, zudem nicht allzu leicht zu erbringen sein.

Neben Kurz sollen auch sein langjähriger Vertrauter und Kanzleramtskabinettschef Bernhard Bonelli und Ex-ÖVP-Vizeparteichefin und Generaldirektorin der Casinos Austria, Bettina Glatz-Kremsner, falsche Angaben gemacht haben. Bonelli im Ausschuss, Glatz-Kremsner auch bei einer Einvernahme. Für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Wiedersehen mit Ex-Intimus Schmid

Bis es zu einem Urteil kommt, dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen. Ursprünglich waren drei Verhandlungstage vorgesehen. Doch schon vor Prozessstart wurde verkündet, dass diese allein für das Vortragen der Anklage und die Antworten und Einvernahmen der drei Beschuldigten gebraucht würden. Allein die WKStA hat die Befragung von 21 Zeuginnen und Zeugen beantragt, auf der Liste finden sich prominente Namen wie die ehemaligen Minister Hartwig Löger und Gernot Blümel (beide ÖVP), der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der Industrielle Siegfried Wolf.

Ein Name auf WKStA-Zeugenliste hat besondere Sprengkraft: jener von Ex-Öbag-Chef Schmid. Kurz wird also auf jenen Mann treffen, der ihm nicht nur den Prozess, sondern auch jene anderen (noch laufenden) Ermittlungen einbrockte, die ihm den Kanzlersessel gekostet hatten. Vor einem Jahr legte Schmid eine Art Lebensbeichte über Vorgänge um Kurz ab und belastete diesen mächtige Unternehmer und sich selbst schwer.

Weitere Ermittlungen gegen Kurz

Der damalige Außenminister Kurz und seine Vertrauten sollen mit Mitteln aus dem Finanzministerium (teils manipulierte) Umfragen finanziert haben, um diese unter anderem in der Mediengruppe “Österreich” zu veröffentlichen. Diese soll mit Inseraten entschädigt worden sein, Kurz’ selbst habe damit seine Macht in der ÖVP ausbauen wollen. Das Vorgehen ist unter dem Schlagwort “Beinschab-Österreich-Tool” bekannt – benannt nach Meinungsforscherin Sabine Beinschab, die bei ihrer Einvernahme zu ÖVP-Umfragen auspackte und Kronzeugenstatus erhielt.

Neben Kurz hatte Schmid auch den damaligen Kanzlersprecher Johannes Frischmann und Johannes Pasquali beschuldigt, der frühere Kommunikationsleiter im Finanzressort war. Eingeweiht seien auch Berater Stefan Steiner und Kommunikationsleiter Gerald Fleischmann gewesen. Sie bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Kurz werden Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue vorgeworfen, die Ermittlungen hierzu laufen. Auch eine Studie aus 2016 interessiert die WKStA, in der nach Ausstrahlung und Eindruck des persönlichen Machtstrebens von Kurz gefragt wurde. Die Ermittler erhoffen sich hier Details zu Personen, die in die “Umfragen”-Causa involviert waren.

Kronzeugenstatus noch offen

Kurz’ Erklärung für Schmids Anschuldigungen lautet, dass sich dieser den Kronzeugenstatus erschleichen wolle. Schmid hatte sich der WKStA als solcher angeboten – in der Hoffnung auf Straffreiheit. Voraussetzung dafür ist, dass die Offenbarungen einen wesentlichen Teil zur Aufklärung beitragen und der Wahrheit entsprechen. Ob Schmid der Status zuerkannt wird, ist weiter offen. Da er in diesem Prozess nicht als Beschuldigter geführt wird, muss die Entscheidung darüber nicht vor Prozessbeginn am Mittwoch fallen.