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Vom Nachttopf, der Zeit und Veränderungen

23.10.2023 • 08:47 Uhr
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. <span class="copyright">NEUE</span>
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Unter dem Bett meiner Oma gab es einen Nachttopf. Ursächlich hing das damit zusammen, dass das frühere Haus meiner Großeltern kein WC hatte. Man musste tatsächlich ins Freie und ein wenig durch ungepflasterten Vorstraßen-Gatsch laufen, um auf die Toilette zu gelangen. In der Nacht war das nicht immer angenehm, und so hatte man für die kleinere Notdurft einen weißen Emailtopf unter dem Bett.

Selbst als meine Großeltern dann in einem Haus mit Klo innerhalb der eigenen vier Wände wohnten, war es ganz normal, dass man sich in der Nacht nicht auf den Weg machte, um sich zu erleichtern. Für mich als Kind sorgte es nie für Verwunderung, meine Großmutter pinkeln zu hören, wenn ich einmal in der Nacht zu ihr ins Bett gekrochen bin, weil es in dem Zimmer, in dem ich schlief, spukte. So wie es für meine Großeltern die allernormalste Sache war, war es das natürlich auch für mich. Wenn ich nun am Abend eine Tasse Tee, etwas Wasser oder gar verruchterweise ein kleines Bier trinke, das ich in dreifacher Menge wieder von mir geben muss. In der Nacht bedeutet das alle zwei Stunden hoch und sich schlaftrunken auf das WC kämpfen. Da habe ich mich schon des Öfteren gefragt, warum so ein Nachttopf nicht mehr zu unserer Normalität gehört. Niemand will mehr einen Pot unter dem Bett. Und ich befürchte, es würde bei einem romantischen Date mit nächtlichem Ausgang-Ende für mehr als Stirnrunzeln sorgen, wenn man sich kurz mit einem „Entschuldige“ hochhievt und quietschend den Topf hervorzieht, um den Rotwein des vorhergehenden romantischen Dinners wieder loszulassen.

Früher aber war noch so viel anderes normal, was einen heute die Nase rümpfen lässt. Das Schneuztuch aus Stoff, das man mir immer in den Ärmel gestopft hat, damit ich es einerseits mehrmals verwenden kann und andererseits schnell bei der Hand habe. Die dritten Zähne im Glas im Badezimmer, die ich immer total erstaunt begutachtet hatte, während ich meine ersten putzte. Tatsächlich empfand ich damals nichts davon als grausig. Es war einfach, wie es war. Das zeigt mir, wie sehr sich Normalität durch das, was wir rund um uns täglich wahrnehmen und sehen, entwickelt. Bestenfalls wandeln sich diese Lebensrealitäten durch das, was wir neu dazu lernen, entdecken, sehen und entwickeln. Von eben „Toilettenverhalten“ über Sprache bis hin zu Erziehungsmethoden. Nichts mehr ist wie früher. Und ich finde, das ist nicht unbedingt ein Schaden. Wir sollten nur den Topf unter dem Bett nicht aus unserer Erinnerung streichen, weil er doch immer für ein Schmunzeln gut und Teil unserer eigenen Geschichte ist.

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt mit ihren Töchtern in Hohenems.