“Ich komme zur ersten Windraderöffnung wieder her”

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler über politische Vielfalt, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, die S 18 und die Windkraft.
Sie sind gerade in Vorarlberg zu Gast. Wie wichtig sind Besuche in den Bundesländern?
Leonore Gewessler: Ich bin viel unterwegs und habe das Gefühl, ich bin besonders regelmäßig in Vorarlberg. Der Daniel (Anmerkung: Landesrat Daniel Zadra) schaut darauf, dass ich oft herkomme (lacht). Mir ist es deswegen wichtig, weil es schön zu sehen ist, wie die Dinge und Projekte, die von Bund und Bundesland gemeinsam auf den Weg gebracht worden sind, Realität werden. Es ist immer auch gut, vor Ort ins Gespräch zu kommen und zu hören, was gebraucht wird, und welche Themen die Menschen bewegen. Mein letzter Vorarlberg-Aufenthalt war, glaube ich, die Eröffnung der Pipeline. Kann das sein?
Daniel Zadra: Nein, das war der vorletzte. Beim letzten Mal waren wir im Großwalsertal. Das ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie es Hand in Hand funktioniert. Das Klimaschutzministerium hat über die Klimaticketgelder zusätzliche Mittel für den Ausbau des Angebots im Personennahverkehr lukriert, und wir haben uns vor Ort angeschaut, wo das Sinn macht. Darum waren wir im Großwalsertal, weil wir dort noch nicht sind, wo wir hinmöchten. Wir haben alle Bürgermeister in der Talschaft kennengelernt. Durch die Gelder des BMK (Anmerkung: Bundesministerium für Klimaschutz) können wir jetzt eine Verdoppelung des Bus-Angebots ins Große Walsertal bringen. Genau so funktioniert’s.

Zur Person
Leonore Gewessler wurde am 15. September 1977 in Graz geboren. Seit 7. Jänner 2020 ist sie Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Davor war sie unter anderem Geschäftsführerin von Global 2000.
Es gibt aber viele „Großwalsertäler“. Wie bringt man, alle Interessen unter einen Hut?
Gewessler: Eines der besten Beispiele dafür ist das Klimaticket. Die Idee dazu hat es ja schon lange gegeben. Einige Regierungen haben schon gesagt: „Ja, das machen wir“. Aber passiert ist es nie. Und warum? Weil der öffentliche Verkehr ein komplexes Gebilde ist. Er ist in den Bundesländern unterschiedlich organisiert, und es gibt viele verschiedene Bedürfnisse. Um das Klimaticket umzusetzen, braucht es also ein klares Ziel. Man muss wissen, warum man das macht, was man macht, und was man damit bewegen will. Und es braucht eine gute Portion Hartnäckigkeit, um in vielen Gesprächen gute Lösungen zu finden. Das ist uns gelungen.
Zadra:Ich glaube, das zeichnet uns Grüne auch besonders aus. Wir haben ein klares Ziel vor Augen, egal ob im Bund, auf der Landesebene oder in den Gemeindevertretungen. Und wir wissen, dass wir das nur gemeinsam erreichen. Natürlich haben wir auch Diskussionen, weil wir unterschiedliche Standpunkte haben. Aber wir sind uns in der Zielsetzung einig, während andere sehr viel gegeneinander diskutieren. Bei uns ist das Teamplay im Vordergrund.

Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Regierungskonstellationen in den Ländern?
Gewessler:In Ländern, wo Grün regiert, merkt man, dass grüne Regierungspolitik wirkt. Johannes Rauch war der erste Landespolitiker aus dem Verkehrsbereich, der auf mich am Beginn meiner Zeit als Ministerin zugekommen ist. Er war damals noch in Vorarlberg und hat schon lange Radfahrpolitik gemacht. Er wusste, dass es jetzt die Ministerin in Wien gibt, die aktive Mobilität unterstützen will. Er war da, gut vorbereitet und hat Projekte vorgelegt. Das hat dazu geführt, dass wir gemeinsam wirklich großartige Projekte in Vorarlberg umsetzen konnten. Denken Sie an den großen Radwegausbau, zum Beispiel die Pipeline. Insgesamt ist Politik vielfältiger geworden – in den Aufstellungen und Konstellationen. Wenn ich 40 Jahre zurückschaue, ist das sicher nicht nur schlecht.
Zadra: Im Hinblick auf die unterschiedlichen politischen Konstellationen zieht sich – im Bund und in den Ländern – ein grüner Faden durch. Wir sind diejenigen, die auch in Krisenzeiten für Stabilität gesorgt haben – egal, ob es innenpolitische Krisen waren oder die Energiekrise. Die Grünen haben kühlen Kopf bewahrt und haben in die Zukunft regiert. Das hätte man uns wahrscheinlich im Vorfeld gar nicht zugetraut.

Bei der S 18 haben Sie, Frau Ministerin, in manchen politischen Sphären das Image als Verhindererin. Wie geht man damit um?
Gewessler: Ich habe den Job mit der Verantwortung übernommen, im Klimaschutz einen Beitrag dazu zu leisten, dass wir in unserem Land 2040 noch ein gutes Leben haben können. Das heißt dann, die Verantwortung bei jedem einzelnen Projekt, in jedem einzelnen Bereich und bei all dem, was es im Ministerium zu tun gibt, von Energie bis hin zur Mobilität, auch wahrzunehmen. Bei schwierigeren Fragen darf man nicht die Augen verschließen. Sondern: hinschauen und Lösungen finden. Sind Ideen, die jetzt in diesem Fall seit 60 Jahren gewälzt werden, eigentlich noch der Weisheit letzter Schluss, oder stehen nicht die alte Idee und das alte Denken einer guten Lösung im Weg? Deswegen war mein Auftrag, zu evaluieren, welche Alternativen es gibt. Ich denke, 2024 ist es nicht mehr zeitgemäß mitten durch ein Naturschutzgebiet mit viel Beton eine Autobahn zu bauen. Es gehört zur Verantwortung, sich die Frage zu stellen: Ist das wirklich eine zukunftsfähige Lösung?.
Zadra: Ich erinnere auch daran, dass die Evaluierung dieses Projektes eine mit dem Koalitionspartner gemeinsam getragene Abstimmung im Nationalrat war. Da war die ÖVP genauso dabei wie die SPÖ, die Neos und andere. Dazu kenne ich in Lustenau nur eine Meinungsumfrage zum Thema. Das ist die Volksbefragung, die ein eindeutiges Ergebnis zutage gefördert hat. 77 Prozent wollen die S 18 in dieser CP-Variante nicht.

Wo sehen Sie als Ministerin in Ihren Ressorts die positiven Entwicklungen in Vorarlberg, und wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Gewessler: Ich finde es schön, dass man in Vorarlberg – so wie auch im Bund – sieht, wie grüne Klimaschutzpolitik und Mobilitätspolitik wirken. Die ersten großen Überland-E-Busse, die in Österreich in Betrieb genommen wurden, fahren in Vorarlberg. Ich habe letztens auch in Wien die ersten auf die Reise geschickt, aber Vorarlberg hat mittlerweile 104 Busse bestellt. Ein weiteres aktuelles Beispiel für eine gute Bund-Länder-Zusammenarbeit: Wir stehen gerade vor der großen und wichtigen Aufgabe, wie wir in der Wärmeversorgung raus aus russischem Gas kommen. Wir haben hier eine neue Förderung für Geothermie geschaffen. Wer war der Erste, der sich dafür interessiert hat? Daniel Zadra, der meinte: „Ich habe da ein Projekt“.
Zadra: Genauso funktioniert gute Zusammenarbeit. Die tiefe Geothermie haben wir uns schon länger angeschaut. Es gibt Potenzialgebiete, aber das sind derart große und komplexe Projekte, da braucht man starke Partner. Dann kann man auch als kleines Bundesland große Brötchen backen.
Gewessler: Und zu Ihrer Frage, wo ich noch Verbesserungsbedarf sehe: Wir sind mitten in einer Energiekrise. Da schmerzt es, dass es Bundesländer gibt, in denen noch kein einziges Windrad steht. Denn Windkraft macht unabhängig, sie ist eine gute Ergänzung zu Sonnen- und Wasserkraft, gerade in den Wintermonaten. Ich freue mich, dass auch in Vorarlberg die jahrelange grüne Knochenarbeit Wirkung zeigt: Es gibt jetzt einen Windkraftatlas, der die Potentziale im Land aufzeigt, und die Vkw haben in erste Projekte investiert, wenn auch noch nicht in Vorarlberg. Aber das wird kommen. Es bewegt sich etwas. Ich verspreche, ich komme zur ersten Windraderöffnung wieder her.