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Enormer Gletscherschwund

05.04.2024 • 11:39 Uhr
Enormer Gletscherschwund
Der Rückgang der Pasterze: Aufnahmen aus den Jahren 1920 (rechts), 2006 (Mitte) und 2023 (links). ÖAV-Gletschermessdienst

Österreichs Gletscher schmelzen in hohem Tempo und zogen sich im viel zu warmen Vorjahr im Schnitt um fast 24 Meter zurück.

Gerhard Karl Lieb fasst es in unverblümte Worte: „Das Vorjahr war ein hundsmiserables Jahr für die Gletscher.“ Der Forscher am Institut für Geografie an der Uni Graz, der gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Kellerer-Pirklbauer den Gletschermessdienst des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) leitet, hat unerfreuliche Neuigkeiten im Gepäck. Österreichs Gletscher haben im Vorjahr im Schnitt um 23,9 Meter an Länge eingebüßt, wie der druckfrische neue Gletscherbericht zeigt. Das ist der drittstärkste Gletscherrückgang seit Messbeginn vor mehr als 130 Jahren (den Rekord hält die vorangegangene Saison 2021/11 mit minus 28,7 Metern). Besonders schlimm hat es diesmal die Pasterze erwischt. Die Gletscherzunge am Fuße der Großglocknergruppe hat sich um 203 Meter zurückgezogen und die bisherigen Maximalschmelzen um mehr das Doppelte übertroffen. Vom einstigen weißen Koloss ist kaum noch etwas übrig.

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Klimawandel als Hauptursache

Grund für den immer rascheren Gletscherschwund in Österreichs Bergen ist der Klimawandel. So war das Gletscherjahr zwischen Oktober 2022 und September 2023 an den relevanten Messstellen um 1,7 Grad wärmer als der Schnitt der Klimaperiode 1981 bis 2010. Elf der zwölf Monate lagen über dem Mittel, der September 2023 brachte es sogar auf 4,9 Grad zu viel – bei einem Niederschlagsdefizit von minus 52 Prozent. „Viele Gletscher sind deshalb über Monate hinweg ausgeapert“, sagt Lieb. Das bedeutet, dass die Sonne direkt auf das Gletschereis schien, was im Normalzustand nur für kurze Zeiträume passiert. Im Fall der Pasterze war das diesmal allerdings von Mitte Juni bis Mitte Oktober fast durchgehend der Fall.

Enormer Gletscherschwund
Der Schlatenkees verlor im Vorjahr mehr als 90 Meter Länge. Zum Vergleich im kleinen Bild: So sah der Gletscher noch 2019 aus. ÖAV/ Wibmer

Die Folge: Die Gletscherzunge dürfte im Vorjahr rund 14 Millionen Kubikmeter Eis verloren haben. Das entspricht einem Eiswürfel mit einer Kantenlänge von 241 Metern. „Allein in den vergangenen vier Jahren ist die Pasterze um rund 400 Meter zurückgegangen und wird wohl in diesem Jahrzehnt abbrechen“, sagt Kellerer-Pirklbauer. Alle 79 vermessenen Gletscher zusammengenommen beträgt der aktuelle Eisverlust errechnete 600 Millionen Kubikmeter. Die stärksten Rückgänge gab es abseits der Pasterze am Rettenbachferner mit minus 127 Metern, am Sexergertenferner (beide in den Ötztaler Alpen) mit minus 93,7 Metern und am Schlatenkees (Venedigergruppe) mit minus 92,8 Metern.

Der Gletscherbericht

Jedes Jahr vermessen ehrenamtliche Expertinnen und Experten sowie Helferinnen und Helfer im Auftrag des Alpenvereins Österreichs Gletscher. In der Saison 2022/23 waren 24 Gletschermesser und 44 Begleiter unterwegs und beobachteten 93 Gletscher, von denen 79 mit in Summe 239 Messmarken genau vermessen wurden.

In Schnitt gingen die vermessenen Gletscher um 23,9 Meter zurück. Die zehn größten Rückgänge:
1. Pasterze (Kärnten, Glocknergruppe) -203,5 Meter
2. Rettenbachferner (Tirol, Ötztaler Alpen) -127,0 Meter
3. Sexergertenferner (Tirol, Ötztaler Alpen) -93,7 Meter
4. Schlatenkees (Tirol, Venedigergruppe) -92,8 Meter
5. Fernauferner (Tirol, Stubaier Alpen) -68,0 Meter
6. Gepatschferner (Tirol, Ötztaler Alpen) -67,0 Meter
7. Freiwandkees (Tirol, Glocknergruppe) -65,8 Meter
8. Marzellferner (Tirol, Ötztaler Alpen) -49,9 Meter
9. Frosnitzkees (Tirol, Venedigergruppe) -46,0 Meter
10. Alpeinerferner (Tirol, Stubaier Alpen) -43,4 Meter

Ende in Sicht

Lieb schätzt, dass es in 40 bis 45 Jahren mit den österreichischen Gletschern ganz vorbei ist. Verhindern lasse sich das nicht mehr. „Dafür ist das System zu träge. Weltweit könnte man den Gletscherschwund aber mit einer ambitionierten Klimapolitik noch stoppen“, sagt der Experte. ÖAV-Vizepräsidentin Nicole Slupetzky kritisiert in diesem Zusammenhang den „permanenten Druck“, dem die österreichischen Gletscher trotz ihres Sterbens durch Skigebietserweiterungen und Liftausbauten weiter ausgesetzt seien. „Nur noch sieben Prozent der österreichischen Landschaft sind unberührt. Wir müssen die letzten Gletscher jetzt schützen, ohne Wenn und Aber“, sagt die Salzburgerin.