Jetlag, Fantasie über die Zeit

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.
Ich habe seit einer Woche Jetlag. Nicht, weil ich retour bin vom Urlaub aus einem weit entfernten Land mit Badestrand, sondern ganz simpel, weil man an der Uhr gedreht hat – und ich frage mich jeden Morgen: „Ist es wirklich schon so spät?“ Gestern war ich so kaputt, dass ich mich für einen Powernap kurz dem Schlaf hingeben wollte. Drei Stunden später bin ich hochgeschreckt und habe mich einen kurzen Moment überhaupt nicht mehr ausgekannt. Wo bin ich und vor allem wann (!) bin ich? Ein äußerst unangenehmes Gefühl.
Ich mag diese Umstellerei an der Zeit überhaupt nicht. Bis ich mit meinem absolut unflexiblen Körper endlich wieder auf der Spur bin, ist schon wieder Winterzeit. Gähn! Es keimt in mir der Eindruck auf, dass wir uns diese einst logische Idee des Eingriffs in die Messbarkeit von Dauer und Moment nur beibehalten, um uns zu beweisen, dass wir Herr über Raum und Zeit sind. (Beim Lesen des folgenden Satzes sollte man sich bitte ein fußaufstampfendes Rumpelstilzchen vorstellen, danke.) „Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen spiele ich der Zeit einen Streich! Ach wie gut, dass niemand weiß, dass das Ganze ist ein Seich!“ – das mit dem Dichten lerne ich noch. Aber ich finde dennoch, wir sollten das aufhören. Wesentlich logischer wäre, wenn wir zum Beispiel alle fünf Jahre ein Jahr zurückdrehen. DAS würde mal Sinn machen. Wir allesamt hätten ein Jahr Zeit, Verabsäumtes aufzuholen und eventuellen Blödsinn auszubügeln sowie Erfolge noch zu verbessern. Die Kids hätten ein Jahr mehr Zeit in der Schule, um Inhaltliches zu vertiefen und können ihrer Kindheit per se länger frönen. Und wir würden uns allesamt jünger fühlen, einfach so, weil Placebos erwiesenermaßen einen krassen Effekt auf die Psyche haben. Das Allerbeste an der ganzen Geschichte wäre aber, es gäbe keine Jetlags. Dasselbe Jahr nochmals im Kalender stehen zu haben, ist dem Schlafrhythmus ziemlich egal.
Irgendwo in meiner Schublade habe ich noch meinen alten Kalender von 2023. Ich werde jetzt ein Zeichen setzen und mir diesen wagemutig wieder auf meinen Schreibtisch stellen. Irgendjemand muss anfangen, die Zeit wieder zurückzuholen, die wir verrennen. Im Anschluss geh ich einkaufen und bestücke meinen Kühlschrank mit Energiedrinks. Es hilft mir nämlich nix, wenn ich dann das Jahr 2023 verschlafe und wieder 2024 aufwache. Hiermit schenke ich euch den Freitag, 7. April 2023. Genießt die gewonnene Zeit, hegt und pflegt sie und umarmt jemanden – weil – alles, was heute getan wird, wurde niemals versäumt.
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.