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„Der Mann ist nicht ganz dicht“

18.04.2024 • 23:00 Uhr
Mercedes Schneider
Der ehemalige Kanzler Wolfgang Schüssel beim Pressegespräch mit Landesrat Marco Tittler (l.) sowie Wirtschaftsbund-Direktor Christoph Thoma (r.).

Ein Plädoyer für die EU hielt Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel in Dornbirn und fand klare Worte für den blauen EU-Spitzenkandidaten Harald Vilimsky.

Ohne das aus früheren Tagen bekannte „Mascherl“, aber mit deutlichen Worten im Gepäck war am Donnerstagabend der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) in Vorarlberg zu Besuch. Beim Frühlingsimpuls des Wirtschaftsbunds bei Mercedes Schneider in Dornbirn war er als Keynote-Speaker geladen und referierte „über die anstehenden Wahlen im Spannungsfeld von den USA, China und Russland“.

Lebenswert

Zugleich wurde der Abend auch genutzt, um die Wirtschaftsbund-Frühlingskampagne „Lebenswertes Vorarlberg“ vorzustellen. Trotz großer Herausforderungen sei es nicht an der Zeit zu jammern, sondern darüber nachzudenken, was jeder und jede Einzelne dazu beitragen könne, um das Land lebenswert zu halten, erläuterte Landesrat Marco Tittler (ÖVP). Die Verantwortlichen des Wirtschaftsbunds haben diesbezüglich die vier Schwerpunktbereiche Arbeit, Digitalisierung, Mobilität und Wohnen identifiziert, denen man sich in der politischen Arbeit verstärkt widmen wolle.

Mercedes Schneider
Die Verantwortlichen des Wirtschaftsbundes luden am Donnerstagabend zum Frühlingsimpuls. Hartinger

In einem Pressegespräch vor seinem Referat lenkte der ehemalige Bundeskanzler Schüssel den Fokus auf die EU. „Besser gemeinsam als einsam“, zitierte er den Slogan der Beitrittskampagne in Österreich vor 30 Jahren. An diesem Motto habe sich auch heute nichts geändert, machte Schüssel deutlich. Die Herausforderungen der aktuellen Zeit wie etwa die geopolitischen Spannungen könne kein Land alleine bewältigen. Auch Themen wie etwa der Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich mit den USA und China, dem medizinischen Fortschritt, dem Datenschutz, der künstlichen Intelligenz und allen damit zusammenhängenden Fragestellungen und Herausforderungen müsse man sich gemeinsam stellen.

Zur Person

Wolfgang Schüssel wurde am 7. Juni 1945 in Wien geboren und ist der längst dienende Bundesparteiobmann der ÖVP. Von 1995 bis 2007 hatte er diese Funktion inne. Zudem war er von 2000 bis 2007 Bundeskanzler einer schwarz-blauen Koalition. Die damalige Kanzlerschaft war wohl eine der umstrittensten der vergangenen Jahrzehnte. Denn Schüssel ging – als Drittplatzierter in der Nationalratswahl – eine Koalition mit der FPÖ von Jörg Haider ein. Sowohl im In- als auch im Ausland gab es harsche Kritik an der Regierungsbeteiligung der Blauen unter ihrem rechtspopulistischen Parteichef, auch wenn dieser der Bundesregierung nicht angehörte und sich aus der Führungsposition in der FPÖ zurückzog.
Diese schwierige Phase überstand der damalige Kanzler jedoch und führte die ÖVP erstmals seit dem Jahr 1966 wieder auf Platz eins bei der Nationalratswahl. Erneut wurde eine Koalition mit den Freiheitlichen gebildet. Diese hielt bis zum Jahr 2006. Der nächsten Regierung einer rot-schwarzen Koalition unter SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer gehörte Schüssel nicht mehr an. Allerdings blieb er noch bis 2011 als Abgeordneter im Nationalrat. Danach zog sich der promovierte Jurist aus der Politik zurück.

Österreich habe außerdem klar vom EU-Beitritt profitiert. So hätten sich seitdem etwa die Wirtschaftskraft verdreifacht, die Exporte verfünffacht und die Auslandsinvestitionen in Österreich verzehnfacht. Dazu gebe es im Vergleich zu damals 1,5 Millionen Arbeitsplätze mehr. Kein Verständnis hat Schüssel aus diesem Grund für Politiker, die über einen EU-Austritt nachdenken oder diesen sogar befürworten. Für den FPÖ-EU-Spitzenkandidaten Harald Vilimsky fand der Ex-Kanzler dementsprechend deutliche Worte: „Der Mann ist ja nicht ganz dicht“, meinte der frühere Bundeskanzler mit Blick auf die Aussagen des FPÖ-Politikers. Dieser hatte Anfang April gesagt, dass er sofort den „roten Knopf“ drücken würde, um Österreich aus dem „EU-Irrsinn“ herauszuholen.

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Wolfgang Schüssel war als Keynote-Speaker geladen. Hartinger

Eine gewisse Skepsis gegenüber der Europäischen Union kann Schüssel aber verstehen. „Nichts ist perfekt“, meinte er. Die Union könne also noch besser werden. Die Menschen seien sich dessen jedoch bewusst. Schließlich habe die jüngste Eurobarometer-Umfrage gezeigt, dass eine klare Mehrheit gegen einen EU-Austritt sei. Man müsse ein Konstrukt nicht unbedingt lieben oder begeistert davon sein, um zu merken, dass dieses zählbare Erfolge gebracht habe. Der ehemalige Kanzler sieht bei der EU vor allem Verbesserungsbedarf bei den Themen, die diskutiert werden. Der Fokus müsse verstärkt auf die großen Fragen und Herausforderungen gerichtet werden.

Glaubhaft

Angesprochen auf Russlands Angriff auf die Ukraine berichtete Schüssel von seinem ersten Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei der Ski-WM in St. Anton im Jahr 2001. Beim gemeinsamen Skifahren habe dieser noch erklärt, er wolle Russland in Richtung Europa öffnen. „Das war glaubhaft“, konstatierte der frühere ÖVP-Spitzenpolitiker. Allerdings habe sich die Einstellung des russischen Präsidenten in den kommenden Jahren langsam immer mehr verdüstert, bis es dann 2014 zum Angriff auf die Krim gekommen sei. Zu lange sei diese Veränderung trotz Warnungen aus Polen und dem Baltikum nicht wahrgenommen worden. Auch er selbst habe zu lange einen russischen Angriff nicht für möglich gehalten, räumte Schüssel ein.

Mercedes Schneider
Der ehemalige Bundeskanzler und Landesrat Marco Tittler beim Gespräch mit der Presse. Hartinger

Umso wichtiger sei es daher jetzt, die Ukraine „mit allen Mitteln“ zu unterstützen. Mit der entsprechenden Hilfe von Europa und den USA sei es absolut möglich, dass das Land nicht von den Russen überrollt werde. Die Frage, ob auch Österreich die Ukraine militärisch unterstützen solle, verneinte der frühere Bundeskanzler. Dazu sei man aufgrund der „eigenen ausgedünnten militärischen Fähigkeiten“ wohl eher nicht in der Lage. Gerade deswegen müsse das Bundesheer nun wieder „aufgepäppelt“ werden.