Annäherungen an Kit Armstrong

Irène Zandel
In „Kit Armstrong Metamorphosen eines Wunderkinds“ gibt Inge Kloepfer Einsichten in die Welt des Jahrhunderttalents.
Es gibt Menschen, denen alles zuzufliegen scheint, Menschen, über die man nur staunen kann. Einer von ihnen ist der Pianist, Komponist, Organist und Naturwissenschaftler Kit Armstrong, der bereits viele Male im Rahmen der Schubertiade und im Bodenseeraum zu hören war. Die Autorin Inge Kloepfer bringt uns den heute 32-Jährigen nahe.
Frühe Kindheit
In enger Bindung an die alleinerziehende Mutter, die ihre eigene Berufstätigkeit als Naturwissenschaftlerin aufgab, als ihr die frühkindliche Hochbegabung ihres Sohnes bewusst wurde, hat Kit Armstrong alles aufgesogen, Universitätsabschlüsse gemacht, als andere Kinder in der Grundschule waren. Als Fünfjähriger komponierte er ein erstes Stück, erst danach bekam er von seiner Mutter ein Klavier, in der Folge kam er nicht mehr vom Instrument los. Dass er parallel zur Schulausbildung, zu Komposition und Klavier auch in früher Kindheit Physik, Chemie und Mathematik in seiner amerikanischen Heimat, in Paris und London studierte, mehrere Sprachen spricht und gutes Essen liebt, sind weitere Puzzlesteine im Leben eines Menschen, für den alles Anregung für seinen überwachen Geist ist.
Einen Lebensmittelpunkt, auch das ist ungewöhnlich, hat sich Kit Armstrong in einer leerstehenden Kirche in Hirson im Norden Frankreichs an der Grenze zu Belgien geschaffen: Von hier aus hat er während der Corona-Lockdowns, als alle Konzerte abgesagt wurden, zahlreiche Videos mit sehr persönlicher Programmauswahl, facettenreicher Anschlagskultur und eigener Moderation gestreamt.

Denken und Fühlen
In vielen Gesprächen hat sich die Journalistin und Autorin Inge Kloepfer dem Künstler angenähert, hat versucht, dem Wesen Kit Armstrongs auf die Spur zu kommen. Sie nimmt uns mit in die so eigene Welt seines Denkens, Fühlens und Musizierens und bringt uns einen genialen, dabei freundlichen und zugewandten Menschen nahe. Die musikalische Prägung durch seinen Lehrer Benjamin Kaplan in London und durch den Pianisten Alfred Brendel, der in bereits hohem Alter Kontakt mit dem 12-Jährigen aufnahm, um mit ihm zu arbeiten, nimmt breiten Raum ein.

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Aber auch Kit Armstrongs tiefe Auseinandersetzung mit den Werken von Johann Sebastian Bach, seine Annäherung an das Instrument Orgel, an die Werke des englischen Renaissancemeisters William Byrd oder seine Gedanken zu Interpretation und Programmgestaltung sind außergewöhnlich. Kompositionen, auch seine eigenen, vergleicht er gerne mit der Zubereitung einer besonderen Speise, den Gewürzen oder der Gesamtwirkung eines Gerichts.
Maschinen als Musiker
Im letzten Kapitel gewähren Kit Armstrong und Inge Kloepfer Einblick in ein Forschungsprojekt in Taiwan, in dem die Welt des Musikers und die des Mathematikers und Naturwissenschaftlers Armstrong zusammenfließen: „Können Maschinen durch Algorithmen lernen, wie natürliche Musiker mit anderen zu interagieren? Wie werden Maschinen so gute Musiker wie Menschen, und was lassen sich dabei für Erkenntnisse über Musik, über Wirklichkeit und Menschen gewinnen?“ Es mag einem ein bisschen mulmig werden, aber wenn es jemandem gelingt, so etwas zu entwickeln, dann wohl ihm. Ein „Wunderkind“ wollte Armstrong nie sein, ein „Wunder“ aber bleibt er für uns Normalsterbliche.
Inge Kloepfer, „Kit Armstrong – Metamorphosen eines Wunderkinds. Erschienen am 29. Februar 2024 im Berlin Verlag, 256 Seiten, 24,70 Euro.