Gefährlicher Trend: Risikodroge Kratom?

Unscheinbar liegt es im Regal: Kratom. Ein Pulver aus Pflanzenblättern, das Euphorie sowie Ruhe verspricht – aber auch Risiken birgt.
Im Laden ist es heiß und zugegeben auch etwas stickig. Fragend sehe ich mich um und finde mein Ziel direkt an der Wand, neben der Kasse hängend. Kratom, abgepackt in bunten Beuteln, wirkt wie ein trendiges Nahrungsergänzungsmittel.
Gekauft wird ein 50-Gramm-Beutel mit sogenanntem Mitragyna speciosa, dem wissenschaftlichen Begriff für Kratom. Er wirkt wie ein Schnäppchen neben den zwei „Extra Strong“-Kratom-Kapseln, die satte 60 Euro kosten. Auf der Rückseite der Verpackung findet sich ein Warnhinweis: „Nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt. Nicht für Personen unter 18 Jahren geeignet. Schwangere oder stillende Frauen sollen Kratom nicht verwenden. Nicht mit Alkohol oder anderen Drogen konsumieren.“

Nur Deko?
Alles klar – Kratom scheint kein Lebensmittel zu sein. Umso irritierender war jedoch, dass es auf dem Kassenbon als „Hanfknabberzeug“ klassifiziert wurde. Auf Nachfrage erklärte der Verkäufer, dass Kratom in die gleiche Steuerklasse wie sonstiges „Hanfknabberzeug“ im Geschäft falle. „Nicht für den menschlichen Verzehr geeignet“ stehe nur darauf, damit sich der Hersteller rechtlich absichern könne.
Eine kurze Recherche liefert weitere Aufklärung über das ominöse Produkt. Kratom ist der Name eines ostasiatischen Baumes, dessen Blätter psychoaktive Wirkungen besitzen. Bei uns im Handel findet man sie meist in getrockneter, zu Pulver vermahlener Form.
In Österreich ist Kratom derzeit weder als Arzneimittel noch als Lebensmittel zugelassen. Es wird auch nicht als Betäubungsmittel eingestuft. Trotzdem ist der Verkauf ohne Verzehrhinweis – also wenn man es als Räucherwerk, Färbemittel oder Forschungsrohstoff vertreibt – erlaubt. Es muss lediglich klar gekennzeichnet werden und darf nicht an unter 18-Jährige verkauft werden.
Ob es dann tatsächlich nur als Dekoartikel, Forschungsobjekt oder Räucherwerk verwendet wird, beantwortet wohl schon die Kennzeichnung auf dem Kassenbon.
So erzählt ein Käufer des Produkts der NEUE: „Ich habe ein bisschen Kratom-Pulver in einem Glas Wasser aufgelöst und es schnell getrunken. Der Geschmack erinnerte mich an eine Mischung aus Algen und Grüntee, war aber trotzdem recht angenehm. Nach etwa 40 Minuten setzte die Wirkung ein. Zunächst war ich sehr entspannt und empfand auch eine gewisse Euphorie. Gegen drei Uhr beschlossen meine Freunde und ich, einen Spaziergang im Park zu machen. Dort angekommen fühlte ich mich ziemlich dehydriert, gleichzeitig aber auch wie in Watte gepackt und so tiefenentspannt wie noch nie. Also entschied ich mich, Wasser aus dem Wasserspender zu trinken. Anfangs war mir noch nicht übel, doch nachdem ich eine Flasche Wasser getrunken hatte, musste ich erbrechen. Danach folgten etwa zehn Minuten heftiges Würgen. Als das vorbei war, ging es mir für den Rest des Abends eigentlich gut.“ Joel (Name von der Redaktion geändert) hat bereits nach einer kleinen Menge Kratom eine der Hauptnebenwirkungen verspürt: Übelkeit und Erbrechen.
Gefahrenpotenzial
Im Jahr 2022 wurde in der Ärztezeitschrift „Der Schmerz“ Kratom auf seine medizinischen Eigenschaften analysiert. Darin lehnen die Autoren, eine Gruppe wissenschaftlich tätiger Schmerzmediziner, den medizinischen Einsatz von Kratom ab. Als Grund nennen sie die derzeit noch schwierige Dosierbarkeit des Hauptwirkstoffes Mitragynin. Dieser ist etwa zehn Mal schmerzstillender als Morphin und bietet zusätzlich bei niedrigen Dosen eine euphorisierende und bei hohen Dosen eine dämpfende Wirkung. Von außen betrachtet erscheint Kratom als hochpotentes Mittel – und wie Paracelsus bereits wusste: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“
Im Artikel werden als häufigste Nebenwirkungen Zittern, Muskelkrämpfe, Muskelschmerzen, Schlaflosigkeit, Angst, Anspannung, Übelkeit, Schwitzen, Durchfall und Erbrechen genannt. Des Weiteren warnen die Wissenschaftler vor der potenziellen Suchtgefahr und den Folgen von Kratom. Längerfristiger Konsum könne zu schweren Leberschäden führen, und der Entzug vom Produkt verlaufe wie ein typischer Opiatentzug.
Suchtgefahr
Auf Nachfrage der NEUE bei der Clean-Stelle der Maria Ebene erklärt Bereichsleiter David Junker: „Uns kommen immer wieder Fälle unter, in denen Personen Kratom konsumieren. Man muss dazu sagen, dass diese bisher immer auch noch andere Drogen zu sich nahmen – eine ausschließliche Kratomabhängigkeit ist uns bisher noch nicht untergekommen. Uns ist jedoch absolut bewusst, dass Kratom eine hohe Suchtpotenz hat. Wir verfolgen die Entwicklung des Produktes am Markt sehr genau und werden dementsprechend reagieren.“
In den USA sorgt derzeit eine Tinktur aus hauptsächlich Kratom und etwas Kava Kava – einer afrikanischen psychoaktiven Pflanze, die auch bei uns legal erhältlich ist – für Aufsehen. So berichtete CNN am 26. August, dass sich die Meldungen von Kratomsüchtigen in den USA häufen, besonders in Bezug auf die Kratom-Tinktur „Feel Free“. Betroffene berichten von mehrfachem Erbrechen am Tag sowie dem Konsum von bis zu zehn Fläschchen täglich.
Das Kratomspecial aus Wien
Der derzeit größte Händler für Kratomprodukte in Österreich scheint der Onlineshop „Special Kratom“ aus Wien zu sein.
Gleich beim Öffnen der Webseite sticht einem ein oranger Warnhinweis ins Auge. Darauf ist zu lesen: „Warning: Kratom ist kein Lebensmittel.“ Sobald man aber nur ein bisschen tiefer auf der Webseite gräbt, könnte durchaus die Frage aufkommen, ob der Hersteller diesen Hinweis tatsächlich ernst meint.
So steht in der Beschreibung von Kratom Gummibärchen: „Praktische Einnahme: Keine Notwendigkeit, Pulver zu messen oder Kapseln zu schlucken. Genießen Sie einfach einen Gummi für eine präzise Dosierung. Diskret und tragbar: Perfekt für unterwegs. Unsere Gummies passen problemlos in Ihre Tasche oder Ihren Rucksack.
Geschmack: Lecker und angenehm, ideal für den täglichen Genuss.“
Wie man bei solchen Produktbeschreibungen nicht von einem Lebebnsmittelprodukt ausgehen soll, sei dahingestellt.

Der Ursprung der Pflanze
Kratom, botanisch auch Mitragyna speciosa genannt, ist ein Baum aus Südostasien, dessen Blätter seit Jahrhunderten genutzt werden. Bauern kauten sie traditionell, um Müdigkeit bei harter Feldarbeit zu lindern, und in der Volksmedizin dienten sie als Mittel gegen Schmerzen, Fieber oder Durchfall. Auch Teezubereitungen hatten dort ihren festen Platz im Alltag und in Ritualen.
Doch die Pflanze hat durchaus ihre Schattenseiten. In höheren Dosierungen kann Kratom dämpfend und abhängig machen. In Thailand wurde der Konsum bereits im 20. Jahrhundert eingeschränkt, da er mit sozialem Missbrauch und gesundheitlichen Problemen in Verbindung gebracht wurde. Langfristiger Gebrauch kann zu Leber- und Nierenschäden führen, zudem sind Entzugserscheinungen wie Erbrechen, Angstzustände, Zittern und Ähnlichem bekannt.
Während Kratom in Südostasien Teil einer langen Tradition ist, ist es im Westen heute stark umstritten – zwischen angeblicher Heilpflanze, Alltagsdroge und rechtlicher Grauzone sucht die Pflanze derzeit ihren Platz.