In Hochform mit Giedrė Šlekytė

Die Wiener Symphoniker mit Giedrė Šlekytė und Kian Soltani begeisterten am Montag beim ersten Orchesterkonzert der Festspielsaison.
Zum dritten Mal in Folge freute sich der Vorarlberger Cellist Kian Soltani über ein Heimspiel bei den Bregenzer Festspielen: Nach den beiden Konzerten von Schostakowitsch in den vergangenen Sommern interpretierte er im ersten Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker das Cellokonzert von Robert Schumann.

Klare Linie
Mit der jungen litauischen Dirigentin Giedrė Šlekytė – die Symphoniker und die Bregenzer Festspiele sind geradezu vorbildlich darin, Dirigentinnen zu engagieren! – stellte sich eine sehr sympathisch wirkende Musikerin mit klarer Linie vor, die wie etwa ihre französische Kollegin Marie Jacquot in Österreich ausgebildet wurde und ihren Weg im internationalen Musikgeschäft weiter geht: Unter anderem begleitete sie im vergangenen November an Stelle des erkrankten Daniel Barenboim die Staatskapelle Berlin auf deren Tournee nach Kanada.

Zur Person: Giedrė Šlekytė
Geboren in Vilnius, begann sie ihre musikalische Ausbildung an der National M. K. Čiurlionis Kunstschule in Vilnius. Dann studierte sie Dirigieren in Graz, Leipzig und Zürichch. Šlekytė ist Preisträgerin des „International Malko Competition for Young Conductors“ in Kopenhagen. Im Jahr 2015 wurde sie für den Salzburg Festival Young Conductors Award nominiert und 2018 als „Newcomer of the year“ bei den International Opera Awards ausgezeichnet
Mit seiner durchkomponierten Form und seiner engen Verbindung von Soloinstrument und Orchester birgt das einzige Cellokonzert von Schumann besondere Herausforderungen: Kian Soltani übernimmt die Rolle des fantasievollen Erzählers, der sich nicht in erster Linie als Virtuose präsentiert, aber in ständigem Austausch mit seinen Kolleginnen und Kollegen und mit der Dirigentin spielt, atmet und tanzt. In tiefste Regionen seines Instruments steigt er hinab, schwingt sich wieder empor, lässt die Melodien strömen, pflückt die Töne oder stimmt einen innigen, durch Doppelgriffe zweistimmigen Gesang an. Einem ausdrucksvollen rezitativischem Abschnitt folgt ein spielerischer Springtanz im besten Einvernehmen des Solisten mit der Dirigentin und dem Orchester mit brillant angestochenen Figuren einerseits und großer Ruhe im gemeinsamen Ausklingenlassen andererseits.
Persisches Liebeslied
Wie immer bezog Kian Soltani in der Zugabe seine Orchesterkollegen von Cello und Kontrabass mit ein, sie bildeten die Basis für die zauberische, reich verzierte Kantilene eines persischen Liebeslieds, mit dem er das Publikum in die Weite des Orients und zu seinen persischen Wurzeln mitnahm.

In Gustav Mahlers erster Symphonie erlebt man das Werden eines Satzes aus einer Art Urgrund heraus. Pianissimo-Klänge, Signalrufe der Trompeten hinter der Bühne, Vogelstimmen melden sich, bevor sich das „Ging heut Morgen übers Feld“ aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ als Thema herausschält. Giedrė Šlekytė modelliert das fein zeichnend mit den Wiener Symphonikern heraus, als sich die Melodie aus waberndem, suchendem Beginn formt, aufblüht und wieder ausgedünnt erscheint. Naturstimmen, Jagdhörner, Kuckucksterzen und gleißende Klänge arbeitet die Dirigentin zum knappen Schluss heraus.
Humor und Apokalypse
Bodenständiges, aber auch beißenden Humor und behagliche Ländlermelodien vereint Mahler im zweiten Satz, bevor im Trauermarsch des dritten Satzes ausgehend vom Raunen der Kontrabässe viele Farben der Holzbläser, Streicher und Blechbläser gemischt werden. Wieder lässt Mahler seine „Gesellenlieder“ einfließen, als wehmütige Erinnerung mit dem „Ade“-Ruf von Klarinette und Oboe. Fernab von aller schenkelklopfenden Lustigkeit zeichnet die Dirigentin diese Musik nach und zeigt mit dem wilden Beginn des Finales, wie viel Apokalypse und Hexensabbat der Komponist in seinem symphonischen Erstling ebenfalls hineingepackt hat.

Giedrė Šlekytė animiert das Orchester mit Temperament und Klarheit zu diesem wechselvollen Geschehen zwischen Tumult und lyrischem Innehalten und wenn sich neun Hornisten als mächtige Gruppe präsentieren, läuft das allen vertraute Festspielorchester zu Hochform auf. Jubelnder Beifall und eine strahlende Dirigentin, die allen Orchestergruppen ihren verdienten Sonderapplaus zukommen ließ, beendeten den inspirierten Abend.
Katharina von Glasenapp