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“Es war schon sehr emotional, ein Gänsehautmoment”

08.09.2024 • 10:00 Uhr
Studentinnen, Fotos von Khadiga Shekh Rashid und ihrer Schwester
Shirin (r.) und Khadiga Shekh Rashid beginnen beide im Herbst mit dem Medizinstudium in Innsbruck. Philipp Steurer (4)

Seit zehn Jahren leben Shirin und Khadiga Shekh Rashid mit ihrer Familie in Vorarl­berg. Heuer haben die syrischen Schwestern gemeinsam in Innsbruck den Aufnahmetest für das Medizinstudium gemacht – und beide geschafft.

Genau 2350 Personen sind am 5. Juli beim diesjährigen Medizin-Aufnahmestest an der Universität Inns­bruck angetreten. Nur 420 von ihnen haben einen der begehreten Studienplätze ergattert – unter ihnen sind auch die in Doren lebenden, aus Syrien stammenden Schwestern Shirin (22) und Khadiga Shekh Rashid (21).

Die beiden jungen Frauen sind Mitglieder einer zehnköpfigen Familie, die ursprünglich aus einer nordsyrischen Kleinstadt an der Grenze zur Türkei stammt und vor dem Krieg in ihrer Heimat geflüchtet ist. 2013 ist der Vater vorausgegangen und letztlich im Flüchtlingsheim in Sulzberg gelandet. Ende 2014 konnten dann seine Frau und die acht Kinder nachkommen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Sulz­berg wurde eine Unterkunft in Doren gefunden, in der die Familie heute noch lebt.

Pharmaziestudium

Die beiden ältesten Kinder sind mittlerweile verheiratet und leben in Schweden und Belgien. Shirin und Khadiga sind die dritt- und viertältesten. Shirin hat 2022 an der HLW Riedenburg in Bregenz maturiert. „Ich wollte eigentlich schon immer den Aufnahmetest für das Medizinstudium machen, aber ich habe mich nicht getraut, weil alle gesagt haben, dass er so schwierig ist“, erzählt sie. Daher hat sie sich zunächst für ein Pharmazie­studium in Innsbruck entschieden. „Ich habe aber schon nach einem Jahr gemerkt, dass es mir gar nicht gefällt.“ Ein Praktikum in einer Apotheke hat ihr dann endgültig bestätigt, „dass das nichts für mich ist“, sagt sie.

Shirin und Khadiga
Im Frühjahr haben die beiden bei einem Tag der offenen Tür der Neurochirurgie in Innsbruck schon mal geschnuppert.Privat

Khadiga hat im Vorjahr an der Handelsakademie Bregenz maturiert. Für sie war schon immer klar, dass sie Medizin studieren will. Den Aufnahmetest im vergangenen Jahr hat sie dann aber ganz knapp nicht geschafft, sodass auch sie im vergangenen Herbst mit dem Pharmaziestudium in der Tiroler Landeshauptstadt begonnen hat. Sie wollte es heuer aber auf jeden Fall wieder mit Medizin versuchen.

„Tag und Nacht gelernt“

Zugleich hat Khadiga ihre ältere Schwester letztlich davon überzeugen können, heuer ebenfalls am Test teilzunehmen. „Sie hat mich überreden müssen, weil ich wirklich Angst hatte“, erinnert sich Shirin. Seit dem Frühjahr haben sich die beiden dann gemeinsam auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet und „Tag und Nacht“, gelernt, wie sie mit einem Grinser erzählen.

Studentinnen, Fotos von Khadiga Shekh Rashid und ihrer Schwester
Musste erst von der „kleinen“ Schwester überredet werden: Shirin Shekh Rashid.

Der Test sei dann noch schwieriger gewesen, als sie erwartet hatten und wieder musste Khadiga ihre ältere Schwester aufbauen und sie überzeugen, nicht aufzugeben. „Bei der Prüfung waren wir überzeugt, dass das nichts wird“, erinnert sich Shirin. Sie seien aus der Halle, in der der Test stattgefunden hat, raus und waren sicher, dass sie es nicht geschafft hatten. „Wir waren enttäuscht, weil wir so viel gelernt hatten“.

Riesenfreude

Genau einen Monat später waren dann die Ergebnisse da. Khadiga war die erste, die gelesen hat, dass sie bestanden hat. „Ich konnte mich da noch nicht so richtig freuen, weil ich nicht wusste, was mit Shirin ist.“ Als feststand, dass auch diese einen Studienplatz bekommt, war die Freude unermesslich, erzählen die beiden. „Es war sehr emotional, ein Gänsehautmoment“, beschreibt Khadiga die damalige Situation.

Studentinnen, Fotos von Khadiga Shekh Rashid und ihrer Schwester
Die Freude bei den beiden über den bestandenen Test ist nach wie vor sehr groß.

Groß war die Freude aber nicht nur bei den beiden Schwestern, sondern in der gesamten Familie. „Unsere Eltern haben gesagt, dass das die schönste Nachricht sei, die sie in ihrem Leben bekommen haben“, so Shirin. Und ihre Schwester: „Das war das erste Mal, dass ich gesehen habe, dass mein Vater Tränen in den Augen hatte.“ Und weiter: „Es ist einfach wunderbar, wenn man seinem Traum so nahe kommt.“

Herausfordernd

Die beiden fröhlichen jungen Frauen, die in einem Studierendenheim in Innsbruck wohnen, freuen sich nun auf den kommenden Studienbeginn. Shirin möchte Pädiaterin oder Gynäkologin werden, Khadiga Kardiologin, „aber auf jeden Fall Chirurgin“ – wobei ihnen schon bewusst ist, dass sich das während des Studiums noch ändern kann. „Ich glaube schon, dass es herausfordernd und nicht so leicht wird“, meint Shirin in Hinblick auf das Studium. Aber – und da sind sich die Schwestern einig – „je mehr einem etwas am Herzen liegt, umso leicht fällt es“. Und ein Medizinstudium liegt den beiden sehr am Herzen, wie im Gespräch eindrücklich spürbar ist.

Studentinnen, Fotos von Khadiga Shekh Rashid und ihrer Schwester
Hat den Test im zweiten Anlauf geschafft: Khadiga Shekh Rashid.

Mit ein Grund für die Studienwahl ist gewissermaßen auch die Familie, berichten sie dann noch. In der Verwandtschaft mütterlicherseits gibt es einige Ärzte und Ärztinnen, erzählen sie. „Auf Papas Seite sind wir die ersten Frauen, die Medizin studieren“, so Khadiga. „Das war auch eine große Motivation.“ Für die beiden ist es auch schön, dass sie als Schwestern gemeinsam studieren und sich dadurch auch unterstützen können. Das sei schon beim Pharmaziestudium der Fall gewesen – wo natürlich vor allem Shirin, die früher begonnen hatte, die Unterstützende war.

Zukunft in Österreich

Dankbar sind die beiden ihrem Vater, der damals aus Syrien geflüchtet war, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Diese sehen die beiden Schwestern in Österreich, wo sie mittelfristig auch die Staatsbürgerschaft erlangen möchten.

Und die einzigen Medizinstudentinnen in der Familie bleiben sie unter Umständen auch nicht. Ihre jüngere Schwester Raoushan macht im kommenden Jahr am BORG Lauterach Matura. Auch sie hat fest vor, sich dann an den Medizin-Aufnahmetest zu wagen. Und wenn sie so zielstrebig und ehrgeizig ist wie ihre beiden sympathischen und herzlichen älteren Schwestern, dann wird auch sie es schaffen.