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Ein sterbender König auf Abenteuerreise

11.09.2024 • 19:07 Uhr
ABD0243_20150709 – WIEN – …STERREICH: Der Schriftsteller Arno Geiger am Donnerstag, 09. Juli 2015, wŠhrend einer Lesung anl. der Eršffnung des Literaturfestivals “O-Tšne” in Wien. – FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER
Schriftsteller Arno Geiger. APA

Mit seinem im August erschienenen Roman „Reise nach Laredo“ über den Habsburger Kaiser Karl V. ist der Vorarlberger Autor Arno Geiger für den Österreichischen Buchpreis nominiert.

Ein König ist zurückgetreten, in einem abgelegenen Kloster in Spanien sinniert er über sein von Krankheit und Schmerzen geprägtes Leben und die ganze Belegschaft versinkt in Langeweile. Um ihn herumschleichend warten alle auf Karls Tod und auch er selbst ist aufgrund seines beständigen körperlichen Verfalls nicht in der Lage, ohne seine Untergebenen seinen Alltag zu bewältigen. Mit der Macht, die der König mit seinem Rücktritt abgegeben hat, verliert er offenbar auch die Kontrolle über seinen Körper und seine Willenskraft. Mühsam kämpft er sich auf Stöcken und in Spezialsesseln von einem Zimmer zum anderen, wird in einer Hebevorrichtung ins Badewasser gelassen und findet nur mehr im Gedanken an den Opiumrausch Erfüllung.

Historische Fakten

„Karl ist fast so alt wie die Welt“, schreibt Geiger über seine Figur, die es auch außerhalb des Romans gibt. Denn mit dem 1558 geborenen Karl erzählt der Autor eine fiktive Geschichte über Karl V., der 1556 von seinen Herrscherämtern zurückgetreten und danach tatsächlich seine letzten Lebensjahre im Palast neben dem Kloster von Yuste verbrachte, umgeben von seinem Beichtvater Juan de Regla, seinem Haushofmeister Quijada und seinem Arzt Mathys, die alle als Figuren in „Reise in Laredo“ auftauchen. Mitten in dieser Monotonie des Lebens in Yuste beginnt Geigers Roman in Karls Sterbejahr und beschreibt einen unnahbaren und gefräßigen König, der sich in Müdigkeit und Erschöpfung kaum mehr für seine Umwelt zu interessieren scheint.

Kloster von Juste
Kloster von Yuste. Extremadura Turismo

Während die Hauptfigur am Sterben ist, werden die Lebensgeister dieses Mannes doch noch ein letztes Mal geweckt, als er vermutlich im Fiebertraum mit einem elfjährigen Kind an seiner Seite auf einem Maultier zur „Reise nach Laredo“ aufbricht und damit auch seine Identitätskrise überwindet. Es ist eine Abenteuerreise, in der Geiger mit historischen Fakten, sprachlich gekonnt und auch inhaltlich nachvollziehbar eine vergangene Zeit beschreibt und darin einfühlsam den Gefühlen, Ängsten, Wünschen und Träumen seiner Charaktere auf den Grund geht. Die Geschichte lebt von den kontrastreichen Figuren, die sich gegenseitig selbst erst anfreunden müssen und im Verhalten der anderen auch ihre eigenen Unzulänglichkeiten erkennen.

Identität ohne Macht

Geiger zeigt, wie der ehemalige König ohne seine Macht zuerst in Bedeutungslosigkeit und Stillstand fällt und dann beim Reisen in Begleitung von seinem Sohn und zwei der verfolgten Gruppe der „Cagots“ angehörenden Geschwistern lernt, sich mit sich selbst abzufinden. Dabei verhandelt er die Frage, was vom Menschen übrigbleibt, wenn die wichtigste Identität wegfällt: „Es heißt, der Mensch ist das, was ihm bleibt, nachdem er alles verloren hat.“ Nur selten erinnert sich Karl verschwommen an sein Wirken in der Vergangenheit. Statt wie ihm vom Arzt geraten, im Gebet zur Selbsterkenntnis zu gelangen, begegnet Karl im Road Novel der Welt in einer Weise, die ihm als früheren Herrscher bisher verborgen blieb.

Nach und nach findet der zurückgetretene König wieder Gefallen am Leben und scheint auch seine Krankheiten wenigstens für gewisse Zeiten überwinden zu können. Wesentlichen Einfluss darauf hat der elfjährige Page Geronimo, der nicht weiß, dass Karl sein Vater ist. Mit seiner kindlichen Begeisterungsfähigkeit und seinem Leben im Moment wird der König aus der Reserve gelockt. Herzerweichend schreibt Geiger über die innere Zerrissenheit, die den ehemaligen Herrscher bestimmt und lässt in der Handlung Glück und Entsetzen nah aufeinanderfolgen. Trotz vieler Niederlagen und Diskriminierungen, denen Karl und seine Begleiter auf der Reise begegnen, endet sie für ihn doch als Befreiung.

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Arno Geigers neuer Roman ist im Augsut im Hanser Verlag erschienen.Hanser Verlag

Arno Geiger: „Reise nach Laredo“, 272 Seiten, 26,80 Euro, Erschienen im August 2024 im Hanser Verlag, nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2024.