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Rächt sich die Rastlosigkeit des Mr. KTM?

01.12.2024 • 13:12 Uhr
ABD0104_20230329 – WELS – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD ++ ZU APA0243 VOM 29.3.2023 – KTM-Chef Stefan Pierer am Montag, 13. Juni 2022, in Linz. Der oberšsterreichische Unternehmer Stefan Pierer (Pierer Mobility/KTM) will den angeschlagenen deutschen Autozulieferer Leoni retten und dessen AlleineigentŸmer werden. Gro§aktionŠr Pierer sei bereit, Leoni 150 Millionen Euro frisches Kapital zur VerfŸgung zu stellen. […]
Stefan Pierers Lebenswerk steht auf der Kippe.
FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM/APA

Die Milliarden-Insolvenz von KTM wirft Fragen auf, befeuert Kritik und kostet Arbeitsplätze. Stefan Pierers Lebenswerk steht auf der Kippe. Er will kämpfen.

Bewundert, gefürchtet. Polternd, nachdenklich. Beinhart, hilfsbereit. Glattgebügelt war Stefan Pierer noch nie, einer, der nicht in Schubladen denkt und auch selbst in keine passt. Einer, der Ungeduld für seinen größten Fehler hält, ein Streitbarer, der wortgewaltig austeilt und auch kräftig einsteckt. Und das nicht erst, seit sein „Lebenswerk KTM“ zum milliardenschweren Sanierungsfall geworden ist.

ABD0158_20241114 – MATTIGHOFEN – …STERREICH: ++ THEMENBILD ++ ZU APA0240 VOM 14.11.2024 – Illustration zum Thema “KTM AG”: Au§enansicht des KTM AG-Werks in Mattighofen, aufgenommen am 14. November 2024. Der Zweiradhersteller KTM AG dŸrfte aufgrund seiner wirtschaftlich angespannten Situation weitreichende Einschnitte planen. Zwischen 280 und 300 KŸndigungen stehen an. Im JŠnner und Februar 2025 werde […]
APA/MANFRED FESL

Mit dem Bild des „Phönix aus der Asche“ hat der seit Montag 68-Jährige im Interview einmal den Ende 1991 erfolgten Kauf der KTM-Motorradsparte beschrieben. Der Konzern war damals bankrott, wurde zerschlagen. In Pierers Motorradbereich, er selbst war gerade einmal 35 Jahre alt, fertigten knapp 180 Beschäftigte 6000 Motorräder pro Jahr. Dass daraus einmal der größte Motorradhersteller Europas mit zeitweise gut 6000 Mitarbeitern und einer Jahresproduktion von rund 260.000 Motorrädern entstehen würde, war damals selbst für Pierer, der immer groß gedacht hat, nicht absehbar. Ebenso wenig, wie es noch vor Kurzem für die 3600 betroffenen Beschäftigten und die 2500 Gläubiger vorstellbar war, dass KTM zu einem der größten Insolvenzfälle der Zweiten Republik werden könnte. Mit Gesamtverbindlichkeiten von 2,9 Milliarden Euro sowie unbezahlten November-Löhnen, ausbleibenden Weihnachtsgeldern, die ein Fall für den Insolvenzentgelt-Fonds werden.

Massiver Abbau von Beschäftigten

Der Grat zwischen Risikobereitschaft, Selbstbewusstsein und Hybris ist in Pierers Universum ein schmaler. Sein Werdegang war nie stromlinienförmig. Aufgewachsen als jüngstes von vier Kindern auf einem Bauernhof im steirischen Etmißl (Bruck an der Mur) brachte er es bis zum Absolventen der Montanuniversität Leoben, die er 1982 als Diplomingenieur in Betriebs- und Energiewirtschaft abgeschlossen hatte. Heute ist er dort Vorsitzender des Universitätsrats und Ehrensenator. Einschneidend für seine bemerkenswerte Karriere war 1987 die Gründung der „Cross Industries“, einer Beteiligungsgesellschaft, die angeschlagene Unternehmen kaufte, sanierte und verwertete.

Risikoappetit war ihm aber tatsächlich nie fremd. „Du musst in schwierigen Zeiten Gas geben, jetzt kannst du Meter machen und vorangehen. Natürlich brauchst du dafür eine wetterfeste Unterhose, aber zaudern, fürchten und im Homeoffice einsperren? Dann kann ich meinen Unternehmensgegenstand aufgeben“, sagte er in Pandemiezeiten einmal zur Kleinen Zeitung. Die wetterfeste Unterhose war zuletzt aber nachweislich nicht bei der Hand, die Insolvenz erschüttert das Land und sein ohnehin erodierendes industrielles Fundament. KTM wird in zwei Monaten um fast 1500 Mitarbeiter weniger haben als noch zu Jahresbeginn, weil zu den 700 bereits gestrichenen Stellen noch einmal 750 hinzukommen.

„Wenn es jemand schafft, dann der Stefan“

„Wenn Weltmarken wie KTM wegbrechen, was kommt da noch auf uns zu?“, fragt sich ein Wirtschaftskapitän im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Experten und auch so manche Pierer-Kenner wundern sich über die Rasanz, in der es zum Absturz gekommen ist. Warum wurde nicht früher gegengesteuert, als aufgrund des Nachfrageeinbruchs Motorräder plötzlich vorwiegend für das Lager produziert wurden? 130.000 Stück beträgt der Motorrad-Überbestand aktuell, gut eine Milliarde Euro macht das Lagervolumen aus, die Bankschulden summieren sich auf 1,3 Milliarden Euro. Wie konnte dem Vollblut-Unternehmer Pierer, der immer stolz darauf war, seinen „unternehmerischen Weg ohne Abhängigkeiten geschafft zu haben“, das derart entgleiten? Hat er womöglich, wie es Florian Beckermann, Präsident des Anlegerverbandes IVA, formuliert, „auf zu vielen Hochzeiten getanzt?“ Pierer führt in seinem weitverzweigten Firmengeflecht vier Mandate in Vorständen, zwei als Aufsichtsrat und elf als Geschäftsführer. Er ist u. a. auch Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich. Aufsichtsrat von Mercedes-Benz. Über die neu gegründete Gesellschaft „Robau“ steigt er mit Mark Mateschitz beim Feuerwehrausstatter Rosenbauer ein. Und auch die waghalsige Übernahme der deutschen Leoni AG, samt Nachwehen, geriet zur Nervenschlacht. Rächt sich die Rastlosigkeit, ging der Fokus verloren? Aus Industriekreisen gibt es aber auch viel Zuspruch, „wenn es jemand schafft, dann der Stefan“, ist so ein Satz, der häufig zu vernehmen ist.

Pierer ist der „Mr. KTM“, ist erfolgreicher Architekt des Aufstiegs und nun Gesicht des bitteren Niedergangs. Schriftlich gab er bekannt, dass er um sein Lebenswerk kämpfen werde, das vermittelt Hoffnung. Gläubigerschützer wie Karl-Heinz Götze vom KSV1870 sehen damit zwingend die Notwendigkeit substanzieller finanzieller Beiträge Pierers einhergehen.

„Unternehmertum ist Versuch und Irrtum“

Das fordert auch die wachsende Phalanx an Kritikern. Jemand wie Pierer, der in seinen – teils polemischen, vielfach aber auch prophetischen – standortpolitischen Analysen regelmäßig und breitschultrig aneckt, muss nicht lange auf orkanartige Entrüstungschöre warten. Seine einstige Spende an die ÖVP von Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Corona-Kurzarbeitshilfen für KTM, hohe Dividenden, die umstrittenen Landesförderungen für die KTM-Erlebniswelt hallen seit Tagen wieder durch das Land – an „Munition“ mangelt es nicht. Pierer ins neoliberale Milliardärs-Eck zu verfrachten, greift freilich zu kurz. Seit jeher ist er etwa ein Verfechter für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, er sprach sich – „auch wenn ich jetzt von einigen Kollegen geprügelt werde“, wie er sagte – gegen die Senkung der Körperschaftssteuer (Gewinnsteuer für Konzerne) aus. Beileibe keine „neoliberalen“ Klassiker also. Auch seine zahllosen regionalen Initiativen in seiner obersteirischen Heimatregion rund um Aflenz oder u. a. sein Engagement in der Lehrlingsausbildung, etwa bei Pankl, untermauern seine Vielschichtigkeit.

„Unternehmertum ist Versuch und Irrtum“, sagte Pierer einmal. „Beim Versuchen macht man natürlich Fehler. Da muss man das Glück haben, dass man die Fehler überlebt.“