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Schau mir ins Gesicht, Handy

10.02.2025 • 11:14 Uhr
Neue Kopfkino Salmhofer Kolumne
Sonntags-Tagebuch von Heidi Salmhofer. NEUE

Heidi Salmhofer mit ihrer Kolumne in der NEUE am Sonntag.

Auf meinem Telefon habe ich die Face-App aktiviert. Sprich, wenn ich mein Telefon einschalte, mich bei meiner Bank einlogge, überhaupt, wenn ich irgendetwas tue, wofür ich mein Telefon benötige, halte ich es „fadagrad“ vor mein Gesicht. Mein Antlitz als Tor zur (digitalen) Welt. Wie wunderbar – ich muss keine seltsamen Muster hektisch am Touchscreen nachfahren und schon gar keine Zahlenkombinationen im Kopf behalten, die ohnehin selten über bekannte Geburtstage hinausgehen und damit höchstwahrscheinlich schneller in einem Datenleck auftauchen als meine runzelige Stirn. Ich fühle mich also voll safe.

In letzter Zeit aber ziert sich meine App ab und an. Da stehe ich im Laden, will zahlen – und mein Telefon verweigert die Identifizierung meinerseits. „Gesicht nicht erkannt“ steht dann da. Und das in einem Moment, der einerseits äußerst ungünstig ist, weil die Kassenschlange hinter mir immer länger wird (meinen PIN für die Karte habe ich natürlich sowieso und typischerweise wieder vergessen), und andererseits, weil es mein Ego kränkt. Gerade heute, wo ich dachte, besonders frisch und unzerknittert auszusehen, verweigert mich mein Telefon. Ja, spinnt das?

Nach mehreren Anläufen, mein Gesicht ins rechte Licht zu rücken, klappt es schließlich doch. Für die Wartenden hinter mir muss das Ganze wie eine experimentelle Tanzdarbietung im öffentlichen Raum gewirkt haben. Ich habe bewusst nicht aufgeklärt. Tanz geht vor Face-App, die den eigenen Alterungsprozess nicht mit-updatet.

So ist das nämlich. Während mein Telefon, unlebendig wie es ist, keine fortschreitende Reifung durchläuft – außer jener des immer schlechter ladenden Akkus –, verändert sich mein Gesicht. Ist nun öfter bebrillt, hat ein paar Falten mehr und strahlt insgesamt mehr Weisheit aus. Hoffe ich.

Nun denn, eine Aktualisierung der App verweigere ich. Es gibt kein neues Face-ID-Profil. Noch nicht. Ich zögere es so lange hinaus, bis mein Telefon von selbst die Polizei kontaktiert, weil eine fremde Person – nämlich ich – ständig versucht, sich einzuloggen.

Zwischenzeitlich nutze ich die Gelegenheit für Gehirntraining und lerne neue Zahlencodes auswendig. Ich lasse mir von meinem Telefon nämlich nicht vorschreiben, wann ich noch ich bin. Das wäre ja noch schöner.

Bis zum Einsatz meiner neuen, supersicheren Zahlenkombis halte ich aber weiterhin mein Handy vor die Nase. Nur nicht nach unten schauen. Das Doppelkinn ist dem Telefon nämlich schier unbekannt.

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.