Wider die Trauer

Derzeit kratzt eine unangenehme Trauer in meinem Bauch, zwickt meine Knie und bohrt sich gemein in meinen Rücken.
Von Heidi Salmhofer
neue-redaktion@neue.at
Ich koche, ich putze, ich schlafe, ich lache, ich höre zu, ich lese, ich genieße Musik, ich liebe, ich kuschle meine Mädels, netflixe und – nun gut – tatsächlich arbeite ich auch. Alles ist eigentlich bestens in meinem Leben. Also sei gefälligst fröhlich!
Sind das die Wechseljahre? Ist es so weit, dass meine Hormone mir emotional mühselige Fata Morganen in meine Gefühlswelt setzen? Ich bin doch erst in vier Monaten fünfzig. Das verweigere ich strikt. Nix da – bevor ich keine Hitzewallungen spüre, akzeptiere ich keine nicht zuordenbaren Empfindungen. Punkt.
Wenn ich also die Wechseljahre ausschließe, woran liegt’s dann? Und da kommt mir eine Ahnung. Ich lese zu viele Nachrichten. Ich scrolle, ich klicke, ich lasse mich fluten von Überschriften, Schreckensmeldungen, Meinungen, Empörungen, Korruption und Machtgelüsten.
Meine Liebe zur Außenwelt zerbröselt mir zwischen den Fingern und rieselt auf den Boden. Dabei will ich sie doch festhalten und daran glauben, dass, wenn wir alle unser eigenes kleines Umfeld befreunden und beflügeln, aus diesen vielen kleinen Umfeldern ein großes, gemeinsames Dasein wird. Doch dann keimt diese eine, winzige, unvermittelte Frage auf: Ist es blauäugig, darauf zu bestehen, dass wir es besser können?
Und dann? Dann kommt meine Freundin aus dem gebeutelten Amerika, und wir gehen einfach nur Skifahren. Meine eine Tochter lacht über ein absurdes TikTok-Video, die andere überlegt, wie sie mir endlich mit meiner Frisur helfen kann – weil ich (Mutter!) das in ihren Augen einfach nicht stylish hinbekomme. Eine Fremde lächelt mich an, während wir in einer ewig langen Supermarktschlange stehen, und niemand ruft zornig: „Zweite Kassa bitte!“ Und ich denke: Stimmt. Es gibt sie ja, diese Momente. Dieses echte, leise, unspektakuläre Gute, das in keiner Schlagzeile zu finden ist.
Vielleicht ist das die Antwort auf meine innere Schieflage. Nicht das Ignorieren der Welt, sondern das bewusste Wahrnehmen der Dinge, die nicht schreien, nicht provozieren, nicht aufregen, nicht hassen. Genau darauf gilt es, sich zu konzentrieren.
Ich werde weiter lesen, weiter zuhören, weiter meine Meinung äußern. Aber ich werde mich nicht von der Lautstärke dieser Welt erdrücken lassen. Ich werde an die kleinen, echten Verbindungen glauben. Und an die Möglichkeit, dass sie – ganz leise und unauffällig – mehr verändern können als all die lauten Parolen dieser Welt. Wir können das!
Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalistin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.