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„Viele fühlen sich von der EU zu weit weg“

17.04.2025 • 19:00 Uhr
Julian Bitsche, Sophia Kircher
JVP Vorarlberg Obmann Julian Bitsche mit der EU-Abgeordneten Sophia Kircher. JVP Vorarlberg

EU-Abgeordnete Sophia Kircher und der Vorarlberger JVP-Obmann Julian Bitsche über Chancen für junge Menschen, die Bedeutung regionaler EU-Vertretungen und warum Ehrenamt stärker unterstützt werden muss.

Frau Kircher, wie beurteilen Sie die aktuelle Rolle der Europäischen Union im Hinblick auf die geopolitischen Entwicklungen – speziell im Zusammenhang mit der Ukraine und dem Nahen Osten?
Sophia Kircher:
Der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine hat uns vor Augen geführt, wie wichtig ein starkes und geeintes Europa ist. Es ist unsere moralische und politische Pflicht, die Ukraine in ihrem Kampf für diese Werte umfassend zu unterstützen – sei es durch humanitäre Hilfe oder wirtschaftliche Unterstützung. Auch im Nahen Osten ist Europas Stimme gefragt – vor allem, wenn es um Stabilität, humanitäre Hilfe und Diplomatie geht. Klar ist: Die EU muss in beiden Fällen ihre Rolle als Vermittlerin wahrnehmen und diese weiter ausbauen. Denn wir dürfen nicht Zaungast der Weltpolitik sein, sondern müssen sie federführend mitgestalten.

Welche europapolitischen Themen betreffen junge Menschen in Vorarlberg derzeit am meisten – und wo sehen Sie konkreten Handlungsbedarf, Herr Bitsche?
Julian Bitsche:
Vorarlberg liegt nicht nur im Herzen von Europa, sondern ist auch als Wirtschafts- und Arbeitsstandort Vorzeigeregion in Europa. Wir profitieren ungemein von einer europäischen Zusammenarbeit, besonders im Bodensee- und DACH-Raum. Das ermöglicht unserer jungen Generation Unmengen an Chancen. Sei es das europäische Interrail Ticket, die Möglichkeit jederzeit über der Grenze zu arbeiten, oder ohne irgendwelche Einschränkungen einen Kaffee am Lindauer Hafen zu genießen. Der Beitritt zur Europäischen Union vor 30 Jahren hat unser Leben in Vorarlberg maßgeblich zum Besseren verändert – Verbesserungen sind dennoch immer möglich und nötig.

Was für Verbesserungen sind das konkret?
Bitsche:
Eine Möglichkeit dafür sehen wir in einer Installation einer ständigen Vertretung des Landes Vorarlbergs in Brüssel. Wir sind wirtschaftlich so eng mit unseren europäischen Partnern verbunden, dass wir durch eine Vertretung die Kontakte nachhaltig erhalten und die Effizienz unserer Arbeit von Vorarlberg hinaus nach ganz Europa steigern wollen.

Wie könnte man das Thema EU in den Vorarlberger Gemeinden noch sichtbarer machen?
Bitsche:
Zusätzlich muss die Rolle der Europa-Gemeinderäte in Vorarlberg mehr ins Rampenlicht gestellt werden. Es braucht lautstarke Botschafter, welche die Unabdingbarkeit und Arbeit der EU zu uns in die lokale Ebene, in die Gemeinden tragen. Wir wollen den Diskurs zwischen der EU und unseren Bürgern stärken und fördern.

Wie positioniert sich die JVP Vorarlberg in wirtschaftspolitischen Fragen? Gibt es Themen, bei denen Sie bewusst eigene Akzente gegenüber der Bundespartei setzen möchten?
Bitsche:
Für uns als JVP Vorarlberg ist klar: Der Wohlstand, den wir in Vorarlberg genießen, verdanken wir großer Einsatzbereitschaft und Leistung. Von dem Gedanken dürfen wir uns nicht entfernen. Wir als junge Generation tragen die Verantwortung, Vorarlberg auch in Zukunft aktiv mitzugestalten und dafür zu sorgen, dass Vorarlberg attraktiv und lebenswert bleibt. Gerade für die international verflochtene Wirtschaft in Vorarlberg ist ein Ausbau der digitalen Infrastruktur essenziell. Glasfaseranschlüsse gehören unserer Meinung nach zur Grundinfrastruktur!

Gibt es noch weitere Bereiche, in denen die Wirtschaft entlastet werden kann?
Bitsche:
Eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt auch in Vorarlberg ist der Fachkräftemangel. Wir sehen einen Ansatz darin, dass wir Möglichkeiten schaffen müssen, einerseits die Lehrausbildung in unserem Land weiter zu attraktiveren, andererseits aber auch die Vorarlberger Studenten wieder ins Ländle zurückzuholen, die an unterschiedlichen Universitäten unseres Landes studieren. Denn wir brauchen hochqualifizierte Arbeitskräfte für die Zukunft unserer Region.

Wo sehen Sie aus Sicht der JVP Potenziale, um junge Menschen finanziell zu entlasten?
Bitsche:
Gerade für junge Menschen wird das tägliche Leben spürbar teurer, das merken wir ganz konkret bei den gestiegenen Führerscheinpreisen in Vorarlberg. Das schränkt die individuelle Mobilität junger Menschen ein und ist aus unserer Sicht eine bedenkliche Entwicklung. Deshalb setzen wir uns für eine Überarbeitung der bestehenden Regelungen ein. Ein Ansatz wäre, die zweite Perfektionsfahrt qualitativ zu überprüfen und, falls sie sich als verzichtbar erweist, diese abzuschaffen. So könnten wir die Kosten für den Führerschein senken.

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um das Ehrenamt zu stärken und besser mit Beruf und Ausbildung vereinbar zu machen?
Bitsche:
Vorarlberg ist Vorreiter im Bereich des Ehrenamtes. Jeder und jede Zweite in Vorarlberg engagiert sich ehrenamtlich. Egal ob Blaulichtorganisation, Sportverein oder Bürgermusik – das Ehrenamt bildet eine unverzichtbare Stütze bei uns im Land und sorgt für Sicherheit rund um die Uhr. Es müssen daher Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es erlauben, ehrenamtliche Funktionen und Beruf besser zu verbinden – Ehrenamt gehört wertgeschätzt!

Inwiefern ist der Dialog mit der jungen Generation auf europäischer Ebene aus Ihrer Sicht ausbaufähig, Frau Kircher? Welche Formate oder Ansätze halten Sie für besonders zukunftsweisend?
Kircher:
Viele fühlen sich von der EU zu weit weg. Dabei findet Europa nicht nur in Brüssel oder Straßburg statt – sondern genauso in Bregenz und Innsbruck. Deshalb ist mir wichtig, Politik dorthin zu bringen, wo junge Menschen sind: Ich bin regelmäßig an Schulen, in Betrieben und bei Jugendorganisationen im ganzen Land unterwegs, um ihre Anliegen direkt mit nach Brüssel zu nehmen. Zudem freue ich mich immer über Besuch aus Österreich im Europäischen Parlament und nehme mir Zeit, mich darüber auszutauschen, was den Besuchern am Herzen liegt.

Wie möchten Sie europäische Politik für junge Menschen greifbarer und relevanter machen – auch abseits von Wahlkampfzeiten?
Kircher:
Die EU darf im Leben junger Menschen nicht nur im Schulbuch vorkommen, sondern muss erlebt und vor allem genützt werden können. Ein zentrales Anliegen ist für mich die gegenseitige Anerkennung von Ausbildungen in ganz Europa. Hier dürfen nationale Grenzen nicht länger Karrierehürden sein. Denn wer in Vorarlberg oder Tirol eine Ausbildung absolviert, soll damit auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union arbeiten können. Von Austauschprogrammen wie Erasmus sollen auch Lehrlinge und Meister genauso selbstverständlich davon profitieren können, wie Studierende.

Zu den Personen

Sophia Kircher

Sophia Kircher (30) ist seit 2022 Abgeordnete zum Europäischen Parlament für die ÖVP. Zuvor war die Tirolerin Erste Vizepräsidentin des Tiroler Landtags.

Julian Bitsche

Julian Bitsche (26) aus Nüziders ist Obmann der Jungen Volkspartei Vorarlberg und Mitglied im Bundesvorstand der JVP.