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Bingewatching mit Gedanken

29.06.2025 • 15:00 Uhr
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Sie faszinieren, schockieren und lassen einen fassungslos zurück: Miniserien über den Zweiten Weltkrieg zeigen das Grauen des Krieges in drastischen Bildern. Eine persönliche Auseinandersetzung mit filmischer Wucht, familiären Erinnerungen – und der Frage, warum wir uns Krieg nicht als Heldengeschichte erzählen dürfen.

Von Heidi Salmhofer
neue-redaktion@neue.at

Es knallt, ein Flugzeugmotor brennt, jemand schreit, man solle abspringen. Und dann ist da dieser eine junge Kerl, vielleicht gerade 18, höchstens 22 Jahre alt, der im Rumpf des Bombers sitzt, festgeklemmt im Bugraum. Sein Kamerad versucht ihm noch zu helfen, während links und rechts Flakgeschütze in der Luft detonieren. Es ist laut. „Ich kann nicht!“, schreit er. Dann springt er aus dem Bomber, der kurze Zeit später in der Luft explodiert und den eingeklemmten Bombenschützen mit in den Tod reißt. Klingt wie eine Szene aus einem null-acht-fünfzehn-Actionstreifen. Ist aber nicht so.

Ich bingewatche gerade Miniserien, die das Kriegsgeschehen und die Einsätze der Soldaten im Zweiten Weltkrieg zeigen. Seit ich mit 18 Jahren den Film Stalingrad gesehen habe und völlig fertig das Bludenzer Kino verließ, verweigerte ich solche bildhaften Darstellungen von Krieg. Nun habe ich es aber – wie erwähnt – wieder getan. Filmisches und historisches Interesse haben mich übermannt, und nun sitze ich da. Wieder einmal total betroppezt. Jetzt weiß ich zwar, wie eine Bombermannschaft funktioniert, habe die enormen Bilder der Fallschirmspringer über der Normandie im Kopf und bin auch kriegsstrategisch sowie historisch aufgefrischt – ja, sogar neu informiert. Aber das ist nur der kleine, pragmatische Teil meines Ichs. Der andere, emotional denkende Teil ist total fertig. Zumal er sich nicht der „Ausrede“ hingeben kann, ein Märchen gesehen zu haben.

Heidi kann Zombies dabei zusehen, wie sie Menschenteile in sich hineinstopfen, ohne mit der Wimper zu zucken. Dabei analysiere ich höchstens den Grad des Perfektionismus der Maskenbildner und Ausstatter im Film. Hier aber, hier sehe ich meine Großeltern. Meinen Opa, der im Feld seine Kameraden sterben sah, dem ein Granatsplitter die Nase weggeschossen hat. Ich sehe meine Oma, die mir – nach einem Heulkrampf, weil mein Freund für drei Monate ein Auslandspraktikum machte – geradeheraus sagte: „Heidi, du weißt wenigstens, dass er zurückkommt.“

Und ich sitze da. Auf meinem sicheren Bett, mit sicherem Abstand, während sich weiterhin junge Männer und Frauen für Ideologien anderer umbringen müssen.

Ich sehe hin, obwohl es weh tut – weil mein Opa nicht mehr erzählen kann, was er durchgemacht hat. Weil meine Oma recht hatte. Und weil wir aufhören müssen, Krieg als etwas Heldisches zu erzählen. Nur wenn wir ihn als das sehen, was er ist – blanke Angst, Zerfall, Schmerz – können wir verhindern, dass er sich wiederholt. Hoffentlich.

Heidi Salmhofer Portrait Kopfkino

Heidi Salmhofer ist freiberufliche Theatermacherin und Journalis­tin. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren Töchtern in Hohenems.