Vollzeit hin – Teilzeit her

Wie so oft verblenden die äußeren Ränder des Spektrums den Blick auf die Potenziale der Mitte.
Von Lea Putz-Erath
neue-redaktion@neue.at
Heiß oder kalt; oben oder unten; drinnen oder draußen; schwarz oder weiß; ganz oder gar nicht; laut oder leise. Im Kindergartenalter lernen wir mithilfe von Bilderbüchern, Puzzles oder Memorys, was Gegensatzpaare sind. Vielleicht bleiben wir darum als Erwachsene in vielen Diskussionen an den extremen Gegensätzen hängen, ohne die Zwischentöne, die Graustufen oder Verbindungen zwischen den Polen zu sehen? Frühe Bildung wirkt.
Gerade passiert es wieder: Beim Thema Arbeitszeit hören wir von Teilzeit und Vollzeit, von einem luxuriösen Wohlfühlprogramm bei Teilzeitbeschäftigten ohne Sorgepflichten und großem Verständnis für Menschen, die aufgrund von Sorge- und Familienarbeit in Teilzeit arbeiten.
Die Caritas Österreich hat unlängst eine Studie präsentiert. Teilzeitpflegepersonen wurden dazu befragt, welche Rahmenbedingungen verändert werden müssten, damit sie ihre wöchentliche Arbeitszeit erhöhen würden. 44 Prozent der Befragten würden bei idealen Rahmenbedingungen ein bis fünf Stunden pro Woche mehr arbeiten. 21 Prozent sehen sogar ein Potenzial für Mehrarbeit zwischen sechs und zehn Stunden. Diese Tendenz trifft auch für teilzeitbeschäftigte Frauen in Vorarlberg zu, wie Frau in der Wirtschaft Vorarlberg 2024 wissenschaftlich erhoben hat.
Bei beiden Studien spielte der Aspekt der finanziellen Wertschätzung eine große Rolle für die potenzielle Ausweitung der Wochenstunden. Die Caritas Erhebung zeigte zusätzlich, dass Führungskräfte einen erheblichen Einfluss haben. Wer sich in der Arbeit fair entlohnt und gut behandelt sieht, dem/der fällt es leichter etwas mehr zu arbeiten. Ebenso spielen gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen eine große Rolle.
Solange wir die Diskussion nur an den beiden Enden führen, solange wir uns mit dem „Ganz oder gar nicht“ beschäftigen, werden wir als Wirtschaftsraum und Gesellschaft diese wertvollen Details und Potenziale nicht sehen. Und die Potenziale sind groß: Würden 35 Prozent der 75.114 Teilzeitpflegepersonen in Österreich ihre Beschäftigung um 5 Stunden pro Woche aufstocken, entspräche das der Arbeit 3200 zusätzlicher Vollzeitkräfte. Das ist nicht nichts, oder?
