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Evangeliumkommentar: Wann stehe ich gut da?

HEUTE • 09:00 Uhr

In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Paul Burtscher, Pfarrer von Bildstein und Schwarzach.

Sonntagsevangelium

In jener Zeit erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Gleichnis: Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Lukas 18, 9–14

Wann stehe ich gut da?

Es gibt Politiker, die Bibelsprüche zitieren und meinen, sie seien gute Christen. Oder man begegnet Leuten, die sich für besser halten als die Kirchgänger. Oder es will jemand beichten und meint, er macht eh alles richtig. Was soll man dazu sagen? Solche Menschen werden nicht zur Einsicht kommen. Der „Selbstzufriedene“ steckt in uns allen, weil wir uns ja bemühen und nicht wirklich Böses tun. Und wenn dann doch, stehe ich im Vergleich mit anderen immer noch besser. Oder nicht?

Im Psalm 19,13 steht der ewig bedenkenswerte Satz: „Wer bemerkt seine eigenen Fehler? Sprich mich frei von der Schuld, die mir nicht bewusst ist.“ Das ist nicht unnötige Selbstanklage, sondern tiefste menschliche Weisheit: Das Nicht-mehr-Sehen von Schuld, das Verstummen des Gewissens in so vielen Bereichen ist die gefährlichere Erkrankung der Seele als die immerhin noch als Schuld erkannte Schuld. Wer nicht mehr bemerkt, dass Töten Sünde ist, ist tiefer gefallen, als wer noch das Schändliche seines Tuns erkennt, weil er von der Wahrheit und von der Bekehrung weiter entfernt ist.

Nicht umsonst erscheint in der Begegnung mit Jesus der Selbstgerechte als der wahrhaft Verlorene. Wenn der Zöllner mit all seinen unbestrittenen Sünden vor Gott gerechter dasteht als der Pharisäer mit all seinen wirklich guten Werken, so liegt das nicht daran, dass etwa die Sünden des Zöllners keine Sünden wären und die guten Taten des Pharisäers keine guten Taten. Der Grund für dieses paradoxe Urteil Gottes zeigt sich im Folgenden: Der Pharisäer weiß nicht mehr, dass auch er Schuld hat. Er ist mit seinem Gewissen völlig im Reinen. Aber dieses Schweigen des Gewissens macht ihn undurchdringlich für Gott und die Menschen, während der Schrei des Gewissens, der den Zöllner umtreibt, ihn der Wahrheit und der Liebe fähig macht. Jesus kann deswegen die Sünder erreichen und sie heilen, weil sie ihre Schuld nicht verdrängen, sondern ehrlich bekennen. Sie vergleichen sich nicht mit anderen, sondern nur mit Gott, den sie als heilig und barmherzig erfahren. Gott kann bei den „Gerechten“ nicht wirken, weil kein Bedarf für Vergebung und Bekehrung besteht; weil ihr Gewissen sie nicht mehr anklagt, sondern rechtfertigt.
Wenn sich jemand aber hinten hinstellt und sich reumütig verhält, kann es passieren, dass er zum „Selbstgerechten“ nach vorne blickt und sich vor Gott ein bisschen besser glaubt. Aber damit tappt der scheinbar Demütige genau in dieselbe Falle wie der Hochmütige. Er vergleicht und sieht sich im besseren Licht. Und damit disqualifiziert er sich vor Gott. Denn vor ihm ist keiner gerecht, außer wenn einer mit ehrlicher Reue betet: Herr, sei mir Sünder gnädig.

Also eine gute Portion Selbstkritik und Ehrlichkeit (und auch Humor) ist nicht nur gut, sondern sogar notwendig. Das lehrt uns dieses Gleichnis.

Evangeliumkommentar: Wann stehe ich gut da?
Paul Burtscher ist Pfarrer von Bildstein und Schwarzach.