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Evangeliumkommentar: Im Warten liegt Kraft

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Evangeliumkommentar: Im Warten liegt Kraft
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In unseren wöchentlichen Evangelienkommentaren geben Geistliche, Religionslehrerinnen, Theologinnen und andere ihre Gedanken zum Sonntagsevangelium weiter. Heute mit Dominik Toplek, Pfarrer in Dornbirn.

Sonntagsevangelium

In jener Zeit hörte Johannes im Gefängnis von den Taten des Christus. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt. Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Siehe, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten. Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bahnen wird. Amen, ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. Matthäus 11,2-11

Im Warten liegt Kraft

Wir verbringen einen erstaunlichen Teil unseres Lebens mit Warten. An der roten Ampel, in der Warteschlange, auf einen Anruf, auf eine Entscheidung, auf eine Veränderung. Würde man all diese Minuten zusammenzählen, kämen wohl mehrere Jahre zusammen. Warten heißt: Wir richten uns auf etwas Zukünftiges aus, das wir selbst nicht herbeiführen können. Wir müssen es geschehen lassen. Und genau das macht das Warten oft so unerquicklich.

Denn Warten erleben viele als Hindernis. Wenn es länger dauert als erhofft, mischen sich Gefühle darunter: Ungeduld, Ärger, manchmal sogar Angst, zu spät zu kommen oder etwas zu verpassen. Unsere Zeit ist auf Effizienz getrimmt, auf Nutzen, auf sofortige Verfügbarkeit. Warten passt da schlecht hinein.

Dabei gibt es Kulturen, in denen Warten nicht als lästig gilt, sondern als Chance. Als Raum, in dem etwas reifen darf. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir uns nicht sofort ablenken – durch das Handy, durch Nachrichten, durch Beschäftigung um jeden Preis. Wer gelernt hat, zu warten, lebt oft gelassener. Studien zeigen sogar: Kinder, die warten lernen, sind später häufig erfolgreicher im Leben.

Advent ist genau so ein bewusst eingerichteter Warteraum. Vier Wochen, die uns geschenkt sind, um nicht gleich zu reagieren, nicht alles sofort zu bewerten, sondern innezuhalten. Ein Raum, in dem auch Langeweile, Unsicherheit oder Ungeduld ihren Platz haben dürfen. Wenn wir diese Leere nicht sofort füllen, beginnt sich der Blick zu verändern: Wir nehmen die Menschen um uns anders wahr, die Geräusche, die kleinen Gesten, das Unerwartete. Und plötzlich wird sichtbar, wie viel Schönes und Gutes uns umgibt.

Auch Johannes der Täufer erlebte dieses unfreiwillige Warten im Gefängnis. Er konnte nichts mehr tun – und doch ließ Jesus ihm sagen, was geschieht: Blinde sehen, Lahme gehen, Hoffnung wächst. Das Leben geht weiter, auch wenn wir selbst gerade stillstehen müssen.

Advent lädt uns ein, das Warten nicht nur auszuhalten, sondern darin neu sehen zu lernen. Vielleicht zeigt sich gerade im scheinbar Leeren etwas von dem, worauf wir eigentlich warten: das Kommen Gottes mitten in unser Leben.

Evangeliumkommentar: Im Warten liegt Kraft
Dominik Toplek ist Pfarrer in Dornbirn.