EU-Lieferkettengesetz: Abstimmung wurde vertagt

Das Gesetz hätte am Freitagvormittag zur Abstimmung kommen sollen. Die EU-Staaten konnten sich aber nicht einigen können.
Die EU-Staaten haben sich am Freitag nicht aufs EU-Lieferkettengesetz geeinigt und die zugehörige Abstimmung vertagt. Das teilte ein Sprecher der belgischen Ratspräsidentschaft auf der Plattform X mit. Unter anderem Österreich und Deutschland hatten im Vorfeld erklärt, sich zu enthalten, was einem Nein gleichkam. Aus EU-Kreisen war zu vernehmen, dass die Abstimmung nun für 14. Februar geplant sei. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) will jedenfalls weiterverhandeln.
Bedenken zum Entwurf
„Dass die Abstimmung über die Lieferketten-Richtlinie nun vertagt wurde, zeigt, dass neben Österreich auch zahlreiche andere Länder Bedenken zu dem aktuell vorliegenden Entwurf haben“, teilte der zuständige Wirtschaftsminister Kocher in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA mit. „Wir haben weitere Verhandlungen gefordert und begrüßen die nunmehrige Rückkehr an den Verhandlungstisch.“ Österreich werde sich auch in den weiteren Gesprächen konstruktiv einbringen und Vorschläge unterbreiten, wie die Zielsetzungen der Richtlinie aus Sicht Österreichs am besten erreicht werden könnten.
Damit der Text verabschiedet werden kann, wäre eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten bzw. 15 von 27 oder Mitgliedsstaaten die 65 Prozent der Bevölkerung abbilden) im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten nötig.
Was sich nun bis 14. Februar tun könnte, damit Staaten wie Österreich doch noch zustimmen, ist am Freitag vorerst geblieben. In Österreich setzte die ÖVP die Enthaltung gegen ihren kleine Koalitionspartner Grüne durch, nachdem die Enthaltung Deutschlands bekannt geworden war. Diese wiederum basiert auf dem Widerstand der dortigen kleinsten Regierungspartei FDP. Dies alles geschah, obwohl eigentlich ein Kompromiss auf EU-Ebene fertig ausverhandelt gewesen war.
Politische Reaktionen
Arbeitgeberverbände in Österreich sorgten sich vor zu viel Bürokratie, auch wenn sie ihren Angaben zufolge die Ziele des EU-Lieferkettengesetzes unterstützten. Gewerkschaft und Arbeiterkammer sprachen sich stets für eine strenge Ausformung aus. Eine solche biete einen Mehrwert für die hiesige Wirtschaft und jene des Globalen Südens.
Die FPÖ fordert ein Nein Österreichs zum Lieferkettengesetz, nicht nur eine Enthaltung. Die SPÖ fordert die Umsetzung. Die NEOS betonten am Freitag in einem Statement gegenüber der APA, dass Ziel der EU, Handelsbeziehungen als Hebel für nachhaltiges und verantwortungsvolles Wirtschaften zu nutzen zwar sinnvoll, der Weg dorthin aktuell aber mit zu vielen bürokratischen Hürden und Regulierungen verstellt sei.
NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos: „Ein Lieferkettengesetz darf insbesondere mittelständische Betriebe nicht in Bürokratieketten legen. Das gefährdet Wohlstand und Arbeitsplätze und heizt nicht zuletzt die Teuerung für Konsumentinnen und Konsumenten weiter an.“ Gerade mit Blick auf die angespannte Konjunktur sei „eine solide überdachte Lösung besser als ein schlechter rascher Kompromiss“. Man werde „für ein Lieferkettengesetz ohne Bürokratieketten“ eintreten.
Das EU-Lieferkettengesetz
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen – mit mehr als 500 Mitarbeitern bzw. in Risikosektoren mit mehr als 250 Mitarbeiterinnen – zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbar sind.
Wifo-Experte Klaus Friesenbichler sieht ein Versicherungs- oder Zertifizierungssystem als Kompromiss, um in einem EU-Lieferkettengesetz sowohl Wirtschaftsinteressen als auch Menschen- und Umweltrechte zu berücksichtigen. „Man sollte schauen, dass nicht einzelne Beziehungen überwacht werden, sondern dass letztlich Firmen an sich in ihren Praktiken überwacht werden“, sagte Friesenbichler im Ö 1-“Morgenjournal“.
Expertenmeinung
Die größte Schwachstelle zur Abstimmung stehenden Kompromisses sieht der Experte darin, dass er auf einzelnen Geschäftsbeziehungen fußt. Das sei auch die Kritik der Unternehmen. „Einzelne Lieferbeziehungen sind sehr zahlreich. Wir schätzen in unseren Modellen, dass es in Europa circa 30 Millionen Unternehmen gibt, die 900 Millionen Lieferbeziehungen haben.“ Es sei eine „Herkulesaufgabe“, alle dieser Beziehungen zu überwachen. Zudem wäre „im Endeffekt die ganze Wirtschaft haftbar.“ Es gehe darum, dieses Risiko zu minimieren, so Friesenbichler.
Der Lieferkettenexperte schlägt vor, die EU oder Länder mit einem hinreichend guten Rechtssystem von der Regulierung auszunehmen und für andere Länder eine Art Versicherungs- oder Zertifizierungssystem zu etablieren. „In einem derartigen System könnten spezialisierte Auditoren vielleicht auch in Zusammenarbeit mit NGO Haftung übernehmen, dass die Praktiken einer Firma in einem Drittland sauber sind“, so Friesenbichler. Durch die Haftungsübernahme von Zertifizierungsstellen könnten Komplexität und Risiko für Unternehmen reduziert werden.