Über die Aushöhlung der Sprache

Aussage von Donald Trump wurde aus dem Zusammenhang gerissen.
Die Aufregung und Entrüstung war groß. „Trump droht mit Blutbad, im Falle seiner Wahlniederlage“. Diese – falsche – Schlagzeile verbreitete sich am Wochenende wie ein Lauffeuer im Internet, wand sich durch sämtliche Algorithmen, presste sich recht passend durch den Mahlstrom der Social-Media-Bubbles.
Ein klassisches Beispiel für ausschnitthafte Wahrheit. Was ist eine Lüge? Ist das Aussparen von der ganzen Realität schon eine Lüge? Es ist in jedem Fall eine Gefahr für die Realität. Die traurige Wahrheit: Halbwahrheiten über einen Mann zu verbreiten, der sich in der Verbreitung von Fake News profiliert, wird seine Falschbehauptungen nicht weniger gefährlicher machen. Ganz im Gegenteil.
Die politischen Kommentatoren nahmen den frevelhaften Ball Trumps dankbar auf. Die Trump-Versteher ergingen sich in der üblichen Schelte gegen den „Mainstream“. Dieses Mal jedoch aus berechtigten Gründen.
Trump drohte nicht, Trump warnte. Und das angesprochene Blutbad, das prophezeite der republikanische Präsidentschaftskandidat primär im Zusammenhang mit der Autoindustrie, Zöllen und der Wirtschaft im Land.
„Wir werden jedes einzelne Auto, das über die Grenze kommt, mit einem 100-prozentigen Zoll belegen, und Sie werden nicht in der Lage sein, diese Autos zu verkaufen, wenn ich gewählt werde“. Und: „Wenn ich nicht gewählt werde, wird das ein Blutbad für das Ganze – das ist noch das geringste Problem. Es wird ein Blutbad für das Land sein. Das wird das Geringste sein“, sagte Trump bei der Kundgebung in Vandalia, Ohio.
Auch wenn Trumps Aussage aus dem Zusammenhang gerissen wurde und im übrigen auch Joe Biden in der Vergangenheit mit Blick auf seine eigene Partei sich auf Blutbad-Vergleiche einließ: Der Ton macht die Musik. Und der Sound von Trump ist seit jeher ein beinhart verzerrter, lauter. Wie kein anderer treibt er die Verrohung der Sprache voran. Migranten „vergiften das Blut unseres Landes“, sagte er im vergangenen Jahr auf einer Wahlkampfveranstaltung in New Hampshire. Er spricht von politischen Gegnern als „Ungeziefer“, kündigt an, einen Tag als Diktator agieren zu wollen. Und trotz der verqueren Berichte über Trumps Blutbad-Sager: Trump kommuniziert ganz gezielt doppelbödig. Bei seinen Anhängern findet das Gesagte genau in diesen Schlagwörtern Gehör.
Die Straftäter, die beim Sturm auf das Kapitol beteiligt waren, gelten in Trumps Welt als „Geiseln“. Die Gegner sind – weil sie ja Ungeziefer sind – keine Menschen. Die Gegner wiederum sind Kommunisten und Faschisten gleichermaßen. Und die Demokratie ist aus seiner Sicht in Gefahr. Aber was ist seine Definition von Demokratie? Was seine Definition von Faschisten? Die eigene Anhängerschaft wird es nicht sein.
Es erinnert an Alice in Wunderland und die Figur Humpty-Dumpty. „Wenn ich ein Wort benutze“, sagte Humpty-Dumpty in eher höhnischem Tonfall, „so bedeutet es genau das, was ich an Bedeutung auswähle, nicht mehr und nicht weniger.“
Die Blutbad-Episode wird in diesem langen Wahljahr erst der Anfang sein. Die ausschnitthaften Meldungen werden sowohl bei Donald Trump als auch Amtsinhaber Joe Biden Hochkonjunktur feiern. Ein weiteres Beispiel folgte bereits am Montagvormittag. „Trump spricht sich für Abtreibungsverbot aus“, so die Schlagzeile. Welche Frist er konkret andenke, ließ Trump aber offen. Und auch das ist wichtig. Die 16. Woche als Frist wäre zumindest liberaler als in Österreich, wo Schwangerschaftsabbrüche nur bis zur 14. Woche durchgeführt werden dürfen. Einem Bericht der New York Times zufolge hat der Ex-Präsident in einem Gespräch mit Beratern gesagt, ihm gefalle die Idee eines landesweiten Abtreibungsverbots ab der 16. Schwangerschaftswoche, mit Ausnahmen nach Vergewaltigung oder Inzest oder wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist.