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“Hier kommt das schwergewichtige Vorderland”

27.04.2024 • 18:02 Uhr
"Hier kommt das schwergewichtige Vorderland"

Karl Wutschitz, frisch gebackener Alt-Bürgermeister von Sulz, über seine lange Amtszeit, den „irritierenden“ Umgang in der Landes- und Bundespolitik und seine Fahrgemeinschaft mit zwei – ebenfalls nicht gerade schlanken – Amtskollegen.


Sie haben am Freitag vor einer Woche das Amt übergeben. Sie arbeiten aber immer noch. Was tun Sie noch hier?
Karl Wutschitz:
Mein offizieller Pensionsantritt ist erst am 1. Mai. Ich sichte noch persönliche Unterlagen, die sich in den vielen Jahren angesammelt haben, und arbeite ein paar Sachen auf, die liegen geblieben sind.

Aber üblich ist das nicht, oder?
Wutschitz: Ich habe es meinem Nachfolger angeboten. Auf das Bürgermeisteramt kann man sich nicht zu 100 Prozent vorbereiten, da tauchen immer wieder Fragen auf.

Können Sie denn gut abgeben?
Wutschitz: Ein bisschen Wehmut ist immer dabei. Ich hatte über all die Jahre ein wirklich großartiges Team an Mitarbeitern. Aber auch mit den politischen Mitstreitern hatte ich immer ein tolles Einvernehmen. Es ist bekannt, dass Sulz schon seit vielen Jahrzehnten eine Einheitsliste hat. Das hat sich im politischen Alltag widergespiegelt. Wir haben zwar in der Sache hart diskutiert, waren aber immer auf Augenhöhe. Das ist in Zeiten wie diesen keine Selbstverständlichkeit mehr.

"Hier kommt das schwergewichtige Vorderland"
War fast 40 Jahre in der Gemeindepolitik: Karl Wutschitz. Hartinger

Derartige Einheitslisten stehen aber teilweise auch in der Kritik – in demokratiepolitischer Hinsicht. Denn die Wähler haben eigentlich keine Wahl, außer die Personen innerhalb der Liste mittels Vorzugsstimmen zu reihen.
Wutschitz:
Aus dieser Perspektive kann man das schon kritisch betrachten. In einer kleinen Kommune, wie Sulz eine ist, macht eine Einheitsliste aber durchaus Sinn. Wir haben jedenfalls gute Erfahrungen damit gemacht und in Gesprächen mit der Bevölkerung festgestellt, dass die Einheitsliste wertgeschätzt wird.

Wie ist die Einheitsliste entstanden?
Wutschitz: Die gibt es nun schon seit gut 30 Jahren. Die Idee wurde allerdings schon lange vorher diskutiert. Es war ein mühsamer Weg, es gab viele Ängste. Die große Frage war, wie wir eine gerechte Reihenfolge innerhalb der Liste erstellen. Wir haben das mit einem guten Miteinander und offenen Gesprächen gelöst. Teilweise haben wir auch intern gewählt.

"Hier kommt das schwergewichtige Vorderland"
Karl Wutschitz. Hartinger

In den Zeitungsarchiven sind zumindest in den letzten 30 Jahren keine Geschichten über Differenzen in der Sulner Gemeindepolitik zu finden. Ging es in dem Fall immer konstruktiv zu?
Wutschitz:
Der Übergang war etwas holprig, sonst kann ich mich an keine Differenzen erinnern. Das soll nicht heißen, dass immer alles eitel Wonne war. Wir haben das aber nie nach außen getragen. Ich muss aber auch sagen, dass ich nie angegriffen wurde.

Sie haben bei den Wahlen jeweils sehr viele Vorzugsstimmen erhalten. Wie erklären Sie sich den konstanten Zuspruch?
Wutschitz: Ich kann mich noch an die erste Wahl erinnern. Da gab es genau 1000 gültige Stimmen und ich hatte rund 1200 Vorzugsstimmen. Dass ich es geschafft habe, dieses Niveau über vier Perioden hinweg zu halten, ist für mich ein Zeugnis dafür, dass meine Arbeit und die Arbeit der Gemeindevertretung geschätzt wurden. Ich habe mich in all den Jahren sehr intensiv um die Kontakte in der Gemeinde bemüht, habe immer alle Vereine besucht und gehe seit mehr als 50 Jahren als Nikolaus. Deshalb ist mein Bekanntheitsgrad wohl sehr groß.

Sie waren fast 40 Jahre in der Gemeindepolitik, davon zehn Jahre Vize- und fast 20 Jahre Bürgermeister. Da gibt es sicher einige Anekdoten. Was fällt Ihnen da spontan ein, was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Wutschitz:
Berührend war für mich immer, wenn man Bürgern helfen konnte und diese sich dann mit Tränen in den Augen bedankten. Ich hatte auch ein sehr gutes Verhältnis zu anderen Bürgermeistern im Vorderland. Thomas Pinter aus Meiningen und Werner Müller aus Klaus waren ja wie ich nicht gerade schlank (lacht). Wir haben bei gemeinsamen Terminen immer eine Fahrgemeinschaft gebildet. Wenn wir dann alle aus dem Kleinwagen der Gemeinde, ein Renault Zoe, ausgestiegen sind, hieß es meistens: „Jetzt kommt das schwergewichtige Vorderland.“ (lacht)

"Hier kommt das schwergewichtige Vorderland"
Alt-Bürgermeister Wutschitz im NEUE-Interview. Hartinger

Wie hat sich das kommunalpolitische Geschäft und das Zusammenleben in der Gemeinde in den letzten Jahrzehnten verändert?
Wutschitz: Die Dankbarkeit war früher größer. Klar, die Menschen damals hatten teilweise selbst noch den Krieg erlebt. Jetzt wird quasi schon vorausgesetzt, dass man sich um alles kümmert. Das Ich-Denken hat massiv zugenommen. Aber auch die Coronapandemie hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Das Vereinswesen wurde ebenfalls beschädigt. Leute, die sich bis dahin ehrenamtlich engagierten, haben plötzlich gemerkt, dass es zu Hause auf der Couch fein ist. Manche sind auf ihrer Couch sitzen geblieben und nicht mehr zurückgekommen. Wir müssen uns deshalb stärker als früher ums Ehrenamt bemühen.

Wie nehmen Sie aktuell die Landes- und Bundespolitik wahr?
Wutschitz: Es irritiert und erschreckt mich, wie man im Land und noch viel stärker im Bund miteinander umgeht. Man ist offenbar nicht mehr in der Lage, in einen ordentlichen Dialog zu treten und Ideen auszutauschen. Es geht nur noch um Beschuldigungen und die jeweils andere Gruppierung wird als Feind betrachtet. Das trägt meiner Meinung nach wesentlich dazu bei, dass sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden. Ich möchte aber festhalten, dass ich im Land immer gut unterstützt wurde.

Viel Streit (um Kies) gab und gibt es auch bei den Nachbarn, der einstigen Musterregion für interkommunale Zusammenarbeit.
Wutschitz:
Sie meinen die Kummenbergregion. Da sieht man, wie schnell es gehen kann. Ich bin aber sowieso davon überzeugt, dass das Vorderland der Leitstern unter den Regionen ist.

Warum?
Wutschitz: Wir haben bei uns schon Kooperationen umgesetzt, als die anderen noch davon geredet haben. Sei es die Baurechtsverwaltung, die Finanzverwaltung oder das Altstoffsammelzentrum. Jetzt diskutieren wir über ein regionales Bauamt. Da sind wir schon sehr gut unterwegs.

Wenn Sie auf ihre Amtszeit zurückblicken: Was ist Ihnen gelungen, worauf blicken Sie mit Stolz zurück?
Wutschitz: Auf das ausgezeichnete Mitarbeiterteam in der Verwaltung, das wir hier aufgebaut haben. Und auf das wertschätzende Miteinander, das wir auch in der Gemeindevertretung pflegen. Und dann wäre da noch der Kindercampus. Da geht es mir jetzt aber nicht ums Gebäude. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war mir immer wichtig. Damals gab es noch kein Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz und wir haben auch nicht gefragt, wie hoch wir gefördert werden. Wir haben es einfach umgesetzt. Davon profitieren wir jetzt.

"Hier kommt das schwergewichtige Vorderland"
Wutschitz übergab des Bürgermeisteramt am Freitag vor einer Woche. Hartinger

Was ist Ihnen nicht so gelungen, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Wutschitz: Der Frödischuferweg. Da wäre ich gerne weitergekommen. Auch die Verkehrssituation auf der Landesstraße ist unbefriedigend. Das ist wie eine Narbe durch Sulz. Wir diskutieren da schon seit Jahren über eine Temporeduktion, aber die Bezirkshauptmannschaft sieht hier keinen Handlungsbedarf. Offenbar gibt es zu wenige Unfälle.

Gibt es etwas, dass Sie gerne rückgängig machen würden?
Wutschitz: Da fällt mir jetzt spontan gar nichts ein. Das soll aber nicht heißen, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich habe allerdings sicher nie jemandem wissentlich unrecht getan.

"Hier kommt das schwergewichtige Vorderland"
Wutschitz mit seinem Nachfolger Michael Schnetzer. Hartinger

Was zeichnet Ihren Nachfolger aus?
Wutschitz: Michael Schnetzer kennt das Geschäft. Er war viele Jahre lang Amtsleiter in Röthis und ist seit rund 25 Jahren als Gemeindevertreter tätig. Und man musste ihn nicht dazu überreden. Dazu kommt eine hohe Sozialkompetenz. Wir brauchen keine eiskalten Manager in den Gemeinden. Wir müssen eher auf die Menschen schauen, die es schwer haben.

Auf dem Weg in den ersten Stock geht man an den Porträts der Bürgermeister vorbei. Ihr Konterfei habe ich nicht gesehen, aber der Nagel ist schon eingeschlagen.
Wutschitz: Das Bild gibt es schon, aber es hängt noch nicht.

Es ist der letzte freie Platz an der Wand. Wo kommt Ihr Nachfolger einmal hin?
Wutschitz: Die Idee ist, dass der letzte Alt-Bürgermeister immer ganz oben hängt. Kommt einer dazu, rücken die anderen nach unten. Wir haben noch Platz bis in den Keller hinunter (lacht).

Sie gehen also am 1. Mai, am Tag der Arbeit, in Pension. Was machen Sie mit Ihrer gewonnenen Zeit?
Wutschitz: Mein Plan ist es, keinen Plan zu haben. Ich lasse das Ganze auf mich zukommen. Ich möchte mir jetzt erst einmal ein wenig Zeit für die Familie nehmen. Meine Tochter heiratet demnächst. Dann fahren wir alle gemeinsam in die Pfalz.