Bürgerliche Krise: Kein Trauerspiel

Applaus für das neue Stück des aktionstheater ensembles.
Die Ereignisse seit dem Frühjahr sind nicht spurlos an den Menschen vorbeigegangen. Nach Wochen im Lockdown und in der immer noch anhaltenden Zeit der Unsicherheit hat das Publikum im Theater Kosmos die Inszenierung des aktionstheater ensembles offenbar gebraucht. „Bürgerliches Trauerspiel – Wann beginnt das Leben“ bietet den Zuschauern unter anderem einen Spiegel der eigenen Erfahrungen und Gedanken, und das in einer gleichzeitig berührenden und lustvoll-kurzweiligen Form. Die Zuschauer bedankten sich mit lautem Applaus und teilweise stehenden Ovationen: Eine beachtliche Leistung, wenn man die verminderte Anzahl an Sitzplätzen bedenkt.

Wie gehen wir mit der Corona-Krise um? Was können und wollen wir tun, um diese Welt gerechter und nachhaltiger zu gestalten? Es sind diese zwei Hauptfragen, die hinter Martin Grubers Inszenierung aufscheinen. Die Unzulänglichkeiten der Mitwirkenden – die jedoch stets verschoben und umgetextet werden, um eine eindeutige Zuschreibung zu verhindern – kann der Zuschauer dazu aufwenden, sich selbst humorvoll zu betrachten. Es ist eine Strategie, die ganz ohne den viel zitierten erhobenen Zeigefinger auskommt. Das tut gut, und rückt metaphorisch gesprochen alle ein Stück näher zusammen. Denn ist es doch so, wie Darstellerin Michaela Bilgeri sagt: Wir sitzen alle im selben Boot.
Tagebuch
Ein hohes Tempo hat das Stück, das Musik, Choreografie und Text dicht miteinander verwebt. Den Auftakt macht das musikalische Trio mit Sängerin Nadine Abado, Kristian Musser und Schlagzeuger Alexander Yannilos, das an diesem Abend zwischen melancholischer Dramatik und rhythmischer Geschwindigkeitsexplosion hin und her changiert. Thomas Kolle eröffnet das Spiel mit einer gerade in Corona-Zeiten ungehörigen Geste: Er spuckt sich in die Hände, reibt sie sich lächelnd – und holt nach und nach die Kollegen dazu.

Benjamin Vanyek übernimmt dauraufhin seinen Part, indem er die wenig aussagekräftigen Statements der Bundesregierung zur Kultur in der Corona-Krise wiedergibt. Die Kunst ist eben „sehr wichtig“. Auch die Theatergattung des bürgerlichen Trauerspiels fällt in Vanyeks Ressort. Seine Bewunderung und die Sehnsucht nach der Figur der bürgerlichen Frau stehen dabei im Zentrum – das wird für das Finale ein wunderschönes Bild erzeugen. Sehr sympathisch lässt uns Schauspielerin Bilgeri an ihrem speziellen Tagebuch teilhaben, in dem sie seit Jahresanfang ihren Alkoholkonsum notiert. Dass dieser in ihrem letzten Urlaub auf Kuba beachtlich ist und auch in der Lockdown-Phase nicht abflacht, sei hier verraten.
Feminismus
Bilgeri erprobte auf Kuba auf ihre eigene Art das Prinzip des „Sharing Forward“, Kolle klärt uns wiederum über die Kardinalstugenden des Bürgertums auf. So egalitär ist dieses ja nicht, denn wer nicht Fleiß, Verlässlichkeit und Talent aufweist, spielt gar nicht mit in dieser Klasse – der Kolle aber gar nicht angehört, er ist ja ein „neuer Mann“ und Feminist. Apropos Feminismus: Dass eigentlich Gunda Schanderer vom Landestheater Linz mitspielen hätte sollen, sich aber während der Krise um ihre Kinder kümmern musste, ist die nun einzige Darstellerin Bilgeri nicht müde zu betonen.

Vom Landestheater Linz dabei ist aber Horst Heiß, der wunderbar den hochgestochenen Bildungsbürger gibt, der während der Quarantäne noch mehr an seiner Inneneinrichtung feilt, und zwischendurch die Zuschauer mit sinnhaften Zitaten versorgt. Jeder hat so seine eigene Art, mit dieser merkwürdigen Zeit umzugehen, wie Kolle, der sich in den heimischen Kräutergarten zurückzieht.
Aufführungen heute und morgen, jeweils 18 und 21 Uhr, im Theater Kosmos, Bregenz. Tickets: www.events-vorarlberg.at
Vanyek kann dann im schwarzen Trauerkleid (Ausstattung: Valerie Lutz) doch noch zur Bürgersfrau werden, gegen Ende verdichtet sich das Spiel rasant, und sorgt mit reichlich Glitter für einen intensiven Abschluss.