Kultur

Ernani: Orchesterfarben im Theaterblut

20.07.2023 • 23:00 Uhr
Bilder der Hausoper Ernani (3) <span class="copyright">Beate Rhomberg</span>
Bilder der Hausoper Ernani (3) Beate Rhomberg

Mit großartige Stimmen und musikalischem Glanz feierte Lotte de Beers Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper „Ernani“ gestern Premiere im Festspielhaus.

Mit der Glaubwürdigkeit einer Opernhandlung oder eines Theaterstücks ist das so eine Sache, gehören doch die Brüche, das Umkippen vom höchsten Glück zur Tragik, vom tiefen Ernst zur Absurdität gerade zur Faszination für die Gattung.

Berührend erzählt

In Giuseppe Verdis früher Oper „Ernani“ aus dem Jahr 1844, der ersten Zusammenarbeit mit dem Librettisten Francesco Maria Piave, der das gleichnamige Drama von Viktor Hugo verwandelte, geht es, natürlich, um Liebe, Eifersucht, Rache, und über allem die Ehre, „L‘onore“: Ein Schwur muss gehalten werden, und auch wenn das Glück des Liebespaars nach vielen Verwicklungen und Wendungen endlich greifbar schiene, muss sich der Protagonist umbringen. Aus höchster Innigkeit und Ekstase werden Verzweiflung und Tod. Doch Regisseurin Lotte de Beer und ihr Team um Ausstatter Christof Hetzer, den Lichtdesigner Alex Brok und den Choreografen Ran Arthur Braun finden einen manchmal überdrehten, doch konsequenten und letztlich berührenden Weg, die Geschichte zu erzählen.

Großartige Stimmen, der spielfreudige und stimmgewaltige Prager Philharmonische Chor in der bewährten Einstudierung durch Lukáš Vasilek und die Wiener Symphoniker unter der fantasievollen Leitung von Enrique Mazzola stehen für den musikalischen Glanz dieser Festspiel-Hausoper.

Ein Mann, der aus Rache über den Mord an seinem Vater zum Banditen geworden ist und seine Geliebte entführen will; ein spanischer König, der diese Frau ebenfalls bedrängt und später zum Kaiser gewählt wird; ein alter Adliger, der die Frau – es ist seine Nichte – heiraten will; schließlich die Frau, die den Alten und den König zurückweist und nur den Banditen will, der eigentlich ein verstoßener Adliger ist: Das sind, grob skizziert, die Beteiligten, mit reichlich Potenzial für Verwicklungen, falsche Identitäten, Enthüllungen, Konflikte, musikalisch für große Arien und Ensembles, Emotionen, Chorszenen und Orchesterfarben.

Überzeichnet

Da viele dieser Wendungen und Übergänge ziemlich holzschnittartig gezeichnet sind, unterstreicht Lotte de Beer die starken Kontraste, indem sie sie überzeichnet und ins (Tragi-)Komische zieht. Angesiedelt ist das Ganze von Bühnenbildner Christof Hetzer auf einer öden Halbkugel, die zunächst nur vom Chor mit Ernani belebt wird, Verortungen in Spanien oder später Aachen gibt es keine, Rüstungen sind angedeutet. Darüber schwebt in der zweiten Szene das cleane weiße Schlafzimmer der von allen drei Männern begehrten Elvira: die Wände sind aus Papier und werden immer wieder durchbrochen, eingerissen. Zum Hochzeitsfest von Elvira und Don Silva ist eine weiße Säulenhalle angedeutet, die der Chor mit Leben füllt.

Wenn Carlos im dritten Akt auf das Ergebnis der Kaiserwahl wartet, sind schiefe Grabsteine im schummrigen Licht zu sehen. Nach der Wahl wird flugs ein roter Teppich ausgerollt, die kleine Krone gegen eine größere aus Goldpapier ausgetauscht, manches wirkt wie beim Kindergeburtstag, wenn Hochzeit, Krönung oder eben auch Krieg gespielt wird. Dazu kommen allerdings auch acht Athleten von der virtuosen Stunt Factory, die immer wieder einmal tanzen und kämpfen und das Theaterblut nur so auf die weißen Säulen spritzen lassen. Die Schlussszene mit der Hochzeit von Ernani und Elvira ist wieder auf der leeren Bühne, zunächst noch vom Chor belebt, dann von dem verzweifelten Paar und dem unnachgiebigen Silva auf trostlos verbrannter Erde.

Prächtige Stimmen

Durchweg prächtig sind die Stimmen, denen der junge Verdi viel abverlangt: Guanqun Yu überzeugt mit der Leuchtkraft und Beweglichkeit ihres Soprans, ihre Auftrittsszene spiegelt die inneren Konflikte, die Ensembleszenen mit dem Chor und den drei Männern überstrahlt sie mit Wärme und Intensität. Der albanisch-italienische Tenor Saimir Pirgu gestaltet den Ernani mit heldischer Kraft, kämpferisch, in der letzten Szene darf er sich auch mit feinen Pianotönen und sensibleren Farben zeigen.

Die Figur des Königs Carlo stattet die Regisseurin am meis­ten wie eine Komödienfigur aus, mit Kniehosen, Bauchbinde, nacktem Oberkörper und Goldpapierkrone macht Franco Vassallo spielfreudig großspurig mit und prunkt dazu mit voluminösem und klug phrasierendem Bariton. (Wenn sich der Chor in leicht schunkelnder Bewegung hinter ihm postiert, wird das fast allgegenwärtige Hum-ta-Ta des Orchesters charmant karikiert). Der kroatische Bass Goran Juric zeichnet den alten Silva (er muss sich greisenhaft mit Gehhilfe über die Bühne schleppen) würdevoll, intrigant, gekränkt mit großem Atem und Ambitus, der große Bruder aller späteren Verdi-Basspartien. Enrique Mazzola führt die Wiener Symphoniker bald spritzig und beweglich, bald in dunklen Farben mit schönen Holzbläsersoli. Der junge Verdi klingt unter seinen Händen nicht plakativ, sondern elegant pulsierend, vieles aus späteren Opern ist hier bereits angelegt.

Das Premierenpublikum feierte die musikalischen Leistungen einhellig, schien aber vom Regieteam etwas weniger überzeugt. Die zweite Aufführung am 23. Juli (11 Uhr) ist bereits ausverkauft, ebenso laut Website die dritte am 31. Juli.

Mehr Infos unter bregenzerfestspiele.com/de

Von Katharina von Glasenapp