Kultur

Über die Wirklichkeit in der Erfindung

19.08.2023 • 23:00 Uhr
Schriftstellerin Monika Helfer <span class="copyright">Minitta Kandlbauer</span>
Schriftstellerin Monika Helfer Minitta Kandlbauer

Monika Helfer verwebt ihre persönlichen Erlebnisse mit Fiktion und ihre eigene Figur mit erfundenen Charakteren. Morgen erscheint ihr neuer Roman „Die Jungfrau“. Im Interview spricht sie über die Verhältnisse von Realität und Fiktion und über die tragische Geschichte ihrer Hauptfigur Gloria: Eine junge Frau, die sich alles erfüllen kann und trotzdem nichts bekommt.

In ihrem neuen Buch „Die Jungfrau“ schreiben Sie über die Freundschaft und das Leben Ihrer Jugendfreundin Gloria. Wie viel ist autobiografisch, wie viel Fiktion?
Monika Helfer: Dieses Buch, die Jungfrau, das ist eigentlich beinahe eine Fiktion, also ich hab von anderen Personen kleine Teile genommen und daraus eine Person erfunden. Ich komm als Person vor, das ist real, aber die Frau, die Gloria ist rein erfunden. Wenn ich dann so Sachen einfüge, die es wirklich gibt, wie ein Café oder eine Stadt, dann ist das wie eine Irreführung des Lesers, aber es macht Freude, so etwas hineinzuschreiben, dann kann ich das eine mit dem anderen verknüpfen, obwohl es eigentlich gar keinen echten Bezug hat.

Gibt’s eine Vorlage für Gloria?
Helfer: Es gibt keine Vorlage, es gibt 50 Vorlagen, also Frauen, aus denen ich einen Charakter gezimmert habe, aus dem die Gloria dann geworden ist.

Im Buch schreiben Sie auch über Ihr Leben mit Ihrem ersten Mann, das ist schon autobiografisch?
Helfer:
Auch nicht hundertprozentig, da ist auch Fiktion dabei. Aber ich fand eben das komisch, dass die Realität mit der Fiktion so vermischt ist. Man könnte meinen, das eine sei wahr oder das andere oder beides. Das ist wie ein Spaziergang auf dem Schwebebalken. Das find ich spannend, der Leser kann sich ja aussuchen: Will er die Gloria in echt haben? Oder will er alles in echt haben? Oder will er eine reine Fiktion?

Auch wenn das mit der Fiktion verknüpft ist, sind es ja viele persönliche Details, die Sie in Ihren Büchern verarbeiten.
Helfer: Es hat etwas Komisches. Aber ich schreibe ja nur, was ich will. Ich hab ja die Freiheit, alles zu verschweigen, das ist das schöne. Werden Sie Schriftsteller und Sie können sich ein Wunschleben machen, Sie können machen, was Sie wollen.

Wie lange haben Sie schon überlegt, die Jungfrau zu schreiben?
Helfer: Seit Löwenherz (das ist mein letztes Buch) hab ich darüber nachgedacht, was ich als nächstes mach. Ich wollte nicht direkt wieder etwas über die Familie schreiben, also keine Autofiktion, sondern viel mehr erfinden. Dann habe ich mir gedacht, es wär doch schön, über eine Frau zu schreiben.

Was hat Sie so fasziniert an der Figur der Gloria und ihrem Leben?
Helfer: Ich hab öfter davon gehört, dass es Frauen gibt, die sterben und immer noch Jungfrau sind. Sie haben aber trotzdem ein spannendes Leben gehabt, auch Kontakte mit Männern – sind aber immer noch Jungfrau geblieben und bevor sie sterben, möchten sie nicht als Jungfrau sterben. Das fand ich irgendwie komisch und gleichzeitig tragisch.

Gab es etwas, das Ihnen beim Schreiben von der Jungfrau besonders wichtig war?
Helfer: Ja, es war mir schon wichtig, eine Frauenfigur zu zeichnen, die sehr gespalten ist und die auch verwöhnt und nicht mehr zeitgemäß ist, hoffe ich… Aber so eine Frau wird’s ja immer wieder geben, die sich alles erfüllen kann und trotzdem nichts bekommt, nichts Wirkliches. Das sind diese tragischen Schicksale, die es immer wieder gibt. Ein Hauptthema war auch die Konkurrenz zwischen den Frauen: Hat die den Mann und ich möchte ihn auch oder wer bekommt ihn?, solche Dinge. Bin ich jetzt schöner als meine Freundin oder ist sie schöner? Wer kommt besser an? – Das sind Unsicherheitsfragen, weil man sich noch nicht genau vorstellen kann, wer man ist.

Das war die eigentliche Idee?
Helfer: Das war schon mit die Idee ja.

Gloria wirkt sehr zeitlos, weil sie sich über die ganzen Jahre nicht verändert. Was ist Gloria für eine Figur?
Helfer: Die Gloria ist eine Frau, das habe ich mir ausgedacht, die alles bekommt, was sie sich wünscht. Es gibt viele verwöhnte Frauen, aus reichem Haus meistens, die sich etwas wünschen und ihnen wird alles erfüllt. So glaubt natürlich die Gloria auch: Wenn ich mir einen Mann einbilde und mir den wünsche, dann bekomm ich den. Sie bekommt aber nicht alles, das ist ihre Tragödie.

Was hindert Gloria daran ihr Leben zu leben?
Helfer: Wenn das im Buch nicht herauskommt, dann hab ich einen Fehler gemacht. Wer ist Schuld? Ist es der abwesende Vater, ist das Geld schuld, ist es die mangelnde Präsenz, ist ihr Verwöhntsein schuld, da gibt es ganz viele Faktoren, die nicht zusammengepasst haben. Wünsche, die nicht erfüllt werden hat jeder Mensch und besonders die jungen Frauen. Die meisten Wünsche, die man als junge Frau hat, werden nicht erfüllt, das muss man leider sagen. Und dann sucht man sich so Ersatz: Man heiratet dann, bekommt Kinder und findet sich damit ab oder man ist zufrieden. Zufriedenheit ist vielleicht fast eine Abwesenheit von Glück. Wenn man zufrieden ist, dann ist man in der Zufriedenheit glücklich.

Das Buch dreht sich immer wieder auch um Geld…
Helfer:
Ja es geht um Geld, aber eigentlich geht es nicht um Geld, weil das für sie kein Thema ist. Also sie denkt sich, sie kann sich alles erlauben und alle kaufen, weil sie Geld hat. Das sind lauter Dinge, die in der Wirklichkeit passieren und die einem begegnen und deshalb fand ich, macht es das Buch interessant.

Sie haben die Figuren in dem Buch mit einer starken Freundschaft verknüpft…
Helfer: Ich hatte wie wahrscheinlich jede Frau in der Schule Freundinnen und die Freundschaften sind natürlich dann verloren gegangen oder eingeschlafen, wenn man sein eigenes Leben manifestiert hatte. Und dann kommt einem das immer wieder in den Sinn. Da sind mir auch Frauen eingefallen, von denen ich winzige Teile genommen hab. Für mich besteht das Schreiben wie aus einem Puzzle, ich such die Teile zusammen und zimmere daraus Figuren. Ganz simpel gesagt: Ich wollte einfach ein Buch über Frauen schreiben, ein Buch über Frauenfreundschaften, wie immer sie sind und wie sie sein könnten, das war mein Ziel. In Romanen kommen ständig Beziehungen vor, ich weiß ja auch nichts von diesen Personen, sie könnten Fiktion sein, sie könnten wahr sein, wenn das Buch gut geschrieben ist, ist das völlig nebensächlich.

Was ist an dieser Freundschaft so besonders?
Helfer: Jede Freundschaft ist besonders. Wenn Sie eine Freundin haben und an ihr hängen, ist das besonders. Und wenn Sie sich eine Freundin erfinden und die könnte echt sein, ist das auch besonders. Man verliert sich aus den Augen und dann trifft man sich wieder und man merkt, es ist eigentlich gar keine Zeit vergangen und das ist schon sehr spannend.

Das Haus in dem Gloria wohnt wirkt sehr lebendig, als würde es die Leute drin auffressen.
Helfer: Das Haus ist ein Märchenhaus, das Haus gibt’s nicht. Das Haus könnte es geben. Es gibt viele solche Häuser, die nicht betreten werden und die wir nicht kennen, aber die es doch gibt. Ich hab das absichtlich so geschrieben, weil ich wollte auch so einen Märchenpunkt darin haben. Das Haus könnte erfunden sein, könnte aber auch real sein. Das ist einfach das Prinzip von dieser Art zu schreiben. Das eines ins andere übergeht. Es gibt Leute, die werfen mir das vor und sagen, das ist gelogen, aber auf dem Buchtitel steht: Roman und in diesem Wort ist eigentlich alles enthalten. Man muss darauf gefasst sein, dass es eine erfundene oder eine wahre oder eine erfundene und wahre Geschichte ist, das es alles sein kann. Aber die Leute wollen immer mehr wissen. Das ist die Neugierde, die ich nicht befriedigen will.

Es wird keine Fortsetzung geben, oder?
Helfer: Nein, es gibt keine Fortsetzung, aber es gibt immer wieder Menschen, die sich eigenen und die sich zu erfinden lohnen und mit der Realität verknüpfen lassen. Ich erzähl Ihnen jetzt eine ganz kleine Geschichte: Ich schreibe öfter kurze Sachen und einmal hat mich eine Frau angerufen und hat mir gesagt, sie wird mich verklagen. Ich hab gefragt: Warum? Da sagt sie, sie kommt in meiner Geschichte vor. Und ich sage: Ich kenne Sie überhaupt nicht. Sie erkennen sich in einer Geschichte, weil Sie ein ähnliches Schicksal haben, aber ich kenne Sie nicht und es ist einfach eine Erfindung, die zutrifft. Das ist zwar kurios, aber das gibt es auch.

Würden Sie in Zukunft mehr Fiktion schreiben?
Helfer: Ich weiß es noch nicht. Ich könnte mir vorstellen, wieder eine Fiktion mit genau diesen Momenten von Realität zu schreiben, wie es jetzt in der Jungfrau geschehen ist.

Also mit Ihnen selbst als Figur?
Helfer: Ich hab das gerne, wenn ich vorkomme, weil ich dann den Schreibprozess mitformulieren kann und das find ich spannend. Ich habe das Gefühl, wenn ich über mein Schreiben im Roman schreibe, dann hat das sowas Brisantes, das stimmt für mich. Das würd ich wahrscheinlich wieder so machen.

Haben Sie schon eine Idee für ein neues Buch?
Helfer:
Ich habe schon zu viele Ideen und es ist schwierig auszusuchen, was ich nehmen werde und ob sich die Stoffe, die ich in meinem Kopf hab, eignen.