Kultur

Michael Kasper sieht blinde Flecken

21.09.2023 • 18:43 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Von 2010 bis 2017 war Kasper wissenschaftlicher Mitarbeiter und<br>Projektleiter am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie<br>an der Universität Innsbruck. <br><span class="copyright">Montafoner Museen</span>
Von 2010 bis 2017 war Kasper wissenschaftlicher Mitarbeiter und
Projektleiter am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie
an der Universität Innsbruck.
Montafoner Museen

Interview. In der Szene wurde schon davon gemunkelt, nun ist es fix: Der 42-jährige Montafoner Michael Kasper wird der neue Chef des Vorarlberg Museums. Im NEUE-Interview präzisiert er seine Pläne für das Haus am Kornmarkt.

Was verbindet aus Ihrer Sicht Ihre bisherige Tätigkeit mit Ihrer neuen Aufgabe?
Michael Kasper: Meiner Einschätzung nach gibt es da sehr viele Parallelen. In erster Linie ändert sich wohl der Maßstab und der räumliche Bezug, aber auch im Montafon war ich für ein „Universalmuseum“ zuständig. Nun freue ich mich, all die Facetten musealer Aktivitäten auf Landesebene mit einem größeren Team bearbeiten zu dürfen. Im Grunde sind es klassische Fragestellungen zu Identität, zum „Wer wir sind“, die in Regional- und Landesmuseen verhandelt werden.

Wie möchten Sie eine stärkere Öffnung des Vorarlberg Museums erreichen?
Kasper: In erster Linie denke ich dabei an eine stärkere Präsenz des Vorarlberg Museums bzw. der Mitarbeitenden im ganzen Land. Für viele Menschen ist der Besuch eines Museums immer noch eine große Hürde. Deshalb möchte ich versuchen, auf diese museumsfernen Gruppen zuzugehen und mit ihnen vor Ort in Kontakt zu treten.

Welche Formen der Beteiligung schweben Ihnen vor?
Kasper: Da gibt es viele Ideen. Wichtig ist mir aber die Grundhaltung, dass man die Menschen in ihrer Vielfalt ernst nimmt. Ich könnte mir etwa vorstellen, unterschiedliche Gruppen einzuladen, Objekte aus der jüngeren Vergangenheit/Gegenwart, die ihnen als besonders bedeutsam und bewahrenswert erscheinen, in die Sammlung des Vorarlberg Museums einzubringen. Wichtig ist dazu immer die jeweilige Hintergrundgeschichte: Was steckt hinter dem Objekt?

Wie werden Sie die einzelnen Abteilungen des Vorarlberg Museums gewichten?
Kasper: Alle Bereiche haben eine hohe Relevanz, werden von kompetenten Mitarbeitenden betreut und stehen daher nebeneinander. Wichtig ist mir von der Grundhaltung her, dass nicht zu stark in Abteilungen oder Fachdisziplinen gedacht wird, sondern interdisziplinär und übergreifend gearbeitet, geforscht und vermittelt wird.

Welcher Stellenwert kommt beispielsweise der historisch gewachsenen Bedeutsamkeit der Archäologie zu?
Kasper: Die Archäologie reicht zweifellos weit in die Geschichte des Vorarlberg Museums zurück und stellt damit auch einen wesentlichen Kern der Sammlung dar. Aber auch dort können spannende neue Erkenntnisse vor allem im regen Austausch mit den anderen Fachbereichen entstehen. Ein neuer Aspekt könnte etwa die historische Archäologie, die sich mit der Neuzeit befasst, sein. Dort gibt es viel Potenzial, wenn man Erkenntnisse mit der historischen Forschung in Bezug bringt.

Die zeitgenössische Kunst ist ein wichtiger Bestandteil des Museums geworden. Möchten Sie weiterhin ähnlich wie eine Landesgalerie agieren?
Kasper: Die breite Palette der landeskundlichen Themen soll regelmäßig mit zeitgenössischer Vorarlberger Kunst in Beziehung gesetzt werden. Künstlerische Interventionen hinterfragen gesellschaftliche Phänomene, brechen das konventionelle Geschichtsverständnis und denken die im Museum dargestellten und konstruierten Erzählungen mitunter gegen den Strich. Die Funktion einer klassischen Landesgalerie wird das Vorarlberg Museum aber nicht erfüllen können. Auch für die Kunstgeschichte gilt, was zuvor zur Archäologie ausgeführt wurde.

Wie weit ist das Ausstellungsprogramm nun schon vorgeplant, welche Ausstellungen möchten Sie schon verraten und ab wann können Sie mit welchen Ideen inhaltlich durchstarten?
Kasper: Es ist definitiv noch zu früh, um dazu seriöse Aussagen zu machen. Das Programm für das kommende Jahr ist bereits in Vorbereitung und soll auch wie geplant umgesetzt werden. Zukünftige Schwerpunkte möchte ich dann nach meinem Dienstantritt in Ruhe mit dem Team entwickeln. Kein Geheimnis ist aber, dass mir etwa Erinnerungskultur und Zeitgeschichte ein großes Anliegen sind.

Welche „wissenschaftlichen Arbeiten“ haben die Kommission Ihrer Meinung nach überzeugt. Was meint die Findungsjury mit „museologischen Qualitäten“?
Kasper: Das könnte wohl ein Kommissionsmitglied besser beantworten. Möglicherweise haben meine Forschungen zur Vorarlberger NS-Geschichte sowie zur alpinen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einen guten Eindruck hinterlassen. In museologischer Hinsicht habe ich mich in meiner bisherigen Arbeit immer bemüht, alle Aspekte der Museumsarbeit mit gesellschaftsrelevanten Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität oder Barrierefreiheit zu verknüpfen.

Was haben Sie aus ihren Studien in Geschichte, Geografie und katholische Religionswissenschaften mitgenommen für Ihr berufliches Leben?
Kasper: Die vielen spannenden Verbindungen zwischen diesen Fachbereichen haben wohl meine Vorliebe für interdisziplinäres Forschen gefördert. Aus meinen Lehramtsstudien war der pädagogische Hintergrund sicher in Hinblick auf Vermittlungsaktivitäten hilfreich.

Welcher Stellenwert hat Ihre postgraduale, universitäre Tätigkeit?
Kasper: Ich hatte immer die Hoffnung gehegt, dadurch eine engere Kooperation zwischen Museum und Universität zu etablieren. Diese ergaben sich tatsächlich bei Tagungen oder im Rahmen von Forschungs- und Ausstellungsprojekten.

Was muss in Bezug auf die NS-Vergangenheit in Vorarlberg noch aufgearbeitet werden?
Kasper: Erfreulicherweise ist die Forschungslage zur Geschichte des NS-Regimes mittlerweile recht gut. Nichtsdestotrotz gibt es noch zahlreiche Aspekte, etwa die Entnazifizierung oder die Geschichte der Entbindungsstationen für Zwangsarbeiterinnen, die bisher noch zu wenig beleuchtet wurden. Auch der unterschiedliche Umgang mit zivilen und Kriegsinvaliden wäre eine interessante Forschungsfrage.

Wolfgang Ölz